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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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Wort unwiderruflich binde, so dass man diesen Zwang nie,
ohne eine wahre Nothwendigkeit, erleichtern muss, welche bei
der Uebertragung von Sachen, wodurch zwar diese oder jene
Ausübung der menschlichen Thätigkeit gehemmt, aber die
Energie selbst nicht leicht geschwächt werden kann, nicht ein-
tritt. Bei Verträgen hingegen, welche persönliche Leistungen
zur Pflicht machen, oder gar eigentliche persönliche Verhältnisse
hervorbringen, ist es bei weitem anders. Der Zwang ist bei
ihnen den edelsten Kräften des Menschen nachtheilig, und da
das Gelingen der Geschäfte selbst, die durch sie bewirkt wer-
den, obgleich mehr oder minder, von der fortdauernden Ein-
willigung der Partheien abhängt; so ist auch bei ihnen eine
Einschränkung dieser Art minder schädlich. Wo daher durch
den Vertrag ein solches persönliches Verhältniss entsteht, das
nicht blos einzelne Handlungen fordert, sondern im eigentlich-
sten Sinn die Person und die ganze Lebensweise betrifft, wo
dasjenige, was geleistet, oder dasjenige, dem entsagt wird, in
dem genauesten Zusammenhange mit inneren Empfindungen
steht, da muss die Trennung zu jeder Zeit, und ohne Anführung
aller Gründe erlaubt sein. So bei der Ehe. Wo das Verhält-
niss zwar weniger eng ist, indess gleichfalls die persönliche
Freiheit eng beschränkt, da, glaube ich, müsste der Staat eine
Zeit festsetzen, deren Länge auf der einen Seite nach der Wich-
tigkeit der Beschränkung, auf der andern nach der Natur des
Geschäfts zu bestimmen wäre, binnen welcher zwar keiner bei-
der Theile einseitig abgehen dürfte, nach Verlauf welcher aber
der Vertrag ohne Erneuerung, kein Zwangsrecht nach sich
ziehen könnte, selbst dann nicht, wenn die Partheien, bei Ein-
gehung des Vertrags, diesem Gesetze entsagt hätten. Denn
wenn es gleich scheint, als sei eine solche Anordnung eine blosse
Wohlthat des Gesetzes, und dürfte sie, ebensowenig als irgend
eine andre, jemanden aufgedrungen werden; so wird ja nieman-
den hierdurch die Befugniss genommen, auch das ganze Leben

Wort unwiderruflich binde, so dass man diesen Zwang nie,
ohne eine wahre Nothwendigkeit, erleichtern muss, welche bei
der Uebertragung von Sachen, wodurch zwar diese oder jene
Ausübung der menschlichen Thätigkeit gehemmt, aber die
Energie selbst nicht leicht geschwächt werden kann, nicht ein-
tritt. Bei Verträgen hingegen, welche persönliche Leistungen
zur Pflicht machen, oder gar eigentliche persönliche Verhältnisse
hervorbringen, ist es bei weitem anders. Der Zwang ist bei
ihnen den edelsten Kräften des Menschen nachtheilig, und da
das Gelingen der Geschäfte selbst, die durch sie bewirkt wer-
den, obgleich mehr oder minder, von der fortdauernden Ein-
willigung der Partheien abhängt; so ist auch bei ihnen eine
Einschränkung dieser Art minder schädlich. Wo daher durch
den Vertrag ein solches persönliches Verhältniss entsteht, das
nicht blos einzelne Handlungen fordert, sondern im eigentlich-
sten Sinn die Person und die ganze Lebensweise betrifft, wo
dasjenige, was geleistet, oder dasjenige, dem entsagt wird, in
dem genauesten Zusammenhange mit inneren Empfindungen
steht, da muss die Trennung zu jeder Zeit, und ohne Anführung
aller Gründe erlaubt sein. So bei der Ehe. Wo das Verhält-
niss zwar weniger eng ist, indess gleichfalls die persönliche
Freiheit eng beschränkt, da, glaube ich, müsste der Staat eine
Zeit festsetzen, deren Länge auf der einen Seite nach der Wich-
tigkeit der Beschränkung, auf der andern nach der Natur des
Geschäfts zu bestimmen wäre, binnen welcher zwar keiner bei-
der Theile einseitig abgehen dürfte, nach Verlauf welcher aber
der Vertrag ohne Erneuerung, kein Zwangsrecht nach sich
ziehen könnte, selbst dann nicht, wenn die Partheien, bei Ein-
gehung des Vertrags, diesem Gesetze entsagt hätten. Denn
wenn es gleich scheint, als sei eine solche Anordnung eine blosse
Wohlthat des Gesetzes, und dürfte sie, ebensowenig als irgend
eine andre, jemanden aufgedrungen werden; so wird ja nieman-
den hierdurch die Befugniss genommen, auch das ganze Leben

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[121/0157] Wort unwiderruflich binde, so dass man diesen Zwang nie, ohne eine wahre Nothwendigkeit, erleichtern muss, welche bei der Uebertragung von Sachen, wodurch zwar diese oder jene Ausübung der menschlichen Thätigkeit gehemmt, aber die Energie selbst nicht leicht geschwächt werden kann, nicht ein- tritt. Bei Verträgen hingegen, welche persönliche Leistungen zur Pflicht machen, oder gar eigentliche persönliche Verhältnisse hervorbringen, ist es bei weitem anders. Der Zwang ist bei ihnen den edelsten Kräften des Menschen nachtheilig, und da das Gelingen der Geschäfte selbst, die durch sie bewirkt wer- den, obgleich mehr oder minder, von der fortdauernden Ein- willigung der Partheien abhängt; so ist auch bei ihnen eine Einschränkung dieser Art minder schädlich. Wo daher durch den Vertrag ein solches persönliches Verhältniss entsteht, das nicht blos einzelne Handlungen fordert, sondern im eigentlich- sten Sinn die Person und die ganze Lebensweise betrifft, wo dasjenige, was geleistet, oder dasjenige, dem entsagt wird, in dem genauesten Zusammenhange mit inneren Empfindungen steht, da muss die Trennung zu jeder Zeit, und ohne Anführung aller Gründe erlaubt sein. So bei der Ehe. Wo das Verhält- niss zwar weniger eng ist, indess gleichfalls die persönliche Freiheit eng beschränkt, da, glaube ich, müsste der Staat eine Zeit festsetzen, deren Länge auf der einen Seite nach der Wich- tigkeit der Beschränkung, auf der andern nach der Natur des Geschäfts zu bestimmen wäre, binnen welcher zwar keiner bei- der Theile einseitig abgehen dürfte, nach Verlauf welcher aber der Vertrag ohne Erneuerung, kein Zwangsrecht nach sich ziehen könnte, selbst dann nicht, wenn die Partheien, bei Ein- gehung des Vertrags, diesem Gesetze entsagt hätten. Denn wenn es gleich scheint, als sei eine solche Anordnung eine blosse Wohlthat des Gesetzes, und dürfte sie, ebensowenig als irgend eine andre, jemanden aufgedrungen werden; so wird ja nieman- den hierdurch die Befugniss genommen, auch das ganze Leben

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/157>, abgerufen am 02.05.2024.