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Humboldt, Alexander von: Über die Chinawälder in Südamerika. In: Magazin für die neusten Entdeckungen in der gesammten Naturkunde, 1. Jg. (1807), S. 57-68, 104-120.

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Über die Chinawälder
Mutisischen pommeranzenfarbigen (Cinchona lancifolia) sehr nahe ver-
wandte Species bei Huanuco am Berg S. Christo val de Cuchero. Ein
unternehmender Mann Don Emanuel Alcarraz brachte die ersten Pro-
ben davon nach Lima und setzte die Benutzung dieses Produktes in
Gang. Die Herausgeber der Flora Peruviana drangen 1779 zwar nicht
bis an den Amazonenstrom selbst, aber doch bis an die Flüsse vor,
welche sich zunächst in denselben ergiessen. Sie besuchten die schönen
Thäler von Tarma, Xauxa, und Huamalies und bestimmten 1779, also
sieben Jahr nachdem Mutis seine Arbeit über die neugrenadischen Cin-
chona-Arten begann, die botanischen Charaktere der nordperuanischen
Species. Nach und nach wurde heilsame Fieberrinde fast zugleich im
nördlichsten und südlichsten Theile von Südamerika entdeckt, in den
Gebirgen um Santa Martha, und im Königreich Buenosayres bei La
Paz
und Cochabamba, wo ein Seeofficier Rubin de Celis und der deut-
sche Botaniker Taddäus Hänke die Einwohner auf dieses kostbare Pro-
dukt aufmerksam machten.

Europa wurde demnach seit dem Jahr 1780 auf allen Seiten durch
die Häfen von Payta, Guayaquil, Lima, Buenosayres, Carthagena und
Santa Martha mit Fieberrinde von verschiedener Heilkraft überströmt.
Diese Fieberrinde kam theils unmittelbar nach Spanien, theils durch
Schleichhandel nach Nordamerika und England. Hier und da wurden auch
Westindische Cinchona-Arten unter die des Continents gemengt. Man
nannte Rinden, welche zwar auch überaus fieberheilend sind, aber von
Bäumen herrühren, die nicht einmal dem genus Cinchona angehören,
China. So sprach man in Cadiz von Cascarilla oder Quina de Cumana
und von Quina de la Angostura. Ohne zu bedenken, dass wahre Fie-
berrinden zwar gleiche Heilkraft besitzen, aber doch specifike Unter-
schiede in der Art ihrer Wirksamkeit äussern können, theilte man alle
China in ächte und unächte ein. Man forderte China wie die von Loxa,
ohne zu bedenken, dass schon 1738 von Loxa selbst drei bis vier Arten
Fieberrinden nach Europa kamen, welche von ganz verschiedenen Spe-
cies von Cinchona geliefert werden. Man vergass, dass die Güte der
Rinde nicht bloss davon abhänge, dass sie von C. lancifolia oder von
C. macrocarpa sei, sondern dass eben so sehr Standort, Alter des Bau-
mes, schnelles und langsames Trocknen die Wirksamkeit bestimme. Man
verkannte dieselbe Species, wenn die Rinde statt in Canutillos, d. h. in
dünnen Rollen, in dicken Cortezones, oder gar gepülvert war. Man mengte
bald aus Versehen, bald aus Betrug Rinden von Wintera grenadensis
und von gerbenden Weinmannien unter die Chinarinde, ja man färbte
diese oft mit Aufguss von Brasilienholz.

Unter diesen Verhältnissen entstanden die abentheuerlichsten Vor-


Über die Chinawälder
Mutisischen pommeranzenfarbigen (Cinchona lancifolia) sehr nahe ver-
wandte Species bei Huanuco am Berg S. Christo val de Cuchero. Ein
unternehmender Mann Don Emanuel Alcarraz brachte die ersten Pro-
ben davon nach Lima und setzte die Benutzung dieses Produktes in
Gang. Die Herausgeber der Flora Peruviana drangen 1779 zwar nicht
bis an den Amazonenstrom selbst, aber doch bis an die Flüsse vor,
welche sich zunächst in denselben ergieſsen. Sie besuchten die schönen
Thäler von Tarma, Xauxa, und Huamalies und bestimmten 1779, also
sieben Jahr nachdem Mutis seine Arbeit über die neugrenadischen Cin-
chona-Arten begann, die botanischen Charaktere der nordperuanischen
Species. Nach und nach wurde heilsame Fieberrinde fast zugleich im
nördlichsten und südlichsten Theile von Südamerika entdeckt, in den
Gebirgen um Santa Martha, und im Königreich Buenosayres bei La
Paz
und Cochabamba, wo ein Seeofficier Rubin de Celis und der deut-
sche Botaniker Taddäus Hänke die Einwohner auf dieses kostbare Pro-
dukt aufmerksam machten.

Europa wurde demnach seit dem Jahr 1780 auf allen Seiten durch
die Häfen von Payta, Guayaquil, Lima, Buenosayres, Carthagena und
Santa Martha mit Fieberrinde von verschiedener Heilkraft überströmt.
Diese Fieberrinde kam theils unmittelbar nach Spanien, theils durch
Schleichhandel nach Nordamerika und England. Hier und da wurden auch
Westindische Cinchona-Arten unter die des Continents gemengt. Man
nannte Rinden, welche zwar auch überaus fieberheilend sind, aber von
Bäumen herrühren, die nicht einmal dem genus Cinchona angehören,
China. So sprach man in Cadiz von Cascarilla oder Quina de Cumana
und von Quina de la Angostura. Ohne zu bedenken, daſs wahre Fie-
berrinden zwar gleiche Heilkraft besitzen, aber doch specifike Unter-
schiede in der Art ihrer Wirksamkeit äuſsern können, theilte man alle
China in ächte und unächte ein. Man forderte China wie die von Loxa,
ohne zu bedenken, daſs schon 1738 von Loxa selbst drei bis vier Arten
Fieberrinden nach Europa kamen, welche von ganz verschiedenen Spe-
cies von Cinchona geliefert werden. Man vergaſs, daſs die Güte der
Rinde nicht bloſs davon abhänge, daſs sie von C. lancifolia oder von
C. macrocarpa sei, sondern daſs eben so sehr Standort, Alter des Bau-
mes, schnelles und langsames Trocknen die Wirksamkeit bestimme. Man
verkannte dieselbe Species, wenn die Rinde statt in Canutillos, d. h. in
dünnen Rollen, in dicken Cortezones, oder gar gepülvert war. Man mengte
bald aus Versehen, bald aus Betrug Rinden von Wintera grenadensis
und von gerbenden Weinmannien unter die Chinarinde, ja man färbte
diese oft mit Aufguſs von Brasilienholz.

Unter diesen Verhältnissen entstanden die abentheuerlichsten Vor-

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[66/0011] Über die Chinawälder Mutisischen pommeranzenfarbigen (Cinchona lancifolia) sehr nahe ver- wandte Species bei Huanuco am Berg S. Christo val de Cuchero. Ein unternehmender Mann Don Emanuel Alcarraz brachte die ersten Pro- ben davon nach Lima und setzte die Benutzung dieses Produktes in Gang. Die Herausgeber der Flora Peruviana drangen 1779 zwar nicht bis an den Amazonenstrom selbst, aber doch bis an die Flüsse vor, welche sich zunächst in denselben ergieſsen. Sie besuchten die schönen Thäler von Tarma, Xauxa, und Huamalies und bestimmten 1779, also sieben Jahr nachdem Mutis seine Arbeit über die neugrenadischen Cin- chona-Arten begann, die botanischen Charaktere der nordperuanischen Species. Nach und nach wurde heilsame Fieberrinde fast zugleich im nördlichsten und südlichsten Theile von Südamerika entdeckt, in den Gebirgen um Santa Martha, und im Königreich Buenosayres bei La Paz und Cochabamba, wo ein Seeofficier Rubin de Celis und der deut- sche Botaniker Taddäus Hänke die Einwohner auf dieses kostbare Pro- dukt aufmerksam machten. Europa wurde demnach seit dem Jahr 1780 auf allen Seiten durch die Häfen von Payta, Guayaquil, Lima, Buenosayres, Carthagena und Santa Martha mit Fieberrinde von verschiedener Heilkraft überströmt. Diese Fieberrinde kam theils unmittelbar nach Spanien, theils durch Schleichhandel nach Nordamerika und England. Hier und da wurden auch Westindische Cinchona-Arten unter die des Continents gemengt. Man nannte Rinden, welche zwar auch überaus fieberheilend sind, aber von Bäumen herrühren, die nicht einmal dem genus Cinchona angehören, China. So sprach man in Cadiz von Cascarilla oder Quina de Cumana und von Quina de la Angostura. Ohne zu bedenken, daſs wahre Fie- berrinden zwar gleiche Heilkraft besitzen, aber doch specifike Unter- schiede in der Art ihrer Wirksamkeit äuſsern können, theilte man alle China in ächte und unächte ein. Man forderte China wie die von Loxa, ohne zu bedenken, daſs schon 1738 von Loxa selbst drei bis vier Arten Fieberrinden nach Europa kamen, welche von ganz verschiedenen Spe- cies von Cinchona geliefert werden. Man vergaſs, daſs die Güte der Rinde nicht bloſs davon abhänge, daſs sie von C. lancifolia oder von C. macrocarpa sei, sondern daſs eben so sehr Standort, Alter des Bau- mes, schnelles und langsames Trocknen die Wirksamkeit bestimme. Man verkannte dieselbe Species, wenn die Rinde statt in Canutillos, d. h. in dünnen Rollen, in dicken Cortezones, oder gar gepülvert war. Man mengte bald aus Versehen, bald aus Betrug Rinden von Wintera grenadensis und von gerbenden Weinmannien unter die Chinarinde, ja man färbte diese oft mit Aufguſs von Brasilienholz. Unter diesen Verhältnissen entstanden die abentheuerlichsten Vor-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die Chinawälder in Südamerika. In: Magazin für die neusten Entdeckungen in der gesammten Naturkunde, 1. Jg. (1807), S. 57-68, 104-120, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_chinawaelder_1807/11>, abgerufen am 24.11.2024.