Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

das dazu nothwendige Alter noch nicht erreicht haben, be-
dürfen einer besondren Sorgfalt für ihr physisches, intel-
lektuelles und moralisches Wohl. Personen dieser Art
sind Unmündige und des Verstandes Beraubte. Zuerst
von jenen, dann von diesen.

2. In Absicht der Unmündigen muss der Staat die Dauer
der Unmündigkeit festsetzen. Er muss dieselbe, da sie
ohne sehr wesentlichen Nachtheil weder zu kurz, noch zu
lang sein darf, nach den individuellen Umständen der Lage
der Nation bestimmen, wobei ihm die vollendete Ausbildung
des Körpers zum ohngefähren Kennzeichen dienen kann.
Rathsam ist es, mehrere Epochen anzuordnen, und grad-
weise die Freiheit der Unmündigen zu erweitern, und die
Aufsicht auf sie verringern.

3. Der Staat muss darauf wachen, dass die Eltern ihre
Pflichten gegen ihre Kinder -- nämlich dieselben, so gut
es ihre Lage erlaubt, in den Stand zu setzen, nach erreich-
ter Mündigkeit, eine eigne Lebensweise zu wählen und
anzufangen -- und die Kinder ihre Pflichten gegen ihre
Eltern, -- nämlich alles dasjenige zu thun, was zur Aus-
übung jener Pflicht von Seiten der Eltern nothwendig ist
-- genau erfüllen; keiner aber die Rechte überschreite,
welche ihm die Erfüllung jener Pflichten einräumt. Seine
Aufsicht muss jedoch allein hierauf beschränkt sein; und
jedes Bemühen, hiebei einen positiven Endzweck zu errei-
chen, z. B. diese oder jene Art der Ausbildung der Kräfte
bei den Kindern zu begünstigen, liegt ausserhalb der
Schranken seiner Wirksamkeit.

4. Im Fall des Todes der Eltern sind Vormünder noth-
wendig. Der Staat muss daher die Art bestimmen, wie
diese bestellt werden sollen, so wie die Eigenschaften,
welche sie nothwendig besitzen müssen. Er wird aber gut
thun, soviel als möglich die Wahl derselben durch die Eltern

das dazu nothwendige Alter noch nicht erreicht haben, be-
dürfen einer besondren Sorgfalt für ihr physisches, intel-
lektuelles und moralisches Wohl. Personen dieser Art
sind Unmündige und des Verstandes Beraubte. Zuerst
von jenen, dann von diesen.

2. In Absicht der Unmündigen muss der Staat die Dauer
der Unmündigkeit festsetzen. Er muss dieselbe, da sie
ohne sehr wesentlichen Nachtheil weder zu kurz, noch zu
lang sein darf, nach den individuellen Umständen der Lage
der Nation bestimmen, wobei ihm die vollendete Ausbildung
des Körpers zum ohngefähren Kennzeichen dienen kann.
Rathsam ist es, mehrere Epochen anzuordnen, und grad-
weise die Freiheit der Unmündigen zu erweitern, und die
Aufsicht auf sie verringern.

3. Der Staat muss darauf wachen, dass die Eltern ihre
Pflichten gegen ihre Kinder — nämlich dieselben, so gut
es ihre Lage erlaubt, in den Stand zu setzen, nach erreich-
ter Mündigkeit, eine eigne Lebensweise zu wählen und
anzufangen — und die Kinder ihre Pflichten gegen ihre
Eltern, — nämlich alles dasjenige zu thun, was zur Aus-
übung jener Pflicht von Seiten der Eltern nothwendig ist
— genau erfüllen; keiner aber die Rechte überschreite,
welche ihm die Erfüllung jener Pflichten einräumt. Seine
Aufsicht muss jedoch allein hierauf beschränkt sein; und
jedes Bemühen, hiebei einen positiven Endzweck zu errei-
chen, z. B. diese oder jene Art der Ausbildung der Kräfte
bei den Kindern zu begünstigen, liegt ausserhalb der
Schranken seiner Wirksamkeit.

4. Im Fall des Todes der Eltern sind Vormünder noth-
wendig. Der Staat muss daher die Art bestimmen, wie
diese bestellt werden sollen, so wie die Eigenschaften,
welche sie nothwendig besitzen müssen. Er wird aber gut
thun, soviel als möglich die Wahl derselben durch die Eltern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0203" n="167"/>
das dazu nothwendige Alter noch nicht erreicht haben, be-<lb/>
dürfen einer besondren Sorgfalt für ihr physisches, intel-<lb/>
lektuelles und moralisches Wohl. Personen dieser Art<lb/>
sind Unmündige und des Verstandes Beraubte. Zuerst<lb/>
von jenen, dann von diesen.</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">2. In Absicht der Unmündigen muss der Staat die Dauer<lb/>
der Unmündigkeit festsetzen. Er muss dieselbe, da sie<lb/>
ohne sehr wesentlichen Nachtheil weder zu kurz, noch zu<lb/>
lang sein darf, nach den individuellen Umständen der Lage<lb/>
der Nation bestimmen, wobei ihm die vollendete Ausbildung<lb/>
des Körpers zum ohngefähren Kennzeichen dienen kann.<lb/>
Rathsam ist es, mehrere Epochen anzuordnen, und grad-<lb/>
weise die Freiheit der Unmündigen zu erweitern, und die<lb/>
Aufsicht auf sie verringern.</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">3. Der Staat muss darauf wachen, dass die Eltern ihre<lb/>
Pflichten gegen ihre Kinder &#x2014; nämlich dieselben, so gut<lb/>
es ihre Lage erlaubt, in den Stand zu setzen, nach erreich-<lb/>
ter Mündigkeit, eine eigne Lebensweise zu wählen und<lb/>
anzufangen &#x2014; und die Kinder ihre Pflichten gegen ihre<lb/>
Eltern, &#x2014; nämlich alles dasjenige zu thun, was zur Aus-<lb/>
übung jener Pflicht von Seiten der Eltern nothwendig ist<lb/>
&#x2014; genau erfüllen; keiner aber die Rechte überschreite,<lb/>
welche ihm die Erfüllung jener Pflichten einräumt. Seine<lb/>
Aufsicht muss jedoch allein hierauf beschränkt sein; und<lb/>
jedes Bemühen, hiebei einen positiven Endzweck zu errei-<lb/>
chen, z. B. diese oder jene Art der Ausbildung der Kräfte<lb/>
bei den Kindern zu begünstigen, liegt ausserhalb der<lb/>
Schranken seiner Wirksamkeit.</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">4. Im Fall des Todes der Eltern sind Vormünder noth-<lb/>
wendig. Der Staat muss daher die Art bestimmen, wie<lb/>
diese bestellt werden sollen, so wie die Eigenschaften,<lb/>
welche sie nothwendig besitzen müssen. Er wird aber gut<lb/>
thun, soviel als möglich die Wahl derselben durch die Eltern<lb/></hi> </p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0203] das dazu nothwendige Alter noch nicht erreicht haben, be- dürfen einer besondren Sorgfalt für ihr physisches, intel- lektuelles und moralisches Wohl. Personen dieser Art sind Unmündige und des Verstandes Beraubte. Zuerst von jenen, dann von diesen. 2. In Absicht der Unmündigen muss der Staat die Dauer der Unmündigkeit festsetzen. Er muss dieselbe, da sie ohne sehr wesentlichen Nachtheil weder zu kurz, noch zu lang sein darf, nach den individuellen Umständen der Lage der Nation bestimmen, wobei ihm die vollendete Ausbildung des Körpers zum ohngefähren Kennzeichen dienen kann. Rathsam ist es, mehrere Epochen anzuordnen, und grad- weise die Freiheit der Unmündigen zu erweitern, und die Aufsicht auf sie verringern. 3. Der Staat muss darauf wachen, dass die Eltern ihre Pflichten gegen ihre Kinder — nämlich dieselben, so gut es ihre Lage erlaubt, in den Stand zu setzen, nach erreich- ter Mündigkeit, eine eigne Lebensweise zu wählen und anzufangen — und die Kinder ihre Pflichten gegen ihre Eltern, — nämlich alles dasjenige zu thun, was zur Aus- übung jener Pflicht von Seiten der Eltern nothwendig ist — genau erfüllen; keiner aber die Rechte überschreite, welche ihm die Erfüllung jener Pflichten einräumt. Seine Aufsicht muss jedoch allein hierauf beschränkt sein; und jedes Bemühen, hiebei einen positiven Endzweck zu errei- chen, z. B. diese oder jene Art der Ausbildung der Kräfte bei den Kindern zu begünstigen, liegt ausserhalb der Schranken seiner Wirksamkeit. 4. Im Fall des Todes der Eltern sind Vormünder noth- wendig. Der Staat muss daher die Art bestimmen, wie diese bestellt werden sollen, so wie die Eigenschaften, welche sie nothwendig besitzen müssen. Er wird aber gut thun, soviel als möglich die Wahl derselben durch die Eltern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/203
Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/203>, abgerufen am 27.04.2024.