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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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Folge damit gehalten werden soll? und dass alle vorhin
erwähnte Nachtheile nur von den letztren, alle Vortheile hin-
gegen allein von den ersteren gelten. Denn haben die Gesetze
nur, wie sie allerdings müssen, durch gehörige Bestimmung
eines Pflichttheils Sorge getragen, dass kein Erblasser eine
wahre Unbilligkeit oder Ungerechtigkeit begehen kann, so scheint
mir von der blos wohlwollenden Meinung, jemanden noch nach
seinem Tode zu beschenken, keine sonderliche Gefahr zu be-
fürchten zu sein. Auch werden die Grundsätze, nach welchen die
Menschen hierin verfahren werden, zu Einer Zeit gewiss immer
ziemlich dieselben sein, und die grössere Häufigkeit oder Sel-
tenheit der Testamente wird dem Gesetzgeber selbst zugleich
zu einem Kennzeichen dienen, ob die von ihm eingeführte Inte-
staterbfolge noch passend ist, oder nicht? Dürfte es daher viel-
leicht nicht rathsam sein, nach der zwiefachen Natur dieses Ge-
genstandes, auch die Maassregeln des Staats in Betreff seiner
zu theilen? auf der einen Seite zwar jedem zu gestatten, die
Einschränkung in Absicht des Pflichttheils ausgenommen, zu
bestimmen, wer sein Vermögen nach seinem Tode besitzen
solle? aber ihm auf der andern zu verbieten, gleichfalls auf
irgend eine nur denkbare Weise zu verordnen, wie derselbe
übrigens damit schalten, oder walten solle? Leicht könnte nun
zwar das, was der Staat erlaubte, als ein Mittel gemissbraucht
werden, auch das zu thun, was er untersagte. Allein diesem
müsste die Gesetzgebung durch einzelne und genaue Bestim-
mungen zuvorzukommen bemüht sein. Als solche Bestimmun-
gen liessen sich z. B. da die Ausführung dieser Materie nicht
hieher gehört, folgende vorschlagen, dass der Erbe durch keine
Bedingung bezeichnet werden dürfte, die er, nach dem Tode
des Erblassers, vollbringen müsste, um wirklich Erbe zu sein;
dass der Erblasser immer nur den nächsten Besitzer seines
Vermögens, nie aber einen folgenden ernennen, und dadurch
die Freiheit des früheren beschränken dürfte; dass er zwar

Folge damit gehalten werden soll? und dass alle vorhin
erwähnte Nachtheile nur von den letztren, alle Vortheile hin-
gegen allein von den ersteren gelten. Denn haben die Gesetze
nur, wie sie allerdings müssen, durch gehörige Bestimmung
eines Pflichttheils Sorge getragen, dass kein Erblasser eine
wahre Unbilligkeit oder Ungerechtigkeit begehen kann, so scheint
mir von der blos wohlwollenden Meinung, jemanden noch nach
seinem Tode zu beschenken, keine sonderliche Gefahr zu be-
fürchten zu sein. Auch werden die Grundsätze, nach welchen die
Menschen hierin verfahren werden, zu Einer Zeit gewiss immer
ziemlich dieselben sein, und die grössere Häufigkeit oder Sel-
tenheit der Testamente wird dem Gesetzgeber selbst zugleich
zu einem Kennzeichen dienen, ob die von ihm eingeführte Inte-
staterbfolge noch passend ist, oder nicht? Dürfte es daher viel-
leicht nicht rathsam sein, nach der zwiefachen Natur dieses Ge-
genstandes, auch die Maassregeln des Staats in Betreff seiner
zu theilen? auf der einen Seite zwar jedem zu gestatten, die
Einschränkung in Absicht des Pflichttheils ausgenommen, zu
bestimmen, wer sein Vermögen nach seinem Tode besitzen
solle? aber ihm auf der andern zu verbieten, gleichfalls auf
irgend eine nur denkbare Weise zu verordnen, wie derselbe
übrigens damit schalten, oder walten solle? Leicht könnte nun
zwar das, was der Staat erlaubte, als ein Mittel gemissbraucht
werden, auch das zu thun, was er untersagte. Allein diesem
müsste die Gesetzgebung durch einzelne und genaue Bestim-
mungen zuvorzukommen bemüht sein. Als solche Bestimmun-
gen liessen sich z. B. da die Ausführung dieser Materie nicht
hieher gehört, folgende vorschlagen, dass der Erbe durch keine
Bedingung bezeichnet werden dürfte, die er, nach dem Tode
des Erblassers, vollbringen müsste, um wirklich Erbe zu sein;
dass der Erblasser immer nur den nächsten Besitzer seines
Vermögens, nie aber einen folgenden ernennen, und dadurch
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[126/0162] Folge damit gehalten werden soll? und dass alle vorhin erwähnte Nachtheile nur von den letztren, alle Vortheile hin- gegen allein von den ersteren gelten. Denn haben die Gesetze nur, wie sie allerdings müssen, durch gehörige Bestimmung eines Pflichttheils Sorge getragen, dass kein Erblasser eine wahre Unbilligkeit oder Ungerechtigkeit begehen kann, so scheint mir von der blos wohlwollenden Meinung, jemanden noch nach seinem Tode zu beschenken, keine sonderliche Gefahr zu be- fürchten zu sein. Auch werden die Grundsätze, nach welchen die Menschen hierin verfahren werden, zu Einer Zeit gewiss immer ziemlich dieselben sein, und die grössere Häufigkeit oder Sel- tenheit der Testamente wird dem Gesetzgeber selbst zugleich zu einem Kennzeichen dienen, ob die von ihm eingeführte Inte- staterbfolge noch passend ist, oder nicht? Dürfte es daher viel- leicht nicht rathsam sein, nach der zwiefachen Natur dieses Ge- genstandes, auch die Maassregeln des Staats in Betreff seiner zu theilen? auf der einen Seite zwar jedem zu gestatten, die Einschränkung in Absicht des Pflichttheils ausgenommen, zu bestimmen, wer sein Vermögen nach seinem Tode besitzen solle? aber ihm auf der andern zu verbieten, gleichfalls auf irgend eine nur denkbare Weise zu verordnen, wie derselbe übrigens damit schalten, oder walten solle? Leicht könnte nun zwar das, was der Staat erlaubte, als ein Mittel gemissbraucht werden, auch das zu thun, was er untersagte. Allein diesem müsste die Gesetzgebung durch einzelne und genaue Bestim- mungen zuvorzukommen bemüht sein. Als solche Bestimmun- gen liessen sich z. B. da die Ausführung dieser Materie nicht hieher gehört, folgende vorschlagen, dass der Erbe durch keine Bedingung bezeichnet werden dürfte, die er, nach dem Tode des Erblassers, vollbringen müsste, um wirklich Erbe zu sein; dass der Erblasser immer nur den nächsten Besitzer seines Vermögens, nie aber einen folgenden ernennen, und dadurch die Freiheit des früheren beschränken dürfte; dass er zwar

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/162>, abgerufen am 25.11.2024.