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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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theilt zeigen zwischen der Erinnerung an die Vergangenheit
und dem sehnsüchtigen Blicke in das Jenseits und doch wieder
so, dass sich diese beiden Richtungen des Gedankens auf das
rührendste in einander schlingen. Das Gegenstück zu diesem
Bilde fehlte bis jetzt. Die vorliegende Schrift bietet es uns
dar, indem sie eine umfassende Uebersicht der Gedanken und
Strebungen giebt, welche Humboldts Jugend erfüllten. Es
ist höchst anziehend, sie aus dem Gesichtspunkte dieses Con-
trastes zu betrachten als Ausgangspunkt seines inneren Lebens
gegenüber dem Endpunkte desselben. So erst gewinnt man
eine recht lebendige Anschauung der reichen und vollen Ent-
wickelung, die zwischen dem einen und dem andren liegt.
Welchen Wechsel der religiösen Stimmungen hat die Seele
dieses Mannes durchlaufen müssen von dem prometheischen
Selbstgefühle der Jugend bis zu der Hingebung und schmel-
zenden Weichheit des Alters 1). Dort finden wir ihn mit der
ganzen Energie des Gedankens gegen die Aussenwelt geworfen
und in keckem Kampfe mit der Gesammtheit der bestehenden
Zustände; -- hier gegen Alles ausser ihm gleichgültig, ganz
in sich gekehrt und versenkt; dort erfüllt von der Hoffnung
durch äussere Veränderungen der Welt die Freiheit zu bringen;
hier zufrieden mit der Gewissheit, in sich selber die Freiheit
gefunden zu haben, die ihm noth thut. -- Doch ich kann darauf

1) Unter den bisher ungedruckten Abschnitten unsrer Schrift ist mir als der
merkwürdigste der von der Religion handelnde erschienen. Wie eingehend und
mit wie viel innerer Wahrheit sind die verschiedenen religiösen Standpunkte
charakterisirt; und wie deutlich tritt es doch hervor, wo Humboldt mit sei-
nem eignen Pathos ist! Wie treffend ist Alles, was über die Stellung des
Staates zur Religion gesagt ist! Noch eine besondre Bedeutung gewinnt dieser
Abschnitt, wenn man bedenkt, dass nicht lange, ehe er geschrieben wurde, das
Wöllner'sche Religionsedict erschienen war (1788). Die Beziehungen auf die
durch dasselbe in Preussen herbeigeführten Zustände, die Humboldt während
seiner kurzen praktischen Thätigkeit in Berlin zur Genüge hatte kennen lernen,
sind ganz unverkennbar. Sollte wohl unter diesen Umständen die Vermuthung
zu gewagt sein, dass grade diese Parthie für die Censur der Hauptgrund des
Anstosses war?

theilt zeigen zwischen der Erinnerung an die Vergangenheit
und dem sehnsüchtigen Blicke in das Jenseits und doch wieder
so, dass sich diese beiden Richtungen des Gedankens auf das
rührendste in einander schlingen. Das Gegenstück zu diesem
Bilde fehlte bis jetzt. Die vorliegende Schrift bietet es uns
dar, indem sie eine umfassende Uebersicht der Gedanken und
Strebungen giebt, welche Humboldts Jugend erfüllten. Es
ist höchst anziehend, sie aus dem Gesichtspunkte dieses Con-
trastes zu betrachten als Ausgangspunkt seines inneren Lebens
gegenüber dem Endpunkte desselben. So erst gewinnt man
eine recht lebendige Anschauung der reichen und vollen Ent-
wickelung, die zwischen dem einen und dem andren liegt.
Welchen Wechsel der religiösen Stimmungen hat die Seele
dieses Mannes durchlaufen müssen von dem prometheischen
Selbstgefühle der Jugend bis zu der Hingebung und schmel-
zenden Weichheit des Alters 1). Dort finden wir ihn mit der
ganzen Energie des Gedankens gegen die Aussenwelt geworfen
und in keckem Kampfe mit der Gesammtheit der bestehenden
Zustände; — hier gegen Alles ausser ihm gleichgültig, ganz
in sich gekehrt und versenkt; dort erfüllt von der Hoffnung
durch äussere Veränderungen der Welt die Freiheit zu bringen;
hier zufrieden mit der Gewissheit, in sich selber die Freiheit
gefunden zu haben, die ihm noth thut. — Doch ich kann darauf

1) Unter den bisher ungedruckten Abschnitten unsrer Schrift ist mir als der
merkwürdigste der von der Religion handelnde erschienen. Wie eingehend und
mit wie viel innerer Wahrheit sind die verschiedenen religiösen Standpunkte
charakterisirt; und wie deutlich tritt es doch hervor, wo Humboldt mit sei-
nem eignen Pathos ist! Wie treffend ist Alles, was über die Stellung des
Staates zur Religion gesagt ist! Noch eine besondre Bedeutung gewinnt dieser
Abschnitt, wenn man bedenkt, dass nicht lange, ehe er geschrieben wurde, das
Wöllner’sche Religionsedict erschienen war (1788). Die Beziehungen auf die
durch dasselbe in Preussen herbeigeführten Zustände, die Humboldt während
seiner kurzen praktischen Thätigkeit in Berlin zur Genüge hatte kennen lernen,
sind ganz unverkennbar. Sollte wohl unter diesen Umständen die Vermuthung
zu gewagt sein, dass grade diese Parthie für die Censur der Hauptgrund des
Anstosses war?
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[XXI/0029] theilt zeigen zwischen der Erinnerung an die Vergangenheit und dem sehnsüchtigen Blicke in das Jenseits und doch wieder so, dass sich diese beiden Richtungen des Gedankens auf das rührendste in einander schlingen. Das Gegenstück zu diesem Bilde fehlte bis jetzt. Die vorliegende Schrift bietet es uns dar, indem sie eine umfassende Uebersicht der Gedanken und Strebungen giebt, welche Humboldts Jugend erfüllten. Es ist höchst anziehend, sie aus dem Gesichtspunkte dieses Con- trastes zu betrachten als Ausgangspunkt seines inneren Lebens gegenüber dem Endpunkte desselben. So erst gewinnt man eine recht lebendige Anschauung der reichen und vollen Ent- wickelung, die zwischen dem einen und dem andren liegt. Welchen Wechsel der religiösen Stimmungen hat die Seele dieses Mannes durchlaufen müssen von dem prometheischen Selbstgefühle der Jugend bis zu der Hingebung und schmel- zenden Weichheit des Alters 1). Dort finden wir ihn mit der ganzen Energie des Gedankens gegen die Aussenwelt geworfen und in keckem Kampfe mit der Gesammtheit der bestehenden Zustände; — hier gegen Alles ausser ihm gleichgültig, ganz in sich gekehrt und versenkt; dort erfüllt von der Hoffnung durch äussere Veränderungen der Welt die Freiheit zu bringen; hier zufrieden mit der Gewissheit, in sich selber die Freiheit gefunden zu haben, die ihm noth thut. — Doch ich kann darauf 1) Unter den bisher ungedruckten Abschnitten unsrer Schrift ist mir als der merkwürdigste der von der Religion handelnde erschienen. Wie eingehend und mit wie viel innerer Wahrheit sind die verschiedenen religiösen Standpunkte charakterisirt; und wie deutlich tritt es doch hervor, wo Humboldt mit sei- nem eignen Pathos ist! Wie treffend ist Alles, was über die Stellung des Staates zur Religion gesagt ist! Noch eine besondre Bedeutung gewinnt dieser Abschnitt, wenn man bedenkt, dass nicht lange, ehe er geschrieben wurde, das Wöllner’sche Religionsedict erschienen war (1788). Die Beziehungen auf die durch dasselbe in Preussen herbeigeführten Zustände, die Humboldt während seiner kurzen praktischen Thätigkeit in Berlin zur Genüge hatte kennen lernen, sind ganz unverkennbar. Sollte wohl unter diesen Umständen die Vermuthung zu gewagt sein, dass grade diese Parthie für die Censur der Hauptgrund des Anstosses war?

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. XXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/29>, abgerufen am 28.03.2024.