Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.liefern die Hispano-Amerikaner das einzige Beispiel im heißen Die Bevölkerung des neuen Kontinents ist bis jetzt kaum A. v. Humboldt, Reise. IV. 19
liefern die Hiſpano-Amerikaner das einzige Beiſpiel im heißen Die Bevölkerung des neuen Kontinents iſt bis jetzt kaum A. v. Humboldt, Reiſe. IV. 19
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0297" n="289"/> liefern die Hiſpano-Amerikaner das einzige Beiſpiel im heißen<lb/> Erdſtrich, daß eine Nation von acht Millionen nach euro-<lb/> päiſchen Geſetzen und Einrichtungen regiert wird, Zucker,<lb/> Kakao, Getreide und Wein zumal baut, und faſt keine Skla-<lb/> ven beſitzt, die dem Boden von Afrika gewaltſam entführt<lb/> worden.</p><lb/> <p>Die Bevölkerung des neuen Kontinents iſt bis jetzt kaum<lb/> etwas ſtärker als die von Frankreich oder Deutſchland. In<lb/> den Vereinigten Staaten verdoppelt ſie ſich in 23 bis 25 Jah-<lb/> ren; in Mexiko hat ſie ſich, ſogar unter der Herrſchaft des<lb/> Mutterlandes, in 40 bis 45 Jahren verdoppelt. Ohne der<lb/> Zukunft allzuviel zuzutrauen, läßt ſich annehmen, daß in<lb/> weniger als anderthalbhundert Jahren Amerika ſo ſtark be-<lb/> völkert ſein wird als Europa. Dieſer ſchöne Wetteifer in<lb/> der Kultur, in den Künſten des Gewerbefleißes und des<lb/> Handels wird keineswegs, wie man ſo oft prophezeien hört,<lb/> den alten Kontinent auf Koſten des neuen ärmer machen;<lb/> er wird nur die Konſumtionsmittel und die Nachfrage danach,<lb/> die Maſſe der produktiven Arbeit und die Lebhaftigkeit des<lb/> Austauſches ſteigern. Allerdings iſt infolge der großen Um-<lb/> wälzungen, denen die menſchlichen Geſellſchaftsvereine unter-<lb/> liegen, das Geſamtvermögen, das gemeinſchaftliche Erbgut<lb/> der Kultur, unter die Völker beider Welten ungleich verteilt;<lb/> aber allgemach ſtellt ſich das Gleichgewicht her, und es iſt<lb/> ein verderbliches, ja ich möchte ſagen gottloſes Vorurteil, zu<lb/> meinen, es ſei ein Unheil für das alte Europa, wenn auf<lb/> irgend einem anderen Stück unſeres Planeten der öffentliche<lb/> Wohlſtand gedeiht. Die Unabhängigkeit der Kolonieen wird<lb/> nicht zur Folge haben, ſie zu iſolieren, ſie werden vielmehr<lb/> dadurch den Völkern von alter Kultur näher gebracht werden.<lb/> Der Handel wirkt naturgemäß dahin, zu verbinden, was eifer-<lb/> ſüchtige Staatskunſt ſo lange auseinander gehalten. Noch<lb/> mehr: es liegt im Weſen der Civiliſation, daß ſie ſich aus-<lb/> breiten kann, ohne deshalb da, von wo ſie ausgegangen, zu<lb/> erlöſchen. Ihr allmähliches Vorrücken von Oſt nach Weſt, von<lb/> Aſien nach Europa, beweiſt nichts gegen dieſen Satz. Ein<lb/> ſtarkes Licht behält ſeinen Glanz, auch wenn es einen größe-<lb/> ren Raum beleuchtet. Geiſtesbildung, die fruchtbare Quelle<lb/> des Nationalwohlſtands, teilt ſich durch Berührung mit; ſie<lb/> breitet ſich aus, ohne von der Stelle zu rücken. Ihre Be-<lb/> wegung vorwärts iſt keine Wanderung; im Orient kam uns<lb/> dies nur ſo vor, weil barbariſche Horden ſich Aegyptens, Klein-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">A. v. <hi rendition="#g">Humboldt</hi>, Reiſe. <hi rendition="#aq">IV.</hi> 19</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [289/0297]
liefern die Hiſpano-Amerikaner das einzige Beiſpiel im heißen
Erdſtrich, daß eine Nation von acht Millionen nach euro-
päiſchen Geſetzen und Einrichtungen regiert wird, Zucker,
Kakao, Getreide und Wein zumal baut, und faſt keine Skla-
ven beſitzt, die dem Boden von Afrika gewaltſam entführt
worden.
Die Bevölkerung des neuen Kontinents iſt bis jetzt kaum
etwas ſtärker als die von Frankreich oder Deutſchland. In
den Vereinigten Staaten verdoppelt ſie ſich in 23 bis 25 Jah-
ren; in Mexiko hat ſie ſich, ſogar unter der Herrſchaft des
Mutterlandes, in 40 bis 45 Jahren verdoppelt. Ohne der
Zukunft allzuviel zuzutrauen, läßt ſich annehmen, daß in
weniger als anderthalbhundert Jahren Amerika ſo ſtark be-
völkert ſein wird als Europa. Dieſer ſchöne Wetteifer in
der Kultur, in den Künſten des Gewerbefleißes und des
Handels wird keineswegs, wie man ſo oft prophezeien hört,
den alten Kontinent auf Koſten des neuen ärmer machen;
er wird nur die Konſumtionsmittel und die Nachfrage danach,
die Maſſe der produktiven Arbeit und die Lebhaftigkeit des
Austauſches ſteigern. Allerdings iſt infolge der großen Um-
wälzungen, denen die menſchlichen Geſellſchaftsvereine unter-
liegen, das Geſamtvermögen, das gemeinſchaftliche Erbgut
der Kultur, unter die Völker beider Welten ungleich verteilt;
aber allgemach ſtellt ſich das Gleichgewicht her, und es iſt
ein verderbliches, ja ich möchte ſagen gottloſes Vorurteil, zu
meinen, es ſei ein Unheil für das alte Europa, wenn auf
irgend einem anderen Stück unſeres Planeten der öffentliche
Wohlſtand gedeiht. Die Unabhängigkeit der Kolonieen wird
nicht zur Folge haben, ſie zu iſolieren, ſie werden vielmehr
dadurch den Völkern von alter Kultur näher gebracht werden.
Der Handel wirkt naturgemäß dahin, zu verbinden, was eifer-
ſüchtige Staatskunſt ſo lange auseinander gehalten. Noch
mehr: es liegt im Weſen der Civiliſation, daß ſie ſich aus-
breiten kann, ohne deshalb da, von wo ſie ausgegangen, zu
erlöſchen. Ihr allmähliches Vorrücken von Oſt nach Weſt, von
Aſien nach Europa, beweiſt nichts gegen dieſen Satz. Ein
ſtarkes Licht behält ſeinen Glanz, auch wenn es einen größe-
ren Raum beleuchtet. Geiſtesbildung, die fruchtbare Quelle
des Nationalwohlſtands, teilt ſich durch Berührung mit; ſie
breitet ſich aus, ohne von der Stelle zu rücken. Ihre Be-
wegung vorwärts iſt keine Wanderung; im Orient kam uns
dies nur ſo vor, weil barbariſche Horden ſich Aegyptens, Klein-
A. v. Humboldt, Reiſe. IV. 19
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |