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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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von Jahrhunderten zu Jahrhunderten forterben, wodurch end-
lich, statt dass die Menschen den Dingen die Gestalt geben
sollten, diese die Menschen selbst ihrem Joche unterwerfen.
Auch lenken sie am meisten den Gesichtspunkt der Menschen
von der wahren Kraft und ihrer Ausbildung ab, und auf den
äussren Besitz, und das Vermögen hin, da dies nun einmal das
Einzige ist, wodurch dem Willen noch nach dem Tode Gehor-
sam erzwungen werden kann. Endlich dient die Freiheit letzt-
williger Verordnungen sehr oft und meistentheils gerade den
unedleren Leidenschaften des Menschen, dem Stolze, der
Herrschsucht, der Eitelkeit u. s. f. so wie überhaupt viel häufi-
ger nur die minder Weisen und minder Guten davon Gebrauch
machen, da der Weisere sich in Acht nimmt, etwas für eine
Zeit zu verordnen, deren individuelle Umstände seiner Kurzsich-
tigkeit verborgen sind, und der Bessere sich freut, auf keine
Gelegenheit zu stossen, wo er den Willen andrer einschränken
muss, statt dieselben noch begierig hervorzusuchen. Nicht
selten mag sogar das Geheimniss und die Sicherheit vor dem
Urtheil der Mitwelt Dispositionen begünstigen, die sonst die
Schaam unterdrückt hätte. Diese Gründe zeigen, wie es mir
scheint hinlänglich die Nothwendigkeit, wenigstens gegen die
Gefahr zu sichern, welche die testamentarischen Dispositionen
der Freiheit der Bürger drohen.

Was soll aber, wenn der Staat die Befugniss gänzlich auf-
hebt, Verordnungen zu machen, welche sich auf den Fall des
Todes beziehen -- wie denn die Strenge der Grundsätze dies
allerdings erfordert -- an ihre Stelle treten? Da Ruhe und
Ordnung allen erlaubte Besitznehmung unmöglich machen,
unstreitig nichts anders als eine vom Staat festgesetzte In-
testat-Erbfolge. Allein dem Staate einen so mächtigen posi-
tiven Einfluss, als er durch diese Erbfolge, bei gänzlicher
Abschaffung der eignen Willenserklärungen der Erblasser, er-
hielte, einzuräumen, verbieten auf der andren Seite manche der

von Jahrhunderten zu Jahrhunderten forterben, wodurch end-
lich, statt dass die Menschen den Dingen die Gestalt geben
sollten, diese die Menschen selbst ihrem Joche unterwerfen.
Auch lenken sie am meisten den Gesichtspunkt der Menschen
von der wahren Kraft und ihrer Ausbildung ab, und auf den
äussren Besitz, und das Vermögen hin, da dies nun einmal das
Einzige ist, wodurch dem Willen noch nach dem Tode Gehor-
sam erzwungen werden kann. Endlich dient die Freiheit letzt-
williger Verordnungen sehr oft und meistentheils gerade den
unedleren Leidenschaften des Menschen, dem Stolze, der
Herrschsucht, der Eitelkeit u. s. f. so wie überhaupt viel häufi-
ger nur die minder Weisen und minder Guten davon Gebrauch
machen, da der Weisere sich in Acht nimmt, etwas für eine
Zeit zu verordnen, deren individuelle Umstände seiner Kurzsich-
tigkeit verborgen sind, und der Bessere sich freut, auf keine
Gelegenheit zu stossen, wo er den Willen andrer einschränken
muss, statt dieselben noch begierig hervorzusuchen. Nicht
selten mag sogar das Geheimniss und die Sicherheit vor dem
Urtheil der Mitwelt Dispositionen begünstigen, die sonst die
Schaam unterdrückt hätte. Diese Gründe zeigen, wie es mir
scheint hinlänglich die Nothwendigkeit, wenigstens gegen die
Gefahr zu sichern, welche die testamentarischen Dispositionen
der Freiheit der Bürger drohen.

Was soll aber, wenn der Staat die Befugniss gänzlich auf-
hebt, Verordnungen zu machen, welche sich auf den Fall des
Todes beziehen — wie denn die Strenge der Grundsätze dies
allerdings erfordert — an ihre Stelle treten? Da Ruhe und
Ordnung allen erlaubte Besitznehmung unmöglich machen,
unstreitig nichts anders als eine vom Staat festgesetzte In-
testat-Erbfolge. Allein dem Staate einen so mächtigen posi-
tiven Einfluss, als er durch diese Erbfolge, bei gänzlicher
Abschaffung der eignen Willenserklärungen der Erblasser, er-
hielte, einzuräumen, verbieten auf der andren Seite manche der

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[124/0160] von Jahrhunderten zu Jahrhunderten forterben, wodurch end- lich, statt dass die Menschen den Dingen die Gestalt geben sollten, diese die Menschen selbst ihrem Joche unterwerfen. Auch lenken sie am meisten den Gesichtspunkt der Menschen von der wahren Kraft und ihrer Ausbildung ab, und auf den äussren Besitz, und das Vermögen hin, da dies nun einmal das Einzige ist, wodurch dem Willen noch nach dem Tode Gehor- sam erzwungen werden kann. Endlich dient die Freiheit letzt- williger Verordnungen sehr oft und meistentheils gerade den unedleren Leidenschaften des Menschen, dem Stolze, der Herrschsucht, der Eitelkeit u. s. f. so wie überhaupt viel häufi- ger nur die minder Weisen und minder Guten davon Gebrauch machen, da der Weisere sich in Acht nimmt, etwas für eine Zeit zu verordnen, deren individuelle Umstände seiner Kurzsich- tigkeit verborgen sind, und der Bessere sich freut, auf keine Gelegenheit zu stossen, wo er den Willen andrer einschränken muss, statt dieselben noch begierig hervorzusuchen. Nicht selten mag sogar das Geheimniss und die Sicherheit vor dem Urtheil der Mitwelt Dispositionen begünstigen, die sonst die Schaam unterdrückt hätte. Diese Gründe zeigen, wie es mir scheint hinlänglich die Nothwendigkeit, wenigstens gegen die Gefahr zu sichern, welche die testamentarischen Dispositionen der Freiheit der Bürger drohen. Was soll aber, wenn der Staat die Befugniss gänzlich auf- hebt, Verordnungen zu machen, welche sich auf den Fall des Todes beziehen — wie denn die Strenge der Grundsätze dies allerdings erfordert — an ihre Stelle treten? Da Ruhe und Ordnung allen erlaubte Besitznehmung unmöglich machen, unstreitig nichts anders als eine vom Staat festgesetzte In- testat-Erbfolge. Allein dem Staate einen so mächtigen posi- tiven Einfluss, als er durch diese Erbfolge, bei gänzlicher Abschaffung der eignen Willenserklärungen der Erblasser, er- hielte, einzuräumen, verbieten auf der andren Seite manche der

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/160>, abgerufen am 25.11.2024.