Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

betrachtet, die Stellung, die sie in dem geistigen Entwicklungs-
processe unsrer Nation einnehmen, eine um so merkwürdigere.

Diese "Ideen" wurzeln ihrem speculativen Gehalte nach
ganz und durchaus in der Kant'schen Philosophie. Nun be-
merke man wohl, dass sie zu Papier gebracht worden sind kurz
nachdem die Kritik der Urtheilskraft erschienen war (1790),
die bekanntlich auch auf Schiller einen so mächtigen Einfluss
übte. Mit diesem Werke hatte Kant sein System in sich abge-
schlossen, und ging nun in seinen folgenden Schriften dazu

ziemlich genau nach dem Maasse des inneren Abstandes von dem Grundgedan-
ken. Eine Bemerkung, die ungefähr so auch schon Schlesier gemacht hat in
der Würdigung unsres Aufsatzes, die er auf Grund der ihm vorliegenden Stücke
desselben giebt, und die durch die vollständige Betrachtung, wie sie jetzt möglich
ist, lediglich bestätigt werden kann. Darin aber ist Schlesier ganz und gar irre
gegangen, dass er die politischen Elemente der Schrift als ihr innerlich fremde,
nur in Folge des äusseren von Dalberg gegebenen Anstosses hineingekommene
bezeichnet. Der politische Gedanke bildet die Seele des Ganzen, -- und es ist
so wenig wahr, dass Humboldts Ideen nur vorübergehend wider ihre Natur durch
Dalberg die politische Richtung genommen hätten, -- dass vielmehr augenschein-
lich diese politische Richtung, seitdem er überhaupt selbständig zu denken an-
gefangen, in ihm die vorherrschende gewesen war. -- Und wie hätte es anders
sein können? Seine ganze Erziehung war darauf angelegt, ihn für den Staats-
dienst vorzubereiten; in demselben Sinne hatte er seine Universitätsstudien ge-
macht. -- Er war in Göttingen mit Forster bekannt geworden, und diese poli-
tisch durch und durch aufgeregte Natur hatte ihm mächtig imponirt. Dazu nun
noch die Eindrücke der französischen Revolution, die er bei seinem Aufenthalte
in Paris während des Sommers 1789 in unmittelbarster Nähe auf sich hatte
wirken lassen; -- endlich der Beginn seiner juristischen Laufbahn. -- Zu dieser
Natur seines bisherigen Lebensganges stimmt es nun auch vollkommen, dass
Humboldt in einem der oben herangezogenen Briefe an Schiller im Gegensatze
zu diesem das Studium der öffentlichen Angelegenheiten ausdrücklich als seinen
Beruf bezeichnet, während er Wolf gegenüber im Beginne seiner Correspondenz
mit ihm ebenso unverkennbar als ein Laie in philologischen Dingen erscheint. --
Der Zeitpunkt, von dem an in Humboldts Gedanken und Studien Kunst, Alter-
thum, Sprache, Geistesleben diejenige Stelle einnehmen, die vorher Recht, Staat,
die äusseren Verhältnisse des Menschen eingenommen haben, lässt sich sehr ge-
nau bestimmen. Er fällt unmittelbar nach Vollendung der vorliegenden Schrift.
Es fehlt schon in ihr nicht an Stellen, die diese Veränderung ankündigen. Sie sind
grossentheils grade die interessantesten und schönsten. Aber man würde nichts
desto weniger sehr unrecht thun, in ihnen den Schwerpunkt von Humboldts da-
maligem Gedankensysteme zu suchen.

betrachtet, die Stellung, die sie in dem geistigen Entwicklungs-
processe unsrer Nation einnehmen, eine um so merkwürdigere.

Diese „Ideen“ wurzeln ihrem speculativen Gehalte nach
ganz und durchaus in der Kant’schen Philosophie. Nun be-
merke man wohl, dass sie zu Papier gebracht worden sind kurz
nachdem die Kritik der Urtheilskraft erschienen war (1790),
die bekanntlich auch auf Schiller einen so mächtigen Einfluss
übte. Mit diesem Werke hatte Kant sein System in sich abge-
schlossen, und ging nun in seinen folgenden Schriften dazu

ziemlich genau nach dem Maasse des inneren Abstandes von dem Grundgedan-
ken. Eine Bemerkung, die ungefähr so auch schon Schlesier gemacht hat in
der Würdigung unsres Aufsatzes, die er auf Grund der ihm vorliegenden Stücke
desselben giebt, und die durch die vollständige Betrachtung, wie sie jetzt möglich
ist, lediglich bestätigt werden kann. Darin aber ist Schlesier ganz und gar irre
gegangen, dass er die politischen Elemente der Schrift als ihr innerlich fremde,
nur in Folge des äusseren von Dalberg gegebenen Anstosses hineingekommene
bezeichnet. Der politische Gedanke bildet die Seele des Ganzen, — und es ist
so wenig wahr, dass Humboldts Ideen nur vorübergehend wider ihre Natur durch
Dalberg die politische Richtung genommen hätten, — dass vielmehr augenschein-
lich diese politische Richtung, seitdem er überhaupt selbständig zu denken an-
gefangen, in ihm die vorherrschende gewesen war. — Und wie hätte es anders
sein können? Seine ganze Erziehung war darauf angelegt, ihn für den Staats-
dienst vorzubereiten; in demselben Sinne hatte er seine Universitätsstudien ge-
macht. — Er war in Göttingen mit Forster bekannt geworden, und diese poli-
tisch durch und durch aufgeregte Natur hatte ihm mächtig imponirt. Dazu nun
noch die Eindrücke der französischen Revolution, die er bei seinem Aufenthalte
in Paris während des Sommers 1789 in unmittelbarster Nähe auf sich hatte
wirken lassen; — endlich der Beginn seiner juristischen Laufbahn. — Zu dieser
Natur seines bisherigen Lebensganges stimmt es nun auch vollkommen, dass
Humboldt in einem der oben herangezogenen Briefe an Schiller im Gegensatze
zu diesem das Studium der öffentlichen Angelegenheiten ausdrücklich als seinen
Beruf bezeichnet, während er Wolf gegenüber im Beginne seiner Correspondenz
mit ihm ebenso unverkennbar als ein Laie in philologischen Dingen erscheint. —
Der Zeitpunkt, von dem an in Humboldts Gedanken und Studien Kunst, Alter-
thum, Sprache, Geistesleben diejenige Stelle einnehmen, die vorher Recht, Staat,
die äusseren Verhältnisse des Menschen eingenommen haben, lässt sich sehr ge-
nau bestimmen. Er fällt unmittelbar nach Vollendung der vorliegenden Schrift.
Es fehlt schon in ihr nicht an Stellen, die diese Veränderung ankündigen. Sie sind
grossentheils grade die interessantesten und schönsten. Aber man würde nichts
desto weniger sehr unrecht thun, in ihnen den Schwerpunkt von Humboldts da-
maligem Gedankensysteme zu suchen.
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032" n="XXIV"/>
betrachtet, die Stellung, die sie in dem geistigen Entwicklungs-<lb/>
processe unsrer Nation einnehmen, eine um so merkwürdigere.</p><lb/>
        <p>Diese &#x201E;Ideen&#x201C; wurzeln ihrem speculativen Gehalte nach<lb/>
ganz und durchaus in der Kant&#x2019;schen Philosophie. Nun be-<lb/>
merke man wohl, dass sie zu Papier gebracht worden sind kurz<lb/>
nachdem die Kritik der Urtheilskraft erschienen war (1790),<lb/>
die bekanntlich auch auf Schiller einen so mächtigen Einfluss<lb/>
übte. Mit diesem Werke hatte Kant sein System in sich abge-<lb/>
schlossen, und ging nun in seinen folgenden Schriften dazu<lb/><note xml:id="seg2pn_2_2" prev="#seg2pn_2_1" place="foot" n="1)">ziemlich genau nach dem Maasse des inneren Abstandes von dem Grundgedan-<lb/>
ken. Eine Bemerkung, die ungefähr so auch schon Schlesier gemacht hat in<lb/>
der Würdigung unsres Aufsatzes, die er auf Grund der ihm vorliegenden Stücke<lb/>
desselben giebt, und die durch die vollständige Betrachtung, wie sie jetzt möglich<lb/>
ist, lediglich bestätigt werden kann. Darin aber ist Schlesier ganz und gar irre<lb/>
gegangen, dass er die politischen Elemente der Schrift als ihr innerlich fremde,<lb/>
nur in Folge des äusseren von Dalberg gegebenen Anstosses hineingekommene<lb/>
bezeichnet. Der politische Gedanke bildet die Seele des Ganzen, &#x2014; und es ist<lb/>
so wenig wahr, dass Humboldts Ideen nur vorübergehend wider ihre Natur durch<lb/>
Dalberg die politische Richtung genommen hätten, &#x2014; dass vielmehr augenschein-<lb/>
lich diese politische Richtung, seitdem er überhaupt selbständig zu denken an-<lb/>
gefangen, in ihm die vorherrschende gewesen war. &#x2014; Und wie hätte es anders<lb/>
sein können? Seine ganze Erziehung war darauf angelegt, ihn für den Staats-<lb/>
dienst vorzubereiten; in demselben Sinne hatte er seine Universitätsstudien ge-<lb/>
macht. &#x2014; Er war in Göttingen mit Forster bekannt geworden, und diese poli-<lb/>
tisch durch und durch aufgeregte Natur hatte ihm mächtig imponirt. Dazu nun<lb/>
noch die Eindrücke der französischen Revolution, die er bei seinem Aufenthalte<lb/>
in Paris während des Sommers 1789 in unmittelbarster Nähe auf sich hatte<lb/>
wirken lassen; &#x2014; endlich der Beginn seiner juristischen Laufbahn. &#x2014; Zu dieser<lb/>
Natur seines bisherigen Lebensganges stimmt es nun auch vollkommen, dass<lb/>
Humboldt in einem der oben herangezogenen Briefe an Schiller im Gegensatze<lb/>
zu diesem das Studium der öffentlichen Angelegenheiten ausdrücklich als seinen<lb/>
Beruf bezeichnet, während er Wolf gegenüber im Beginne seiner Correspondenz<lb/>
mit ihm ebenso unverkennbar als ein Laie in philologischen Dingen erscheint. &#x2014;<lb/>
Der Zeitpunkt, von dem an in Humboldts Gedanken und Studien Kunst, Alter-<lb/>
thum, Sprache, Geistesleben diejenige Stelle einnehmen, die vorher Recht, Staat,<lb/>
die äusseren Verhältnisse des Menschen eingenommen haben, lässt sich sehr ge-<lb/>
nau bestimmen. Er fällt unmittelbar nach Vollendung der vorliegenden Schrift.<lb/>
Es fehlt schon in ihr nicht an Stellen, die diese Veränderung ankündigen. Sie sind<lb/>
grossentheils grade die interessantesten und schönsten. Aber man würde nichts<lb/>
desto weniger sehr unrecht thun, in ihnen den Schwerpunkt von Humboldts da-<lb/>
maligem Gedankensysteme zu suchen.</note><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XXIV/0032] betrachtet, die Stellung, die sie in dem geistigen Entwicklungs- processe unsrer Nation einnehmen, eine um so merkwürdigere. Diese „Ideen“ wurzeln ihrem speculativen Gehalte nach ganz und durchaus in der Kant’schen Philosophie. Nun be- merke man wohl, dass sie zu Papier gebracht worden sind kurz nachdem die Kritik der Urtheilskraft erschienen war (1790), die bekanntlich auch auf Schiller einen so mächtigen Einfluss übte. Mit diesem Werke hatte Kant sein System in sich abge- schlossen, und ging nun in seinen folgenden Schriften dazu 1) 1) ziemlich genau nach dem Maasse des inneren Abstandes von dem Grundgedan- ken. Eine Bemerkung, die ungefähr so auch schon Schlesier gemacht hat in der Würdigung unsres Aufsatzes, die er auf Grund der ihm vorliegenden Stücke desselben giebt, und die durch die vollständige Betrachtung, wie sie jetzt möglich ist, lediglich bestätigt werden kann. Darin aber ist Schlesier ganz und gar irre gegangen, dass er die politischen Elemente der Schrift als ihr innerlich fremde, nur in Folge des äusseren von Dalberg gegebenen Anstosses hineingekommene bezeichnet. Der politische Gedanke bildet die Seele des Ganzen, — und es ist so wenig wahr, dass Humboldts Ideen nur vorübergehend wider ihre Natur durch Dalberg die politische Richtung genommen hätten, — dass vielmehr augenschein- lich diese politische Richtung, seitdem er überhaupt selbständig zu denken an- gefangen, in ihm die vorherrschende gewesen war. — Und wie hätte es anders sein können? Seine ganze Erziehung war darauf angelegt, ihn für den Staats- dienst vorzubereiten; in demselben Sinne hatte er seine Universitätsstudien ge- macht. — Er war in Göttingen mit Forster bekannt geworden, und diese poli- tisch durch und durch aufgeregte Natur hatte ihm mächtig imponirt. Dazu nun noch die Eindrücke der französischen Revolution, die er bei seinem Aufenthalte in Paris während des Sommers 1789 in unmittelbarster Nähe auf sich hatte wirken lassen; — endlich der Beginn seiner juristischen Laufbahn. — Zu dieser Natur seines bisherigen Lebensganges stimmt es nun auch vollkommen, dass Humboldt in einem der oben herangezogenen Briefe an Schiller im Gegensatze zu diesem das Studium der öffentlichen Angelegenheiten ausdrücklich als seinen Beruf bezeichnet, während er Wolf gegenüber im Beginne seiner Correspondenz mit ihm ebenso unverkennbar als ein Laie in philologischen Dingen erscheint. — Der Zeitpunkt, von dem an in Humboldts Gedanken und Studien Kunst, Alter- thum, Sprache, Geistesleben diejenige Stelle einnehmen, die vorher Recht, Staat, die äusseren Verhältnisse des Menschen eingenommen haben, lässt sich sehr ge- nau bestimmen. Er fällt unmittelbar nach Vollendung der vorliegenden Schrift. Es fehlt schon in ihr nicht an Stellen, die diese Veränderung ankündigen. Sie sind grossentheils grade die interessantesten und schönsten. Aber man würde nichts desto weniger sehr unrecht thun, in ihnen den Schwerpunkt von Humboldts da- maligem Gedankensysteme zu suchen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/32
Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. XXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/32>, abgerufen am 21.11.2024.