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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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halb im Sand vergraben sind. Als wir die Halbinsel im
vorigen Jahr besuchten, herrschte da furchtbarer Wassermangel.
Die Ziegen, die kein Gras mehr fanden, gingen zu Hunderten
zu Grunde. Während unseres Aufenthaltes am Orinoko schien
sich die Reihenfolge der Jahreszeiten völlig umgekehrt zu
haben. Es hatte in Araya, auf Cochen, sogar auf der Insel
Margarita reichlich geregnet, und diese Güsse machten noch
in der Erinnerung den Einwohnern so viel zu schaffen, als
den Physikern in Europa ein Aerolithenfall.

Unser indianischer Führer kannte kaum die Richtung, in
der wir den Alaun zu suchen hatten; die eigentliche Lager-
stätte war ihm ganz unbekannt. Dieser Mangel an Orts-
kenntnis ist hier fast allen Führern eigen, die der faulsten
Volksklasse angehören. Wir liefen fast auf Geratewohl sieben,
acht Stunden zwischen den Felsen herum, auf denen nicht das
geringste wuchs. Der Glimmerschiefer geht zuweilen in schwarz-
grauen Thonschiefer über. Auch hier fiel mir wieder die un-
gemeine Regelmäßigkeit im Streichen und Fallen der Schich-
ten auf. Sie streichen Nord 50 Grad Ost und Fallen unter
einem Winkel von 60 bis 70° nach Nordwest. Dieses allge-
meine Streichungsverhältnis hatte ich auch am granitischen
Gneis bei Caracas und am Orinoko, an den Hornblende-
schiefern bei Angostura beobachtet, sogar an den meisten sekun-
dären Formationen, die wir untersucht. Auf sehr weite Strecken
bilden die Schichten denselben Winkel mit dem Meridian des
Orts; sie zeigen einen Parallelismus (oder vielmehr Loxo-
dromismus
), der als eines der großen geognostischen Ge-
setze zu betrachten ist, die durch genaue Messung zu ermitteln
sind. Gegen das Kap Chuparuparu zu sahen wir die Quarz-
gänge im Glimmerschiefer mächtiger werden. Wir fanden
welche, 2 bis 4 m breit, voll kleiner büschelförmiger Kristalle
von Titanerz. Vergeblich suchten wir darin nach Cyanit, den
wir in Blöcken bei Maniquarez gefunden. Weiterhin erschei-
nen im Glimmerschiefer nicht Gänge, sondern kleine Schichten
von Graphit oder Kohlenstoffeisen. Sie sind 5 bis 8 cm dick
und streichen und fallen genau wie die Gebirgsart. Mit dem
Graphit im Urgebirge tritt zum erstenmal in den Gebirgs-
schichten der Kohlenstoff auf, und zwar als nicht an Wasser-
stoff gebundener Kohlenstoff. Er ist älter als die Zeit, wo
sich die Erde mit monokotyledonischen Gewächsen bedeckte.

Von diesen öden Bergen herab hatten wir eine groß-
artige Aussicht auf die Insel Margarita. Zwei Berggruppen,

halb im Sand vergraben ſind. Als wir die Halbinſel im
vorigen Jahr beſuchten, herrſchte da furchtbarer Waſſermangel.
Die Ziegen, die kein Gras mehr fanden, gingen zu Hunderten
zu Grunde. Während unſeres Aufenthaltes am Orinoko ſchien
ſich die Reihenfolge der Jahreszeiten völlig umgekehrt zu
haben. Es hatte in Araya, auf Cochen, ſogar auf der Inſel
Margarita reichlich geregnet, und dieſe Güſſe machten noch
in der Erinnerung den Einwohnern ſo viel zu ſchaffen, als
den Phyſikern in Europa ein Aerolithenfall.

Unſer indianiſcher Führer kannte kaum die Richtung, in
der wir den Alaun zu ſuchen hatten; die eigentliche Lager-
ſtätte war ihm ganz unbekannt. Dieſer Mangel an Orts-
kenntnis iſt hier faſt allen Führern eigen, die der faulſten
Volksklaſſe angehören. Wir liefen faſt auf Geratewohl ſieben,
acht Stunden zwiſchen den Felſen herum, auf denen nicht das
geringſte wuchs. Der Glimmerſchiefer geht zuweilen in ſchwarz-
grauen Thonſchiefer über. Auch hier fiel mir wieder die un-
gemeine Regelmäßigkeit im Streichen und Fallen der Schich-
ten auf. Sie ſtreichen Nord 50 Grad Oſt und Fallen unter
einem Winkel von 60 bis 70° nach Nordweſt. Dieſes allge-
meine Streichungsverhältnis hatte ich auch am granitiſchen
Gneis bei Caracas und am Orinoko, an den Hornblende-
ſchiefern bei Angoſtura beobachtet, ſogar an den meiſten ſekun-
dären Formationen, die wir unterſucht. Auf ſehr weite Strecken
bilden die Schichten denſelben Winkel mit dem Meridian des
Orts; ſie zeigen einen Parallelismus (oder vielmehr Loxo-
dromismus
), der als eines der großen geognoſtiſchen Ge-
ſetze zu betrachten iſt, die durch genaue Meſſung zu ermitteln
ſind. Gegen das Kap Chuparuparu zu ſahen wir die Quarz-
gänge im Glimmerſchiefer mächtiger werden. Wir fanden
welche, 2 bis 4 m breit, voll kleiner büſchelförmiger Kriſtalle
von Titanerz. Vergeblich ſuchten wir darin nach Cyanit, den
wir in Blöcken bei Maniquarez gefunden. Weiterhin erſchei-
nen im Glimmerſchiefer nicht Gänge, ſondern kleine Schichten
von Graphit oder Kohlenſtoffeiſen. Sie ſind 5 bis 8 cm dick
und ſtreichen und fallen genau wie die Gebirgsart. Mit dem
Graphit im Urgebirge tritt zum erſtenmal in den Gebirgs-
ſchichten der Kohlenſtoff auf, und zwar als nicht an Waſſer-
ſtoff gebundener Kohlenſtoff. Er iſt älter als die Zeit, wo
ſich die Erde mit monokotyledoniſchen Gewächſen bedeckte.

Von dieſen öden Bergen herab hatten wir eine groß-
artige Ausſicht auf die Inſel Margarita. Zwei Berggruppen,

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[280/0288] halb im Sand vergraben ſind. Als wir die Halbinſel im vorigen Jahr beſuchten, herrſchte da furchtbarer Waſſermangel. Die Ziegen, die kein Gras mehr fanden, gingen zu Hunderten zu Grunde. Während unſeres Aufenthaltes am Orinoko ſchien ſich die Reihenfolge der Jahreszeiten völlig umgekehrt zu haben. Es hatte in Araya, auf Cochen, ſogar auf der Inſel Margarita reichlich geregnet, und dieſe Güſſe machten noch in der Erinnerung den Einwohnern ſo viel zu ſchaffen, als den Phyſikern in Europa ein Aerolithenfall. Unſer indianiſcher Führer kannte kaum die Richtung, in der wir den Alaun zu ſuchen hatten; die eigentliche Lager- ſtätte war ihm ganz unbekannt. Dieſer Mangel an Orts- kenntnis iſt hier faſt allen Führern eigen, die der faulſten Volksklaſſe angehören. Wir liefen faſt auf Geratewohl ſieben, acht Stunden zwiſchen den Felſen herum, auf denen nicht das geringſte wuchs. Der Glimmerſchiefer geht zuweilen in ſchwarz- grauen Thonſchiefer über. Auch hier fiel mir wieder die un- gemeine Regelmäßigkeit im Streichen und Fallen der Schich- ten auf. Sie ſtreichen Nord 50 Grad Oſt und Fallen unter einem Winkel von 60 bis 70° nach Nordweſt. Dieſes allge- meine Streichungsverhältnis hatte ich auch am granitiſchen Gneis bei Caracas und am Orinoko, an den Hornblende- ſchiefern bei Angoſtura beobachtet, ſogar an den meiſten ſekun- dären Formationen, die wir unterſucht. Auf ſehr weite Strecken bilden die Schichten denſelben Winkel mit dem Meridian des Orts; ſie zeigen einen Parallelismus (oder vielmehr Loxo- dromismus), der als eines der großen geognoſtiſchen Ge- ſetze zu betrachten iſt, die durch genaue Meſſung zu ermitteln ſind. Gegen das Kap Chuparuparu zu ſahen wir die Quarz- gänge im Glimmerſchiefer mächtiger werden. Wir fanden welche, 2 bis 4 m breit, voll kleiner büſchelförmiger Kriſtalle von Titanerz. Vergeblich ſuchten wir darin nach Cyanit, den wir in Blöcken bei Maniquarez gefunden. Weiterhin erſchei- nen im Glimmerſchiefer nicht Gänge, ſondern kleine Schichten von Graphit oder Kohlenſtoffeiſen. Sie ſind 5 bis 8 cm dick und ſtreichen und fallen genau wie die Gebirgsart. Mit dem Graphit im Urgebirge tritt zum erſtenmal in den Gebirgs- ſchichten der Kohlenſtoff auf, und zwar als nicht an Waſſer- ſtoff gebundener Kohlenſtoff. Er iſt älter als die Zeit, wo ſich die Erde mit monokotyledoniſchen Gewächſen bedeckte. Von dieſen öden Bergen herab hatten wir eine groß- artige Ausſicht auf die Inſel Margarita. Zwei Berggruppen,

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/288>, abgerufen am 22.11.2024.