da sie aber auf jeden Fall in einem minder engen Verhältniss zu ihren Pflegbefohlenen stehen, so können sie nicht auf ein gleiches Vertrauen Anspruch machen, und der Staat muss daher seine Aufsicht auf sie verdoppeln. Bei ihnen dürfte da- her auch ununterbrochene Rechenschaftsablegung eintreten müssen. Je weniger positiven Einfluss der Staat auch nur mittelbar ausübt, desto mehr bleibt er den, im Vorigen ent- wickelten Grundsätzen getreu. Er muss daher die Wahl eines Vormunds durch die sterbenden Eltern selbst, oder durch die zurückbleibenden Verwandten, oder durch die Gemeine, zu welcher die Pflegbefohlnen gehören, soviel erleichtern, als nur immer die Sorgfalt für die Sicherheit dieser erlaubt. Ueberhaupt scheint es rathsam, alle eigentlich specielle hier eintretende Auf- sicht den Gemeinheiten zu übertragen; ihre Maassregeln wer- den immer nicht nur der individuellen Lage der Pflegbefohlnen angemessener, sondern auch mannigfaltiger, minder einförmig sein, und für die Sicherheit der Pflegbefohlnen ist dennoch hin- länglich gesorgt, sobald die Oberaufsicht in den Händen des Staats selbst bleibt.
Ausser diesen Einrichtungen muss der Staat sich nicht blos begnügen, Unmündige, gleich andren Bürgern, gegen fremde Angriffe zu beschützen, sondern er muss hierin auch noch wei- ter gehen. Es war nämlich oben festgesetzt worden, dass jeder über seine eignen Handlungen und sein Vermögen nach Gefal- len freiwillig beschliessen kann. Eine solche Freiheit könnte Personen, deren Beurtheilungskraft noch nicht das gehörige Alter gereift hat, in mehr als Einer Hinsicht gefährlich werden. Diese Gefahren nun abzuwenden ist zwar das Geschäft der Eltern, oder Vormünder, welche das Recht haben, die Hand- lungen derselben zu leiten. Allein der Staat muss ihnen, und den Unmündigen selbst hierin zu Hülfe kommen, und diejenigen ihrer Handlungen für ungültig erklären, deren Folgen ihnen
da sie aber auf jeden Fall in einem minder engen Verhältniss zu ihren Pflegbefohlenen stehen, so können sie nicht auf ein gleiches Vertrauen Anspruch machen, und der Staat muss daher seine Aufsicht auf sie verdoppeln. Bei ihnen dürfte da- her auch ununterbrochene Rechenschaftsablegung eintreten müssen. Je weniger positiven Einfluss der Staat auch nur mittelbar ausübt, desto mehr bleibt er den, im Vorigen ent- wickelten Grundsätzen getreu. Er muss daher die Wahl eines Vormunds durch die sterbenden Eltern selbst, oder durch die zurückbleibenden Verwandten, oder durch die Gemeine, zu welcher die Pflegbefohlnen gehören, soviel erleichtern, als nur immer die Sorgfalt für die Sicherheit dieser erlaubt. Ueberhaupt scheint es rathsam, alle eigentlich specielle hier eintretende Auf- sicht den Gemeinheiten zu übertragen; ihre Maassregeln wer- den immer nicht nur der individuellen Lage der Pflegbefohlnen angemessener, sondern auch mannigfaltiger, minder einförmig sein, und für die Sicherheit der Pflegbefohlnen ist dennoch hin- länglich gesorgt, sobald die Oberaufsicht in den Händen des Staats selbst bleibt.
Ausser diesen Einrichtungen muss der Staat sich nicht blos begnügen, Unmündige, gleich andren Bürgern, gegen fremde Angriffe zu beschützen, sondern er muss hierin auch noch wei- ter gehen. Es war nämlich oben festgesetzt worden, dass jeder über seine eignen Handlungen und sein Vermögen nach Gefal- len freiwillig beschliessen kann. Eine solche Freiheit könnte Personen, deren Beurtheilungskraft noch nicht das gehörige Alter gereift hat, in mehr als Einer Hinsicht gefährlich werden. Diese Gefahren nun abzuwenden ist zwar das Geschäft der Eltern, oder Vormünder, welche das Recht haben, die Hand- lungen derselben zu leiten. Allein der Staat muss ihnen, und den Unmündigen selbst hierin zu Hülfe kommen, und diejenigen ihrer Handlungen für ungültig erklären, deren Folgen ihnen
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[165/0201]
da sie aber auf jeden Fall in einem minder engen Verhältniss
zu ihren Pflegbefohlenen stehen, so können sie nicht auf ein
gleiches Vertrauen Anspruch machen, und der Staat muss
daher seine Aufsicht auf sie verdoppeln. Bei ihnen dürfte da-
her auch ununterbrochene Rechenschaftsablegung eintreten
müssen. Je weniger positiven Einfluss der Staat auch nur
mittelbar ausübt, desto mehr bleibt er den, im Vorigen ent-
wickelten Grundsätzen getreu. Er muss daher die Wahl
eines Vormunds durch die sterbenden Eltern selbst, oder durch
die zurückbleibenden Verwandten, oder durch die Gemeine, zu
welcher die Pflegbefohlnen gehören, soviel erleichtern, als nur
immer die Sorgfalt für die Sicherheit dieser erlaubt. Ueberhaupt
scheint es rathsam, alle eigentlich specielle hier eintretende Auf-
sicht den Gemeinheiten zu übertragen; ihre Maassregeln wer-
den immer nicht nur der individuellen Lage der Pflegbefohlnen
angemessener, sondern auch mannigfaltiger, minder einförmig
sein, und für die Sicherheit der Pflegbefohlnen ist dennoch hin-
länglich gesorgt, sobald die Oberaufsicht in den Händen des
Staats selbst bleibt.
Ausser diesen Einrichtungen muss der Staat sich nicht blos
begnügen, Unmündige, gleich andren Bürgern, gegen fremde
Angriffe zu beschützen, sondern er muss hierin auch noch wei-
ter gehen. Es war nämlich oben festgesetzt worden, dass jeder
über seine eignen Handlungen und sein Vermögen nach Gefal-
len freiwillig beschliessen kann. Eine solche Freiheit könnte
Personen, deren Beurtheilungskraft noch nicht das gehörige
Alter gereift hat, in mehr als Einer Hinsicht gefährlich werden.
Diese Gefahren nun abzuwenden ist zwar das Geschäft der
Eltern, oder Vormünder, welche das Recht haben, die Hand-
lungen derselben zu leiten. Allein der Staat muss ihnen, und
den Unmündigen selbst hierin zu Hülfe kommen, und diejenigen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/201>, abgerufen am 16.07.2024.
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