einmal ganz in dieser Platz finden können, da es grossentheils von individuellen Umständen specieller Lagen abhängt.
Dem Staat liegt es nun ob, für die Sicherheit der Rechte der Kinder gegen die Eltern Sorge zu tragen, und er muss da- her zuerst ein gesetzmässiges Alter der Reife bestimmen. Dies muss nun natürlich nicht nur nach der Verschiedenheit des Klima's und selbst des Zeitalters verschieden sein, sondern auch individuelle Lagen, je nachdem nämlich mehr oder minder Reife der Beurtheilungskraft in denselben erfordert wird, können mit Recht darauf Einfluss haben. Hiernächst muss er verhindern, dass die väterliche Gewalt nicht über ihre Gränzen hinaus- schreite, und darf daher dieselbe mit seiner genauesten Aufsicht nicht verlassen. Jedoch muss diese Aufsicht niemals positiv den Eltern eine bestimmte Bildung und Erziehung der Kinder vorschreiben wollen, sondern nur immer negativ dahin gerichtet sein, Eltern und Kinder gegenseitig in den, ihnen vom Gesetz bestimmten Schranken zu erhalten. Daher scheint es auch weder gerecht, noch rathsam, fortdauernde Rechenschaft von den Eltern zu fordern; man muss ihnen zutrauen, dass sie eine Pflicht nicht verabsäumen werden, welche ihrem Herzen so nah liegt; und erst solche Fälle, wo entweder schon wirkliche Ver- letzungen dieser Pflicht geschehen, oder sehr nah bevorstehen, können den Staat, sich in diese Familienverhältnisse zu mischen berechtigen.
Nach dem Tode der Eltern bestimmen die Grundsätze des natürlichen Rechts minder klar, an wen die Sorgfalt der noch übrigen Erziehung fallen soll. Der Staat muss daher genau festsetzen, wer von den Verwandten die Vormundschaft über- nehmen, oder, wenn von diesen keiner dazu im Stande ist, wie einer der übrigen Bürger dazu gewählt werden soll. Ebenso muss er die nothwendigen Eigenschaften der Fähigkeit der Vormünder bestimmen. Da die Vormünder die Pflichten der Eltern übernehmen; so treten sie auch in alle Rechte derselben;
einmal ganz in dieser Platz finden können, da es grossentheils von individuellen Umständen specieller Lagen abhängt.
Dem Staat liegt es nun ob, für die Sicherheit der Rechte der Kinder gegen die Eltern Sorge zu tragen, und er muss da- her zuerst ein gesetzmässiges Alter der Reife bestimmen. Dies muss nun natürlich nicht nur nach der Verschiedenheit des Klima’s und selbst des Zeitalters verschieden sein, sondern auch individuelle Lagen, je nachdem nämlich mehr oder minder Reife der Beurtheilungskraft in denselben erfordert wird, können mit Recht darauf Einfluss haben. Hiernächst muss er verhindern, dass die väterliche Gewalt nicht über ihre Gränzen hinaus- schreite, und darf daher dieselbe mit seiner genauesten Aufsicht nicht verlassen. Jedoch muss diese Aufsicht niemals positiv den Eltern eine bestimmte Bildung und Erziehung der Kinder vorschreiben wollen, sondern nur immer negativ dahin gerichtet sein, Eltern und Kinder gegenseitig in den, ihnen vom Gesetz bestimmten Schranken zu erhalten. Daher scheint es auch weder gerecht, noch rathsam, fortdauernde Rechenschaft von den Eltern zu fordern; man muss ihnen zutrauen, dass sie eine Pflicht nicht verabsäumen werden, welche ihrem Herzen so nah liegt; und erst solche Fälle, wo entweder schon wirkliche Ver- letzungen dieser Pflicht geschehen, oder sehr nah bevorstehen, können den Staat, sich in diese Familienverhältnisse zu mischen berechtigen.
Nach dem Tode der Eltern bestimmen die Grundsätze des natürlichen Rechts minder klar, an wen die Sorgfalt der noch übrigen Erziehung fallen soll. Der Staat muss daher genau festsetzen, wer von den Verwandten die Vormundschaft über- nehmen, oder, wenn von diesen keiner dazu im Stande ist, wie einer der übrigen Bürger dazu gewählt werden soll. Ebenso muss er die nothwendigen Eigenschaften der Fähigkeit der Vormünder bestimmen. Da die Vormünder die Pflichten der Eltern übernehmen; so treten sie auch in alle Rechte derselben;
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einmal ganz in dieser Platz finden können, da es grossentheils
von individuellen Umständen specieller Lagen abhängt.
Dem Staat liegt es nun ob, für die Sicherheit der Rechte
der Kinder gegen die Eltern Sorge zu tragen, und er muss da-
her zuerst ein gesetzmässiges Alter der Reife bestimmen. Dies
muss nun natürlich nicht nur nach der Verschiedenheit des
Klima’s und selbst des Zeitalters verschieden sein, sondern auch
individuelle Lagen, je nachdem nämlich mehr oder minder Reife
der Beurtheilungskraft in denselben erfordert wird, können mit
Recht darauf Einfluss haben. Hiernächst muss er verhindern,
dass die väterliche Gewalt nicht über ihre Gränzen hinaus-
schreite, und darf daher dieselbe mit seiner genauesten Aufsicht
nicht verlassen. Jedoch muss diese Aufsicht niemals positiv
den Eltern eine bestimmte Bildung und Erziehung der Kinder
vorschreiben wollen, sondern nur immer negativ dahin gerichtet
sein, Eltern und Kinder gegenseitig in den, ihnen vom Gesetz
bestimmten Schranken zu erhalten. Daher scheint es auch
weder gerecht, noch rathsam, fortdauernde Rechenschaft von
den Eltern zu fordern; man muss ihnen zutrauen, dass sie eine
Pflicht nicht verabsäumen werden, welche ihrem Herzen so nah
liegt; und erst solche Fälle, wo entweder schon wirkliche Ver-
letzungen dieser Pflicht geschehen, oder sehr nah bevorstehen,
können den Staat, sich in diese Familienverhältnisse zu mischen
berechtigen.
Nach dem Tode der Eltern bestimmen die Grundsätze des
natürlichen Rechts minder klar, an wen die Sorgfalt der noch
übrigen Erziehung fallen soll. Der Staat muss daher genau
festsetzen, wer von den Verwandten die Vormundschaft über-
nehmen, oder, wenn von diesen keiner dazu im Stande ist, wie
einer der übrigen Bürger dazu gewählt werden soll. Ebenso
muss er die nothwendigen Eigenschaften der Fähigkeit der
Vormünder bestimmen. Da die Vormünder die Pflichten der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/200>, abgerufen am 16.07.2024.
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