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Humboldt, Alexander von: Beobachtungen über das Gesetz der Wärmeabnahme in den höhern Regionen der Athmosphäre, und über die untern Gränzen des ewigen Schnees. In: Annalen der Physik, Bd. 24, St. 9 (1806), S. 1-49.

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lechzt, sieht 15000 Fuss über seinem Haupte, auf
dem Gipfel der Andes, die grosse Schneedecke aus-
gebreitet, welche unter günstigen Refractionsver-
hältnissen über 50 Seemeilen weit in der Ebene
sichtbar ist. Dieser Kontrast zwischen Pisanggewäch-
sen und ewigem Schnee, dieser Anblick entgegen
gesetzter Jahrszeiten, welche gleichzeitig und fast
schichtenweise in einer Zone über einander liegen,
ist unter dem Aequator um so auffallender, als, an
keinen Wechsel der Temperatur gewöhnt, der Be-
wohner der Ebene dort das Wasser nie, selbst nicht
im Hagel, zu einem festen Körper erstarrt sieht.

Weiter gegen den Pol hin, in der so genannten
gemässigten Zone, macht das Phänomen der bestän-
digen Schneegränze einen analogen, aber minder
lebhaften Eindruck. In einem grossen Theile des
Jahrs ist hier die ganze Erdfläche, Berg und Thal,
mit Schnee und Eis bedeckt. Mit wiederkehrender
Milde des Frühlings scheint der Winter stufenweise
aufwärts zu ziehen. Die Schneedecke erhebt sich
nach und nach am Abhange der Bergkette, bis sie
sich unveränderlich, am Ende des Sommers, auf
einer gewissen Höhe erhält. Diese Höhe ist im mitt-
lern Europa schon um mehr als ein Drittel niedri-
ger als in den Tropenländern. In höhern Breiten-
graden naht sich die Schneegränze der Erdfläche
selbst, und in den nördlichsten Gegenden bleibt so-
gar die Ebene das ganze Jahr hindurch immerfort
mit Schnee und Eis bedeckt.

lechzt, ſieht 15000 Fuſs über ſeinem Haupte, auf
dem Gipfel der Andes, die groſse Schneedecke aus-
gebreitet, welche unter günſtigen Refractionsver-
hältniſſen über 50 Seemeilen weit in der Ebene
ſichtbar iſt. Dieſer Kontraſt zwiſchen Piſanggewäch-
ſen und ewigem Schnee, dieſer Anblick entgegen
geſetzter Jahrszeiten, welche gleichzeitig und faſt
ſchichtenweiſe in einer Zone über einander liegen,
iſt unter dem Aequator um ſo auffallender, als, an
keinen Wechſel der Temperatur gewöhnt, der Be-
wohner der Ebene dort das Waſſer nie, ſelbſt nicht
im Hagel, zu einem feſten Körper erſtarrt ſieht.

Weiter gegen den Pol hin, in der ſo genannten
gemäſsigten Zone, macht das Phänomen der beſtän-
digen Schneegränze einen analogen, aber minder
lebhaften Eindruck. In einem groſsen Theile des
Jahrs iſt hier die ganze Erdfläche, Berg und Thal,
mit Schnee und Eis bedeckt. Mit wiederkehrender
Milde des Frühlings ſcheint der Winter ſtufenweiſe
aufwärts zu ziehen. Die Schneedecke erhebt ſich
nach und nach am Abhange der Bergkette, bis ſie
ſich unveränderlich, am Ende des Sommers, auf
einer gewiſſen Höhe erhält. Dieſe Höhe iſt im mitt-
lern Europa ſchon um mehr als ein Drittel niedri-
ger als in den Tropenländern. In höhern Breiten-
graden naht ſich die Schneegränze der Erdfläche
ſelbſt, und in den nördlichſten Gegenden bleibt ſo-
gar die Ebene das ganze Jahr hindurch immerfort
mit Schnee und Eis bedeckt.

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[7/0008] lechzt, ſieht 15000 Fuſs über ſeinem Haupte, auf dem Gipfel der Andes, die groſse Schneedecke aus- gebreitet, welche unter günſtigen Refractionsver- hältniſſen über 50 Seemeilen weit in der Ebene ſichtbar iſt. Dieſer Kontraſt zwiſchen Piſanggewäch- ſen und ewigem Schnee, dieſer Anblick entgegen geſetzter Jahrszeiten, welche gleichzeitig und faſt ſchichtenweiſe in einer Zone über einander liegen, iſt unter dem Aequator um ſo auffallender, als, an keinen Wechſel der Temperatur gewöhnt, der Be- wohner der Ebene dort das Waſſer nie, ſelbſt nicht im Hagel, zu einem feſten Körper erſtarrt ſieht. Weiter gegen den Pol hin, in der ſo genannten gemäſsigten Zone, macht das Phänomen der beſtän- digen Schneegränze einen analogen, aber minder lebhaften Eindruck. In einem groſsen Theile des Jahrs iſt hier die ganze Erdfläche, Berg und Thal, mit Schnee und Eis bedeckt. Mit wiederkehrender Milde des Frühlings ſcheint der Winter ſtufenweiſe aufwärts zu ziehen. Die Schneedecke erhebt ſich nach und nach am Abhange der Bergkette, bis ſie ſich unveränderlich, am Ende des Sommers, auf einer gewiſſen Höhe erhält. Dieſe Höhe iſt im mitt- lern Europa ſchon um mehr als ein Drittel niedri- ger als in den Tropenländern. In höhern Breiten- graden naht ſich die Schneegränze der Erdfläche ſelbſt, und in den nördlichſten Gegenden bleibt ſo- gar die Ebene das ganze Jahr hindurch immerfort mit Schnee und Eis bedeckt.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Beobachtungen über das Gesetz der Wärmeabnahme in den höhern Regionen der Athmosphäre, und über die untern Gränzen des ewigen Schnees. In: Annalen der Physik, Bd. 24, St. 9 (1806), S. 1-49, hier S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_gesetz_1806/8>, abgerufen am 21.11.2024.