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Humboldt, Alexander von: Geognostische und physikalische Beobachtungen über die Vulkane des Hochlandes von Quito. Zweite Abhandlung. In: Annalen der Physik und Chemie, Bd. 44 (1838), S. 193-219.

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ununterbrochen 1) rauchen sehen, und den Guacamayo in
den Llanos (Ebenen) de San Xavier der Provinz Quixos 2).
Nach Itinerarien und Combinationen, welche sich auf
astronomische Beobachtungen gründen, finde ich den Ab-
stand des Guacamayo von Chillo, dem anmuthigen Land-
sitze des Marques de Selvalegre, in gerader Richtung 18
Meilen, und doch habe ich einmal Wochen lang in Chillo,
fast zu jeder Stunde, den unterirdischen Donner, oder,
wie die Eingeborenen sagen, "das Brüllen" (los brami-
dos
) des Guacamayo vernommen.

Die jetzige, schon oben erwähnte, wenigstens schein-
bare Concentration der vulkanischen Thätigkeit im Sü-
den der Hochebene von Quito, zwischen den Parallelen
des Cotopaxi und Sangay, verglichen mit der Häufigkeit
der Ausbrüche des Pichincha im 16ten Jahrhundert, hat die
Meinung von der progressiven Wanderung jener Thätig-
keit von Norden nach Süden erzeugt. Diese Meinung fand
ihre Bestätigung in dem furchtbaren Ereigniss der Zerstö-
rung von Riobamba (der Catastrophe vom 4ten Februar
1797, welche in einem so sparsam bevölkerten Lande 30000
Menschen das Leben kostete). Ein Bergvolk, das zwischen
einer doppelten Reihe von Feuerschlünden lebt, hat sich
aus wahren und falschen Beobachtungen Theorien gebil-
det, denen es eben so hartnäckig anhängt, als den sei-
nen der wissenschaftliche Beobachter. Um die durch
Erdbeben zerstörten Städte nicht an denselben Punkten
wieder aufzubauen, sucht man nach trüglichen Kennzei-
chen eine Gegend, unter der das Gestein, wie man zu
sagen pflegt, "ausgebrannt, und das Brennmaterial, der
Schwefel (los solfos), verzehrt ist," wo die Dämpfe
nicht mehr nach einem Ausgang streben. Die Schlünde
der Vulkane (las calderas) werden, nach diesem alten
Volksglauben, sehr richtig als Sicherheits-Ventile grosser

1) Relat. hist. T. II n. 452.
2) Mein Atlas, n. X.

ununterbrochen 1) rauchen sehen, und den Guacamayo in
den Llanos (Ebenen) de San Xavier der Provinz Quixos 2).
Nach Itinerarien und Combinationen, welche sich auf
astronomische Beobachtungen gründen, finde ich den Ab-
stand des Guacamayo von Chillo, dem anmuthigen Land-
sitze des Marquès de Selvalegre, in gerader Richtung 18
Meilen, und doch habe ich einmal Wochen lang in Chillo,
fast zu jeder Stunde, den unterirdischen Donner, oder,
wie die Eingeborenen sagen, „das Brüllen“ (los brami-
dos
) des Guacamayo vernommen.

Die jetzige, schon oben erwähnte, wenigstens schein-
bare Concentration der vulkanischen Thätigkeit im Sü-
den der Hochebene von Quito, zwischen den Parallelen
des Cotopaxi und Sangay, verglichen mit der Häufigkeit
der Ausbrüche des Pichincha im 16ten Jahrhundert, hat die
Meinung von der progressiven Wanderung jener Thätig-
keit von Norden nach Süden erzeugt. Diese Meinung fand
ihre Bestätigung in dem furchtbaren Ereigniſs der Zerstö-
rung von Riobamba (der Catastrophe vom 4ten Februar
1797, welche in einem so sparsam bevölkerten Lande 30000
Menschen das Leben kostete). Ein Bergvolk, das zwischen
einer doppelten Reihe von Feuerschlünden lebt, hat sich
aus wahren und falschen Beobachtungen Theorien gebil-
det, denen es eben so hartnäckig anhängt, als den sei-
nen der wissenschaftliche Beobachter. Um die durch
Erdbeben zerstörten Städte nicht an denselben Punkten
wieder aufzubauen, sucht man nach trüglichen Kennzei-
chen eine Gegend, unter der das Gestein, wie man zu
sagen pflegt, »ausgebrannt, und das Brennmaterial, der
Schwefel (los solfos), verzehrt ist,« wo die Dämpfe
nicht mehr nach einem Ausgang streben. Die Schlünde
der Vulkane (las calderas) werden, nach diesem alten
Volksglauben, sehr richtig als Sicherheits-Ventile groſser

1) Relat. hist. T. II n. 452.
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[198/0006] ununterbrochen 1) rauchen sehen, und den Guacamayo in den Llanos (Ebenen) de San Xavier der Provinz Quixos 2). Nach Itinerarien und Combinationen, welche sich auf astronomische Beobachtungen gründen, finde ich den Ab- stand des Guacamayo von Chillo, dem anmuthigen Land- sitze des Marquès de Selvalegre, in gerader Richtung 18 Meilen, und doch habe ich einmal Wochen lang in Chillo, fast zu jeder Stunde, den unterirdischen Donner, oder, wie die Eingeborenen sagen, „das Brüllen“ (los brami- dos) des Guacamayo vernommen. Die jetzige, schon oben erwähnte, wenigstens schein- bare Concentration der vulkanischen Thätigkeit im Sü- den der Hochebene von Quito, zwischen den Parallelen des Cotopaxi und Sangay, verglichen mit der Häufigkeit der Ausbrüche des Pichincha im 16ten Jahrhundert, hat die Meinung von der progressiven Wanderung jener Thätig- keit von Norden nach Süden erzeugt. Diese Meinung fand ihre Bestätigung in dem furchtbaren Ereigniſs der Zerstö- rung von Riobamba (der Catastrophe vom 4ten Februar 1797, welche in einem so sparsam bevölkerten Lande 30000 Menschen das Leben kostete). Ein Bergvolk, das zwischen einer doppelten Reihe von Feuerschlünden lebt, hat sich aus wahren und falschen Beobachtungen Theorien gebil- det, denen es eben so hartnäckig anhängt, als den sei- nen der wissenschaftliche Beobachter. Um die durch Erdbeben zerstörten Städte nicht an denselben Punkten wieder aufzubauen, sucht man nach trüglichen Kennzei- chen eine Gegend, unter der das Gestein, wie man zu sagen pflegt, »ausgebrannt, und das Brennmaterial, der Schwefel (los solfos), verzehrt ist,« wo die Dämpfe nicht mehr nach einem Ausgang streben. Die Schlünde der Vulkane (las calderas) werden, nach diesem alten Volksglauben, sehr richtig als Sicherheits-Ventile groſser 1) Relat. hist. T. II n. 452. 2) Mein Atlas, n. X.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Geognostische und physikalische Beobachtungen über die Vulkane des Hochlandes von Quito. Zweite Abhandlung. In: Annalen der Physik und Chemie, Bd. 44 (1838), S. 193-219, hier S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_geognostisch_1838/6>, abgerufen am 28.03.2024.