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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Der überall sonst belebende Einfluß des tropischen Klimas
macht sich da nicht fühlbar, wo ein mächtiger Verein von
Grasarten fast jedes andere Gewächs ausgeschlossen hat. Beim
Anblick des Bodens, an Punkten, wo die zerstreuten Palmen
fehlen, hätten wir glauben können, in der gemäßigten Zone,
ja noch viel weiter gegen Norden zu sein; aber bei Einbruch
der Nacht mahnten uns die schönen Sternbilder am Süd-
himmel (der Centaur, Canopus, und die zahllosen Nebelflecken,
von denen das Schiff Argo glänzt) daran, daß wir nur 8°
vom Aequator waren.

Eine Erscheinung, auf die bereits Deluc aufmerksam ge-
worden und an der sich in den letzten Jahren der Scharfsinn
der Geologen geübt hat, machte uns auf der Reise durch die
Steppen viel zu schaffen. Ich meine nicht die Urgebirgs-
blöcke, die man (wie am Jura) am Abhang der Kalkgebirge
findet, sondern die ungeheuren Granit- und Syenitblöcke,
die, innerhalb von der Natur scharf gezogener Grenzen, im
nördlichen Holland und Deutschland und in den baltischen
Ländern zerstreut vorkommen. Es scheint jetzt bewiesen, daß
diese wie strahlenförmig verteilten Gesteine bei den alten
Umwälzungen unseres Erdballs aus der skandinavischen Halb-
insel gegen Süd herabgekommen sind, und daß sie nicht
von den Granitketten des Harzes und in Sachsen stammen,
denen sie nahe kommen, ohne indessen ihren Fluß zu erreichen.
Ich bin auf den sandigen Ebenen der baltischen Länder ge-
boren, und bis zu meinem 18. Jahre wußte ich, was eine
Gebirgsart sei, nur von diesen zerstreuten Blöcken her, und
so mußte ich doppelt neugierig sein, ob die Neue Welt eine
ähnliche Erscheinung aufzuweisen habe. Und ich sah zu meiner
Ueberraschung auch nicht einen einzigen Block der Art in den
Llanos von Venezuela, obgleich diese unermeßlichen Ebenen
gegen Süden unmittelbar von einem ganz aus Granit gebauten
Bergstock 1 begrenzt werden, der in seinen gezackten, fast säulen-
förmigen Gipfeln die Spuren der gewaltigsten Zerrüttung
zeigt. Gegen Norden sind die Llanos von der Granitkette der
Silla bei Caracas und von Porto Cabello durch eine Berg-
wand getrennt, die zwischen Villa de Cura und Parapara
aus Schiefergebirg, zwischen dem Bergantin und Caripe aus
Kalkstein besteht. Das Nichtvorhandensein von Blöcken fiel
mir ebenso an den Ufern des Amazonenstromes auf. Schon

1 Die Sierra Parime.

Der überall ſonſt belebende Einfluß des tropiſchen Klimas
macht ſich da nicht fühlbar, wo ein mächtiger Verein von
Grasarten faſt jedes andere Gewächs ausgeſchloſſen hat. Beim
Anblick des Bodens, an Punkten, wo die zerſtreuten Palmen
fehlen, hätten wir glauben können, in der gemäßigten Zone,
ja noch viel weiter gegen Norden zu ſein; aber bei Einbruch
der Nacht mahnten uns die ſchönen Sternbilder am Süd-
himmel (der Centaur, Canopus, und die zahlloſen Nebelflecken,
von denen das Schiff Argo glänzt) daran, daß wir nur 8°
vom Aequator waren.

Eine Erſcheinung, auf die bereits Deluc aufmerkſam ge-
worden und an der ſich in den letzten Jahren der Scharfſinn
der Geologen geübt hat, machte uns auf der Reiſe durch die
Steppen viel zu ſchaffen. Ich meine nicht die Urgebirgs-
blöcke, die man (wie am Jura) am Abhang der Kalkgebirge
findet, ſondern die ungeheuren Granit- und Syenitblöcke,
die, innerhalb von der Natur ſcharf gezogener Grenzen, im
nördlichen Holland und Deutſchland und in den baltiſchen
Ländern zerſtreut vorkommen. Es ſcheint jetzt bewieſen, daß
dieſe wie ſtrahlenförmig verteilten Geſteine bei den alten
Umwälzungen unſeres Erdballs aus der ſkandinaviſchen Halb-
inſel gegen Süd herabgekommen ſind, und daß ſie nicht
von den Granitketten des Harzes und in Sachſen ſtammen,
denen ſie nahe kommen, ohne indeſſen ihren Fluß zu erreichen.
Ich bin auf den ſandigen Ebenen der baltiſchen Länder ge-
boren, und bis zu meinem 18. Jahre wußte ich, was eine
Gebirgsart ſei, nur von dieſen zerſtreuten Blöcken her, und
ſo mußte ich doppelt neugierig ſein, ob die Neue Welt eine
ähnliche Erſcheinung aufzuweiſen habe. Und ich ſah zu meiner
Ueberraſchung auch nicht einen einzigen Block der Art in den
Llanos von Venezuela, obgleich dieſe unermeßlichen Ebenen
gegen Süden unmittelbar von einem ganz aus Granit gebauten
Bergſtock 1 begrenzt werden, der in ſeinen gezackten, faſt ſäulen-
förmigen Gipfeln die Spuren der gewaltigſten Zerrüttung
zeigt. Gegen Norden ſind die Llanos von der Granitkette der
Silla bei Caracas und von Porto Cabello durch eine Berg-
wand getrennt, die zwiſchen Villa de Cura und Parapara
aus Schiefergebirg, zwiſchen dem Bergantin und Caripe aus
Kalkſtein beſteht. Das Nichtvorhandenſein von Blöcken fiel
mir ebenſo an den Ufern des Amazonenſtromes auf. Schon

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[265/0273] Der überall ſonſt belebende Einfluß des tropiſchen Klimas macht ſich da nicht fühlbar, wo ein mächtiger Verein von Grasarten faſt jedes andere Gewächs ausgeſchloſſen hat. Beim Anblick des Bodens, an Punkten, wo die zerſtreuten Palmen fehlen, hätten wir glauben können, in der gemäßigten Zone, ja noch viel weiter gegen Norden zu ſein; aber bei Einbruch der Nacht mahnten uns die ſchönen Sternbilder am Süd- himmel (der Centaur, Canopus, und die zahlloſen Nebelflecken, von denen das Schiff Argo glänzt) daran, daß wir nur 8° vom Aequator waren. Eine Erſcheinung, auf die bereits Deluc aufmerkſam ge- worden und an der ſich in den letzten Jahren der Scharfſinn der Geologen geübt hat, machte uns auf der Reiſe durch die Steppen viel zu ſchaffen. Ich meine nicht die Urgebirgs- blöcke, die man (wie am Jura) am Abhang der Kalkgebirge findet, ſondern die ungeheuren Granit- und Syenitblöcke, die, innerhalb von der Natur ſcharf gezogener Grenzen, im nördlichen Holland und Deutſchland und in den baltiſchen Ländern zerſtreut vorkommen. Es ſcheint jetzt bewieſen, daß dieſe wie ſtrahlenförmig verteilten Geſteine bei den alten Umwälzungen unſeres Erdballs aus der ſkandinaviſchen Halb- inſel gegen Süd herabgekommen ſind, und daß ſie nicht von den Granitketten des Harzes und in Sachſen ſtammen, denen ſie nahe kommen, ohne indeſſen ihren Fluß zu erreichen. Ich bin auf den ſandigen Ebenen der baltiſchen Länder ge- boren, und bis zu meinem 18. Jahre wußte ich, was eine Gebirgsart ſei, nur von dieſen zerſtreuten Blöcken her, und ſo mußte ich doppelt neugierig ſein, ob die Neue Welt eine ähnliche Erſcheinung aufzuweiſen habe. Und ich ſah zu meiner Ueberraſchung auch nicht einen einzigen Block der Art in den Llanos von Venezuela, obgleich dieſe unermeßlichen Ebenen gegen Süden unmittelbar von einem ganz aus Granit gebauten Bergſtock 1 begrenzt werden, der in ſeinen gezackten, faſt ſäulen- förmigen Gipfeln die Spuren der gewaltigſten Zerrüttung zeigt. Gegen Norden ſind die Llanos von der Granitkette der Silla bei Caracas und von Porto Cabello durch eine Berg- wand getrennt, die zwiſchen Villa de Cura und Parapara aus Schiefergebirg, zwiſchen dem Bergantin und Caripe aus Kalkſtein beſteht. Das Nichtvorhandenſein von Blöcken fiel mir ebenſo an den Ufern des Amazonenſtromes auf. Schon 1 Die Sierra Parime.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/273>, abgerufen am 22.11.2024.