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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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Gesetzgeber selbst, noch fruchtbarer. Dergleichen Quellen,
oder -- um mich zugleich eigentlicher und richtiger auszu-
drücken -- Hauptgesichtspunkte, aus welchen sich die Noth-
wendigkeit von Gesetzen zeigt, giebt es, wie mich dünkt, nur
drei. Die Gesetzgebung im Allgemeinen soll die Handlungen
der Bürger, und ihre nothwendigen Folgen bestimmen. Der
erste Gesichtspunkt ist daher die Natur dieser Handlungen
selbst, und diejenigen ihrer Folgen, welche allein aus den
Grundsätzen des Rechts entspringen. Der zweite Gesichts-
punkt ist der besondre Zweck des Staats, die Gränzen, in wel-
chen er seine Wirksamkeit zu beschränken, oder der Umfang,
auf welchen er dieselbe auszudehnen beschliesst. Der dritte
Gesichtspunkt endlich entspringt aus den Mitteln, welcher er
nothwendig bedarf, um das ganze Staatsgebäude selbst zu er-
halten, um es nur möglich zu machen, seinen Zweck überhaupt
zu erreichen. Jedes nur denkbare Gesetz muss einem dieser
Gesichtspunkte vorzüglich eigen sein; allein keines dürfte, ohne
die Vereinigung aller, gegeben werden, und gerade diese Ein-
seitigkeit der Ansicht macht einen sehr wesentlichen Fehler
mancher Gesetze aus. Aus jener dreifachen Ansicht entsprin-
gen nun auch drei vorzüglich nothwendige Vorarbeiten zu jeder
Gesetzgebung: 1. eine vollständige allgemeine Theorie des
Rechts. 2. Eine vollständige Entwicklung des Zwecks, den
der Staat sich vorsetzen sollte, oder, welches im Grunde das-
selbe ist, eine genaue Bestimmung der Grenzen, in welchen er
seine Wirksamkeit halten muss; oder eine Darstellung des be-
sondern Zwecks, welchen diese oder jene Staatsgesellschaft sich
wirklich vorsetzt. 3. Eine Theorie der, zur Existenz eines
Staats nothwendigen Mittel, und da diese Mittel theils Mittel
der innern Festigkeit, theils Mittel der Möglichkeit der Wirk-
samkeit sind, eine Theorie der Politik und der Finanzwissen-
schaften; oder wiederum eine Darstellung des einmal gewähl-
ten politischen und Finanzsystems. Bei dieser Uebersicht,

Gesetzgeber selbst, noch fruchtbarer. Dergleichen Quellen,
oder — um mich zugleich eigentlicher und richtiger auszu-
drücken — Hauptgesichtspunkte, aus welchen sich die Noth-
wendigkeit von Gesetzen zeigt, giebt es, wie mich dünkt, nur
drei. Die Gesetzgebung im Allgemeinen soll die Handlungen
der Bürger, und ihre nothwendigen Folgen bestimmen. Der
erste Gesichtspunkt ist daher die Natur dieser Handlungen
selbst, und diejenigen ihrer Folgen, welche allein aus den
Grundsätzen des Rechts entspringen. Der zweite Gesichts-
punkt ist der besondre Zweck des Staats, die Gränzen, in wel-
chen er seine Wirksamkeit zu beschränken, oder der Umfang,
auf welchen er dieselbe auszudehnen beschliesst. Der dritte
Gesichtspunkt endlich entspringt aus den Mitteln, welcher er
nothwendig bedarf, um das ganze Staatsgebäude selbst zu er-
halten, um es nur möglich zu machen, seinen Zweck überhaupt
zu erreichen. Jedes nur denkbare Gesetz muss einem dieser
Gesichtspunkte vorzüglich eigen sein; allein keines dürfte, ohne
die Vereinigung aller, gegeben werden, und gerade diese Ein-
seitigkeit der Ansicht macht einen sehr wesentlichen Fehler
mancher Gesetze aus. Aus jener dreifachen Ansicht entsprin-
gen nun auch drei vorzüglich nothwendige Vorarbeiten zu jeder
Gesetzgebung: 1. eine vollständige allgemeine Theorie des
Rechts. 2. Eine vollständige Entwicklung des Zwecks, den
der Staat sich vorsetzen sollte, oder, welches im Grunde das-
selbe ist, eine genaue Bestimmung der Grenzen, in welchen er
seine Wirksamkeit halten muss; oder eine Darstellung des be-
sondern Zwecks, welchen diese oder jene Staatsgesellschaft sich
wirklich vorsetzt. 3. Eine Theorie der, zur Existenz eines
Staats nothwendigen Mittel, und da diese Mittel theils Mittel
der innern Festigkeit, theils Mittel der Möglichkeit der Wirk-
samkeit sind, eine Theorie der Politik und der Finanzwissen-
schaften; oder wiederum eine Darstellung des einmal gewähl-
ten politischen und Finanzsystems. Bei dieser Uebersicht,

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[169/0205] Gesetzgeber selbst, noch fruchtbarer. Dergleichen Quellen, oder — um mich zugleich eigentlicher und richtiger auszu- drücken — Hauptgesichtspunkte, aus welchen sich die Noth- wendigkeit von Gesetzen zeigt, giebt es, wie mich dünkt, nur drei. Die Gesetzgebung im Allgemeinen soll die Handlungen der Bürger, und ihre nothwendigen Folgen bestimmen. Der erste Gesichtspunkt ist daher die Natur dieser Handlungen selbst, und diejenigen ihrer Folgen, welche allein aus den Grundsätzen des Rechts entspringen. Der zweite Gesichts- punkt ist der besondre Zweck des Staats, die Gränzen, in wel- chen er seine Wirksamkeit zu beschränken, oder der Umfang, auf welchen er dieselbe auszudehnen beschliesst. Der dritte Gesichtspunkt endlich entspringt aus den Mitteln, welcher er nothwendig bedarf, um das ganze Staatsgebäude selbst zu er- halten, um es nur möglich zu machen, seinen Zweck überhaupt zu erreichen. Jedes nur denkbare Gesetz muss einem dieser Gesichtspunkte vorzüglich eigen sein; allein keines dürfte, ohne die Vereinigung aller, gegeben werden, und gerade diese Ein- seitigkeit der Ansicht macht einen sehr wesentlichen Fehler mancher Gesetze aus. Aus jener dreifachen Ansicht entsprin- gen nun auch drei vorzüglich nothwendige Vorarbeiten zu jeder Gesetzgebung: 1. eine vollständige allgemeine Theorie des Rechts. 2. Eine vollständige Entwicklung des Zwecks, den der Staat sich vorsetzen sollte, oder, welches im Grunde das- selbe ist, eine genaue Bestimmung der Grenzen, in welchen er seine Wirksamkeit halten muss; oder eine Darstellung des be- sondern Zwecks, welchen diese oder jene Staatsgesellschaft sich wirklich vorsetzt. 3. Eine Theorie der, zur Existenz eines Staats nothwendigen Mittel, und da diese Mittel theils Mittel der innern Festigkeit, theils Mittel der Möglichkeit der Wirk- samkeit sind, eine Theorie der Politik und der Finanzwissen- schaften; oder wiederum eine Darstellung des einmal gewähl- ten politischen und Finanzsystems. Bei dieser Uebersicht,

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/205>, abgerufen am 27.04.2024.