de si misma (die Wurzel an sich) sei; durch die giftigen Dünste aus den Kesseln gehen die alten Weiber (die un- nützesten), die man zur Arbeit verwende, zu Grunde; end- lich, die Pflanzensäfte erscheinen erst dann konzentriert genug, wenn ein paar Tropfen des Saftes auf eine gewisse Ent- fernung eine Repulsivkraft auf das Blut ausüben. Ein Indianer ritzt sich die Haut; man taucht einen Pfeil in das flüssige Curare und bringt ihn der Stichwunde nahe. Das Gift gilt für gehörig konzentriert, wenn es das Blut in die Gefäße zurücktreibt, ohne damit in Berührung gekommen zu sein." -- Ich halte mich nicht dabei auf, diese von Pater Gumilla zusammengebrachten Märchen zu widerlegen. Warum hätte der Missionär nicht glauben sollen, daß das Curare aus der Ferne wirke, da er unbedenklich an die Eigenschaften einer Pflanze glaubte, deren Blätter erbrechen machen oder purgieren, je nachdem man sie von oben herab oder von unten herauf vom Stiele reißt?
Als wir nach Esmeralda kamen, kehrten die meisten In- dianer von einem Ausflug ostwärts über den Rio Padamo zurück, wobei sie Juvias oder die Früchte der Bertholletia und eine Schlingpflanze, welche das Curare gibt, gesammelt hatten. Diese Heimkehr wurde durch eine Festlichkeit be- gangen, die in der Mission la fiesta de las Juvias heißt und unseren Ernte- oder Weinlesefesten entspricht. Die Weiber hatten viel gegorenes Getränke bereitet, und zwei Tage lang sah man nur betrunkene Indianer. Bei Völkern, für welche die Früchte der Palmen und einiger anderen Bäume, welche Nahrungsstoff geben, von großer Wichtigkeit sind, wird die Ernte der Früchte durch öffentliche Lustbarkeiten gefeiert, und man teilt das Jahr nach diesen Festen ein, die immer auf dieselben Zeitpunkte fallen.
Das Glück wollte, daß wir einen alten Indianer trafen, der weniger betrunken als die anderen und eben beschäftigt war, das Curaregift aus den frischen Pflanzen zu bereiten. Der Mann war der Chemiker des Ortes. Wir fanden bei ihm große thönerne Pfannen zum Kochen der Pflanzensäfte, flachere Gefäße, die durch ihre große Oberfläche die Verdun- stung befördern, tütenförmig aufgerollte Bananenblätter zum Durchseihen der mehr oder weniger faserige Substanzen ent- haltenden Flüssigkeiten. Die größte Ordnung und Reinlich- keit herrschten in dieser zum chemischen Laboratorium ein- gerichteten Hütte. Der Indianer, der uns Auskunft erteilen
de si misma (die Wurzel an ſich) ſei; durch die giftigen Dünſte aus den Keſſeln gehen die alten Weiber (die un- nützeſten), die man zur Arbeit verwende, zu Grunde; end- lich, die Pflanzenſäfte erſcheinen erſt dann konzentriert genug, wenn ein paar Tropfen des Saftes auf eine gewiſſe Ent- fernung eine Repulſivkraft auf das Blut ausüben. Ein Indianer ritzt ſich die Haut; man taucht einen Pfeil in das flüſſige Curare und bringt ihn der Stichwunde nahe. Das Gift gilt für gehörig konzentriert, wenn es das Blut in die Gefäße zurücktreibt, ohne damit in Berührung gekommen zu ſein.“ — Ich halte mich nicht dabei auf, dieſe von Pater Gumilla zuſammengebrachten Märchen zu widerlegen. Warum hätte der Miſſionär nicht glauben ſollen, daß das Curare aus der Ferne wirke, da er unbedenklich an die Eigenſchaften einer Pflanze glaubte, deren Blätter erbrechen machen oder purgieren, je nachdem man ſie von oben herab oder von unten herauf vom Stiele reißt?
Als wir nach Esmeralda kamen, kehrten die meiſten In- dianer von einem Ausflug oſtwärts über den Rio Padamo zurück, wobei ſie Juvias oder die Früchte der Bertholletia und eine Schlingpflanze, welche das Curare gibt, geſammelt hatten. Dieſe Heimkehr wurde durch eine Feſtlichkeit be- gangen, die in der Miſſion la fiesta de las Juvias heißt und unſeren Ernte- oder Weinleſefeſten entſpricht. Die Weiber hatten viel gegorenes Getränke bereitet, und zwei Tage lang ſah man nur betrunkene Indianer. Bei Völkern, für welche die Früchte der Palmen und einiger anderen Bäume, welche Nahrungsſtoff geben, von großer Wichtigkeit ſind, wird die Ernte der Früchte durch öffentliche Luſtbarkeiten gefeiert, und man teilt das Jahr nach dieſen Feſten ein, die immer auf dieſelben Zeitpunkte fallen.
Das Glück wollte, daß wir einen alten Indianer trafen, der weniger betrunken als die anderen und eben beſchäftigt war, das Curaregift aus den friſchen Pflanzen zu bereiten. Der Mann war der Chemiker des Ortes. Wir fanden bei ihm große thönerne Pfannen zum Kochen der Pflanzenſäfte, flachere Gefäße, die durch ihre große Oberfläche die Verdun- ſtung befördern, tütenförmig aufgerollte Bananenblätter zum Durchſeihen der mehr oder weniger faſerige Subſtanzen ent- haltenden Flüſſigkeiten. Die größte Ordnung und Reinlich- keit herrſchten in dieſer zum chemiſchen Laboratorium ein- gerichteten Hütte. Der Indianer, der uns Auskunft erteilen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><hirendition="#aq"><pbfacs="#f0069"n="61"/>
de si misma</hi> (die Wurzel an ſich) ſei; durch die giftigen<lb/>
Dünſte aus den Keſſeln gehen die alten Weiber (die <hirendition="#g">un-<lb/>
nützeſten</hi>), die man zur Arbeit verwende, zu Grunde; end-<lb/>
lich, die Pflanzenſäfte erſcheinen erſt dann konzentriert genug,<lb/>
wenn ein paar Tropfen des Saftes <hirendition="#g">auf eine gewiſſe Ent-<lb/>
fernung</hi> eine Repulſivkraft auf das Blut ausüben. Ein<lb/>
Indianer ritzt ſich die Haut; man taucht einen Pfeil in das<lb/>
flüſſige Curare und bringt ihn der Stichwunde nahe. Das<lb/>
Gift gilt für gehörig konzentriert, wenn es das Blut in die<lb/>
Gefäße zurücktreibt, ohne damit in Berührung gekommen zu<lb/>ſein.“— Ich halte mich nicht dabei auf, dieſe von Pater<lb/>
Gumilla zuſammengebrachten Märchen zu widerlegen. Warum<lb/>
hätte der Miſſionär nicht glauben ſollen, daß das Curare<lb/>
aus der Ferne wirke, da er unbedenklich an die Eigenſchaften<lb/>
einer Pflanze glaubte, deren Blätter erbrechen machen oder<lb/>
purgieren, je nachdem man ſie von oben herab oder von unten<lb/>
herauf vom Stiele reißt?</p><lb/><p>Als wir nach Esmeralda kamen, kehrten die meiſten In-<lb/>
dianer von einem Ausflug oſtwärts über den Rio Padamo<lb/>
zurück, wobei ſie <hirendition="#g">Juvias</hi> oder die Früchte der Bertholletia<lb/>
und eine Schlingpflanze, welche das Curare gibt, geſammelt<lb/>
hatten. Dieſe Heimkehr wurde durch eine Feſtlichkeit be-<lb/>
gangen, die in der Miſſion <hirendition="#aq">la fiesta de las Juvias</hi> heißt<lb/>
und unſeren Ernte- oder Weinleſefeſten entſpricht. Die Weiber<lb/>
hatten viel gegorenes Getränke bereitet, und zwei Tage lang<lb/>ſah man nur betrunkene Indianer. Bei Völkern, für welche<lb/>
die Früchte der Palmen und einiger anderen Bäume, welche<lb/>
Nahrungsſtoff geben, von großer Wichtigkeit ſind, wird die<lb/>
Ernte der Früchte durch öffentliche Luſtbarkeiten gefeiert, und<lb/>
man teilt das Jahr nach dieſen Feſten ein, die immer auf<lb/>
dieſelben Zeitpunkte fallen.</p><lb/><p>Das Glück wollte, daß wir einen alten Indianer trafen,<lb/>
der weniger betrunken als die anderen und eben beſchäftigt<lb/>
war, das Curaregift aus den friſchen Pflanzen zu bereiten.<lb/>
Der Mann war der Chemiker des Ortes. Wir fanden bei<lb/>
ihm große thönerne Pfannen zum Kochen der Pflanzenſäfte,<lb/>
flachere Gefäße, die durch ihre große Oberfläche die Verdun-<lb/>ſtung befördern, tütenförmig aufgerollte Bananenblätter zum<lb/>
Durchſeihen der mehr oder weniger faſerige Subſtanzen ent-<lb/>
haltenden Flüſſigkeiten. Die größte Ordnung und Reinlich-<lb/>
keit herrſchten in dieſer zum chemiſchen Laboratorium ein-<lb/>
gerichteten Hütte. Der Indianer, der uns Auskunft erteilen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[61/0069]
de si misma (die Wurzel an ſich) ſei; durch die giftigen
Dünſte aus den Keſſeln gehen die alten Weiber (die un-
nützeſten), die man zur Arbeit verwende, zu Grunde; end-
lich, die Pflanzenſäfte erſcheinen erſt dann konzentriert genug,
wenn ein paar Tropfen des Saftes auf eine gewiſſe Ent-
fernung eine Repulſivkraft auf das Blut ausüben. Ein
Indianer ritzt ſich die Haut; man taucht einen Pfeil in das
flüſſige Curare und bringt ihn der Stichwunde nahe. Das
Gift gilt für gehörig konzentriert, wenn es das Blut in die
Gefäße zurücktreibt, ohne damit in Berührung gekommen zu
ſein.“ — Ich halte mich nicht dabei auf, dieſe von Pater
Gumilla zuſammengebrachten Märchen zu widerlegen. Warum
hätte der Miſſionär nicht glauben ſollen, daß das Curare
aus der Ferne wirke, da er unbedenklich an die Eigenſchaften
einer Pflanze glaubte, deren Blätter erbrechen machen oder
purgieren, je nachdem man ſie von oben herab oder von unten
herauf vom Stiele reißt?
Als wir nach Esmeralda kamen, kehrten die meiſten In-
dianer von einem Ausflug oſtwärts über den Rio Padamo
zurück, wobei ſie Juvias oder die Früchte der Bertholletia
und eine Schlingpflanze, welche das Curare gibt, geſammelt
hatten. Dieſe Heimkehr wurde durch eine Feſtlichkeit be-
gangen, die in der Miſſion la fiesta de las Juvias heißt
und unſeren Ernte- oder Weinleſefeſten entſpricht. Die Weiber
hatten viel gegorenes Getränke bereitet, und zwei Tage lang
ſah man nur betrunkene Indianer. Bei Völkern, für welche
die Früchte der Palmen und einiger anderen Bäume, welche
Nahrungsſtoff geben, von großer Wichtigkeit ſind, wird die
Ernte der Früchte durch öffentliche Luſtbarkeiten gefeiert, und
man teilt das Jahr nach dieſen Feſten ein, die immer auf
dieſelben Zeitpunkte fallen.
Das Glück wollte, daß wir einen alten Indianer trafen,
der weniger betrunken als die anderen und eben beſchäftigt
war, das Curaregift aus den friſchen Pflanzen zu bereiten.
Der Mann war der Chemiker des Ortes. Wir fanden bei
ihm große thönerne Pfannen zum Kochen der Pflanzenſäfte,
flachere Gefäße, die durch ihre große Oberfläche die Verdun-
ſtung befördern, tütenförmig aufgerollte Bananenblätter zum
Durchſeihen der mehr oder weniger faſerige Subſtanzen ent-
haltenden Flüſſigkeiten. Die größte Ordnung und Reinlich-
keit herrſchten in dieſer zum chemiſchen Laboratorium ein-
gerichteten Hütte. Der Indianer, der uns Auskunft erteilen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/69>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.