Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

auf die Sitten und den Charakter der Nation selbst zu wirken,
diesem eine bestimmte Richtung zu geben, oder zu nehmen,
versucht werden dürfe. Gewissermassen könnte daher die
Frage: in welchen Schranken der Staat seine Wirksamkeit
halten müsse? schon vollständig beantwortet scheinen, indem
diese Wirksamkeit auf die Erhaltung der Sicherheit, und in
Absicht der Mittel hiezu noch genauer auf diejenigen einge-
schränkt ist, welche sich nicht damit befassen, die Nation zu
den Endzwecken des Staats gleichsam bilden, oder vielmehr
ziehen zu wollen. Denn wenn diese Bestimmung gleich nur
negativ ist, so zeigt sich doch das, was, nach geschehener
Absonderung, übrig bleibt, von selbst deutlich genug. Der
Staat wird nämlich allein sich auf Handlungen, welche unmit-
telbar und geradezu in fremdes Recht eingreifen, ausbreiten,
nur das streitige Recht entscheiden, das verletzte wieder her-
stellen und die Verletzer bestrafen dürfen. Allein der Begriff
der Sicherheit, zu dessen näherer Bestimmung bis jetzt nichts
andres gesagt ist, als dass von der Sicherheit vor auswärtigen
Feinden, und vor Beeinträchtigungen der Mitbürger selbst die
Rede sei, ist zu weit und vielumfassend, um nicht einer genaueren
Auseinandersetzung zu bedürfen. Denn so verschieden auf der
einen Seite die Nüancen von dem blos Ueberzeugung beabsich-
tenden Rath zur zudringlichen Empfehlung, und von da z um
nöthigenden Zwange, und eben so verschieden und vielfach die
Grade der Unbilligkeit oder Ungerechtigkeit von der, inner-
halb der Schranken des eignen Rechts ausgeübten, aber dem
andern möglicherweise schädlichen Handlung, bis zu der,
gleichfalls sich nicht aus jenen Schranken entfernenden, aber
den andern im Genuss seines Eigenthums sehr leicht, oder
immer störenden, und von da bis zu einem wirklichen Eingriff
in fremdes Eigenthum sind; ebenso verschieden ist auch der
Umfang des Begriffs der Sicherheit, indem man darunter
Sicherheit von einem solchen oder solchen Grade des Zwanges,

auf die Sitten und den Charakter der Nation selbst zu wirken,
diesem eine bestimmte Richtung zu geben, oder zu nehmen,
versucht werden dürfe. Gewissermassen könnte daher die
Frage: in welchen Schranken der Staat seine Wirksamkeit
halten müsse? schon vollständig beantwortet scheinen, indem
diese Wirksamkeit auf die Erhaltung der Sicherheit, und in
Absicht der Mittel hiezu noch genauer auf diejenigen einge-
schränkt ist, welche sich nicht damit befassen, die Nation zu
den Endzwecken des Staats gleichsam bilden, oder vielmehr
ziehen zu wollen. Denn wenn diese Bestimmung gleich nur
negativ ist, so zeigt sich doch das, was, nach geschehener
Absonderung, übrig bleibt, von selbst deutlich genug. Der
Staat wird nämlich allein sich auf Handlungen, welche unmit-
telbar und geradezu in fremdes Recht eingreifen, ausbreiten,
nur das streitige Recht entscheiden, das verletzte wieder her-
stellen und die Verletzer bestrafen dürfen. Allein der Begriff
der Sicherheit, zu dessen näherer Bestimmung bis jetzt nichts
andres gesagt ist, als dass von der Sicherheit vor auswärtigen
Feinden, und vor Beeinträchtigungen der Mitbürger selbst die
Rede sei, ist zu weit und vielumfassend, um nicht einer genaueren
Auseinandersetzung zu bedürfen. Denn so verschieden auf der
einen Seite die Nüancen von dem blos Ueberzeugung beabsich-
tenden Rath zur zudringlichen Empfehlung, und von da z um
nöthigenden Zwange, und eben so verschieden und vielfach die
Grade der Unbilligkeit oder Ungerechtigkeit von der, inner-
halb der Schranken des eignen Rechts ausgeübten, aber dem
andern möglicherweise schädlichen Handlung, bis zu der,
gleichfalls sich nicht aus jenen Schranken entfernenden, aber
den andern im Genuss seines Eigenthums sehr leicht, oder
immer störenden, und von da bis zu einem wirklichen Eingriff
in fremdes Eigenthum sind; ebenso verschieden ist auch der
Umfang des Begriffs der Sicherheit, indem man darunter
Sicherheit von einem solchen oder solchen Grade des Zwanges,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0137" n="101"/>
auf die Sitten und den Charakter der Nation selbst zu wirken,<lb/>
diesem eine bestimmte Richtung zu geben, oder zu nehmen,<lb/>
versucht werden dürfe. Gewissermassen könnte daher die<lb/>
Frage: in welchen Schranken der Staat seine Wirksamkeit<lb/>
halten müsse? schon vollständig beantwortet scheinen, indem<lb/>
diese Wirksamkeit auf die Erhaltung der Sicherheit, und in<lb/>
Absicht der Mittel hiezu noch genauer auf diejenigen einge-<lb/>
schränkt ist, welche sich nicht damit befassen, die Nation zu<lb/>
den Endzwecken des Staats gleichsam bilden, oder vielmehr<lb/>
ziehen zu wollen. Denn wenn diese Bestimmung gleich nur<lb/>
negativ ist, so zeigt sich doch das, was, nach geschehener<lb/>
Absonderung, übrig bleibt, von selbst deutlich genug. Der<lb/>
Staat wird nämlich allein sich auf Handlungen, welche unmit-<lb/>
telbar und geradezu in fremdes Recht eingreifen, ausbreiten,<lb/>
nur das streitige Recht entscheiden, das verletzte wieder her-<lb/>
stellen und die Verletzer bestrafen dürfen. Allein der Begriff<lb/>
der Sicherheit, zu dessen näherer Bestimmung bis jetzt nichts<lb/>
andres gesagt ist, als dass von der Sicherheit vor auswärtigen<lb/>
Feinden, und vor Beeinträchtigungen der Mitbürger selbst die<lb/>
Rede sei, ist zu weit und vielumfassend, um nicht einer genaueren<lb/>
Auseinandersetzung zu bedürfen. Denn so verschieden auf der<lb/>
einen Seite die Nüancen von dem blos Ueberzeugung beabsich-<lb/>
tenden Rath zur zudringlichen Empfehlung, und von da z um<lb/>
nöthigenden Zwange, und eben so verschieden und vielfach die<lb/>
Grade der Unbilligkeit oder Ungerechtigkeit von der, inner-<lb/>
halb der Schranken des eignen Rechts ausgeübten, aber dem<lb/>
andern möglicherweise schädlichen Handlung, bis zu der,<lb/>
gleichfalls sich nicht aus jenen Schranken entfernenden, aber<lb/>
den andern im Genuss seines Eigenthums sehr leicht, oder<lb/>
immer störenden, und von da bis zu einem wirklichen Eingriff<lb/>
in fremdes Eigenthum sind; ebenso verschieden ist auch der<lb/>
Umfang des Begriffs der Sicherheit, indem man darunter<lb/>
Sicherheit von einem solchen oder solchen Grade des Zwanges,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0137] auf die Sitten und den Charakter der Nation selbst zu wirken, diesem eine bestimmte Richtung zu geben, oder zu nehmen, versucht werden dürfe. Gewissermassen könnte daher die Frage: in welchen Schranken der Staat seine Wirksamkeit halten müsse? schon vollständig beantwortet scheinen, indem diese Wirksamkeit auf die Erhaltung der Sicherheit, und in Absicht der Mittel hiezu noch genauer auf diejenigen einge- schränkt ist, welche sich nicht damit befassen, die Nation zu den Endzwecken des Staats gleichsam bilden, oder vielmehr ziehen zu wollen. Denn wenn diese Bestimmung gleich nur negativ ist, so zeigt sich doch das, was, nach geschehener Absonderung, übrig bleibt, von selbst deutlich genug. Der Staat wird nämlich allein sich auf Handlungen, welche unmit- telbar und geradezu in fremdes Recht eingreifen, ausbreiten, nur das streitige Recht entscheiden, das verletzte wieder her- stellen und die Verletzer bestrafen dürfen. Allein der Begriff der Sicherheit, zu dessen näherer Bestimmung bis jetzt nichts andres gesagt ist, als dass von der Sicherheit vor auswärtigen Feinden, und vor Beeinträchtigungen der Mitbürger selbst die Rede sei, ist zu weit und vielumfassend, um nicht einer genaueren Auseinandersetzung zu bedürfen. Denn so verschieden auf der einen Seite die Nüancen von dem blos Ueberzeugung beabsich- tenden Rath zur zudringlichen Empfehlung, und von da z um nöthigenden Zwange, und eben so verschieden und vielfach die Grade der Unbilligkeit oder Ungerechtigkeit von der, inner- halb der Schranken des eignen Rechts ausgeübten, aber dem andern möglicherweise schädlichen Handlung, bis zu der, gleichfalls sich nicht aus jenen Schranken entfernenden, aber den andern im Genuss seines Eigenthums sehr leicht, oder immer störenden, und von da bis zu einem wirklichen Eingriff in fremdes Eigenthum sind; ebenso verschieden ist auch der Umfang des Begriffs der Sicherheit, indem man darunter Sicherheit von einem solchen oder solchen Grade des Zwanges,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/137
Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/137>, abgerufen am 05.05.2024.