Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

oder einer so nah oder so fern das Recht kränkenden Hand-
lung verstehen kann. Gerade aber dieser Umfang ist von über-
aus grosser Wichtigkeit, und wird er zu weit ausgedehnt, oder
zu eng eingeschränkt; so sind wiederum, wenn gleich unter
andern Namen, alle Gränzen vermischt. Ohne eine genaue
Bestimmung jenes Umfangs also ist an eine Berichtigung dieser
Gränzen nicht zu denken. Dann müssen auch die Mittel,
deren sich der Staat bedienen darf, oder nicht, noch bei weitem
genauer auseinandergesetzt und geprüft werden. Denn wenn
gleich ein auf die wirkliche Umformung der Sitten gerichtetes
Bemühen des Staats, nach dem Vorigen, nicht rathsam scheint,
so ist hier doch noch für die Wirksamkeit des Staats ein viel
zu unbestimmter Spielraum gelassen, und z. B. die Frage noch
sehr wenig erörtert, wie weit die einschränkenden Gesetze des
Staats sich von der, unmittelbar das Recht andrer beleidigen-
den Handlung entfernen? inwiefern derselbe wirkliche Ver-
brechen durch Verstopfung ihrer Quellen, nicht in dem Cha-
rakter der Bürger, aber in den Gelegenheiten der Ausübung
verhüten darf? Wie sehr aber, und mit wie grossem Nachtheile
hierin zu weit gegangen werden kann, ist schon daraus klar,
dass gerade Sorgfalt für die Freiheit mehrere gute Köpfe ver-
mocht hat, den Staat für das Wohl der Bürger überhaupt ver-
antwortlich zu machen, indem sie glaubten, dass dieser allge-
meinere Gesichtspunkt die ungehemmte Thätigkeit der Kräfte
befördern würde. Diese Betrachtungen nöthigen mich daher
zu dem Geständniss, bis hieher mehr grosse, und in der That
ziemlich sichtbar ausserhalb der Schranken der Wirksamkeit
des Staats liegende Stücke abgesondert, als die genaueren
Gränzen, und gerade da, wo sie zweifelhaft und streitig schei-
nen konnten, bestimmt zu haben. Dies bleibt mir jetzt zu
thun übrig, und sollte es mir auch selbst nicht völlig gelingen,
so glaube ich doch wenigstens dahin streben zu müssen, die
Gründe dieses Misslingens so deutlich und vollständig als

oder einer so nah oder so fern das Recht kränkenden Hand-
lung verstehen kann. Gerade aber dieser Umfang ist von über-
aus grosser Wichtigkeit, und wird er zu weit ausgedehnt, oder
zu eng eingeschränkt; so sind wiederum, wenn gleich unter
andern Namen, alle Gränzen vermischt. Ohne eine genaue
Bestimmung jenes Umfangs also ist an eine Berichtigung dieser
Gränzen nicht zu denken. Dann müssen auch die Mittel,
deren sich der Staat bedienen darf, oder nicht, noch bei weitem
genauer auseinandergesetzt und geprüft werden. Denn wenn
gleich ein auf die wirkliche Umformung der Sitten gerichtetes
Bemühen des Staats, nach dem Vorigen, nicht rathsam scheint,
so ist hier doch noch für die Wirksamkeit des Staats ein viel
zu unbestimmter Spielraum gelassen, und z. B. die Frage noch
sehr wenig erörtert, wie weit die einschränkenden Gesetze des
Staats sich von der, unmittelbar das Recht andrer beleidigen-
den Handlung entfernen? inwiefern derselbe wirkliche Ver-
brechen durch Verstopfung ihrer Quellen, nicht in dem Cha-
rakter der Bürger, aber in den Gelegenheiten der Ausübung
verhüten darf? Wie sehr aber, und mit wie grossem Nachtheile
hierin zu weit gegangen werden kann, ist schon daraus klar,
dass gerade Sorgfalt für die Freiheit mehrere gute Köpfe ver-
mocht hat, den Staat für das Wohl der Bürger überhaupt ver-
antwortlich zu machen, indem sie glaubten, dass dieser allge-
meinere Gesichtspunkt die ungehemmte Thätigkeit der Kräfte
befördern würde. Diese Betrachtungen nöthigen mich daher
zu dem Geständniss, bis hieher mehr grosse, und in der That
ziemlich sichtbar ausserhalb der Schranken der Wirksamkeit
des Staats liegende Stücke abgesondert, als die genaueren
Gränzen, und gerade da, wo sie zweifelhaft und streitig schei-
nen konnten, bestimmt zu haben. Dies bleibt mir jetzt zu
thun übrig, und sollte es mir auch selbst nicht völlig gelingen,
so glaube ich doch wenigstens dahin streben zu müssen, die
Gründe dieses Misslingens so deutlich und vollständig als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0138" n="102"/>
oder einer so nah oder so fern das Recht kränkenden Hand-<lb/>
lung verstehen kann. Gerade aber dieser Umfang ist von über-<lb/>
aus grosser Wichtigkeit, und wird er zu weit ausgedehnt, oder<lb/>
zu eng eingeschränkt; so sind wiederum, wenn gleich unter<lb/>
andern Namen, alle Gränzen vermischt. Ohne eine genaue<lb/>
Bestimmung jenes Umfangs also ist an eine Berichtigung dieser<lb/>
Gränzen nicht zu denken. Dann müssen auch die Mittel,<lb/>
deren sich der Staat bedienen darf, oder nicht, noch bei weitem<lb/>
genauer auseinandergesetzt und geprüft werden. Denn wenn<lb/>
gleich ein auf die wirkliche Umformung der Sitten gerichtetes<lb/>
Bemühen des Staats, nach dem Vorigen, nicht rathsam scheint,<lb/>
so ist hier doch noch für die Wirksamkeit des Staats ein viel<lb/>
zu unbestimmter Spielraum gelassen, und z. B. die Frage noch<lb/>
sehr wenig erörtert, wie weit die einschränkenden Gesetze des<lb/>
Staats sich von der, unmittelbar das Recht andrer beleidigen-<lb/>
den Handlung entfernen? inwiefern derselbe wirkliche Ver-<lb/>
brechen durch Verstopfung ihrer Quellen, nicht in dem Cha-<lb/>
rakter der Bürger, aber in den Gelegenheiten der Ausübung<lb/>
verhüten darf? Wie sehr aber, und mit wie grossem Nachtheile<lb/>
hierin zu weit gegangen werden kann, ist schon daraus klar,<lb/>
dass gerade Sorgfalt für die Freiheit mehrere gute Köpfe ver-<lb/>
mocht hat, den Staat für das Wohl der Bürger überhaupt ver-<lb/>
antwortlich zu machen, indem sie glaubten, dass dieser allge-<lb/>
meinere Gesichtspunkt die ungehemmte Thätigkeit der Kräfte<lb/>
befördern würde. Diese Betrachtungen nöthigen mich daher<lb/>
zu dem Geständniss, bis hieher mehr grosse, und in der That<lb/>
ziemlich sichtbar ausserhalb der Schranken der Wirksamkeit<lb/>
des Staats liegende Stücke abgesondert, als die genaueren<lb/>
Gränzen, und gerade da, wo sie zweifelhaft und streitig schei-<lb/>
nen konnten, bestimmt zu haben. Dies bleibt mir jetzt zu<lb/>
thun übrig, und sollte es mir auch selbst nicht völlig gelingen,<lb/>
so glaube ich doch wenigstens dahin streben zu müssen, die<lb/>
Gründe dieses Misslingens so deutlich und vollständig als<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0138] oder einer so nah oder so fern das Recht kränkenden Hand- lung verstehen kann. Gerade aber dieser Umfang ist von über- aus grosser Wichtigkeit, und wird er zu weit ausgedehnt, oder zu eng eingeschränkt; so sind wiederum, wenn gleich unter andern Namen, alle Gränzen vermischt. Ohne eine genaue Bestimmung jenes Umfangs also ist an eine Berichtigung dieser Gränzen nicht zu denken. Dann müssen auch die Mittel, deren sich der Staat bedienen darf, oder nicht, noch bei weitem genauer auseinandergesetzt und geprüft werden. Denn wenn gleich ein auf die wirkliche Umformung der Sitten gerichtetes Bemühen des Staats, nach dem Vorigen, nicht rathsam scheint, so ist hier doch noch für die Wirksamkeit des Staats ein viel zu unbestimmter Spielraum gelassen, und z. B. die Frage noch sehr wenig erörtert, wie weit die einschränkenden Gesetze des Staats sich von der, unmittelbar das Recht andrer beleidigen- den Handlung entfernen? inwiefern derselbe wirkliche Ver- brechen durch Verstopfung ihrer Quellen, nicht in dem Cha- rakter der Bürger, aber in den Gelegenheiten der Ausübung verhüten darf? Wie sehr aber, und mit wie grossem Nachtheile hierin zu weit gegangen werden kann, ist schon daraus klar, dass gerade Sorgfalt für die Freiheit mehrere gute Köpfe ver- mocht hat, den Staat für das Wohl der Bürger überhaupt ver- antwortlich zu machen, indem sie glaubten, dass dieser allge- meinere Gesichtspunkt die ungehemmte Thätigkeit der Kräfte befördern würde. Diese Betrachtungen nöthigen mich daher zu dem Geständniss, bis hieher mehr grosse, und in der That ziemlich sichtbar ausserhalb der Schranken der Wirksamkeit des Staats liegende Stücke abgesondert, als die genaueren Gränzen, und gerade da, wo sie zweifelhaft und streitig schei- nen konnten, bestimmt zu haben. Dies bleibt mir jetzt zu thun übrig, und sollte es mir auch selbst nicht völlig gelingen, so glaube ich doch wenigstens dahin streben zu müssen, die Gründe dieses Misslingens so deutlich und vollständig als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/138
Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/138>, abgerufen am 05.05.2024.