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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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kann man wenigstens elf ganz ansehnliche Mündungen zählen.
Nach der Boca de Navios, welche die Schiffer nach der Punta
Barima erkennen, sind vom größten Werte für die Schiffahrt
die Bocas Mariusas, Macareo, Pedernales und Manamo
grande. Der Strich des Deltas westwärts von der Boca
Macareo wird von den Gewässern des Meerbusens von Paria
oder Golfo triste bespült. Dieses Becken wird durch die Ost-
küste der Provinz Cumana und die Westküste der Insel
Trinidad gebildet; es steht mit dem Meere der Antillen durch
die vielberufenen Bocas de Dragos (Mündungen des Drachen)
in Verbindung, welche die Küstenpiloten seit Christoph Ko-
lumbus' Zeit ziemlich uneigentlich als die Mündungen des
Orinoko betrachten.

Will ein Schiff von der hohen See her in die Haupt-
mündung des Orinoko, die Bocas de Navios einlaufen, so
muß es die Punta Barima in Sicht bekommen. Das rechte,
südliche Ufer ist das höhere; es kommt auch nicht weit davon
landeinwärts, zwischen dem Canno Barima, dem Aquire und
dem Cuyuni, das Granitgestein auf dem morastigen Boden
zu Tage. Das linke oder nördliche Stromufer, welches über
das Delta bis zur Boca de Mariusas und der Punta Baxa
läuft, ist ganz niedrig; man erkennt es von weitem nur an
den Gruppen von Mauritiapalmen, welche die Landschaft
zieren. Der Baum ist der Sagobaum dieses Landstriches; 1
man gewinnt daraus das Mehl zum Yurumabrote, und

1 Das nahrhafte Satzmehl oder Farine medullaire der Sago-
bäume findet sich vorzugsweise bei einer Gruppe von Palmen, die
Kunth Calameen nennt; es kommt indessen auch in den Stämmen
von Cycas revoluta, Phoenix farinifera, Corypha umbraculifera
und Caryota urens vor und wird im Indischen Archipel von diesen
Bäumen gesammelt und in den Handel gebracht. Der echte asiatische
Sagobaum (Sagus Rumphii oder Metroxylon Sagu, Roxburgh)
gibt mehr Nahrungsstoff als alle anderen nutzbaren Gewächse. Von
einem einzigen Stamme gewinnt man im fünften Jahre zuweilen
300 kg Sago oder Mehl (denn das Wort Sagu bedeutet im am-
boinischen Dialekt Mehl). Crawfurd, der sich so lange auf dem
Indischen Archipel aufgehalten hat, berechnet, daß auf 4029 Quadrat-
metern 435 Sagobäume wachsen können, die über 4000 kg Mehl
jährlich geben. Dieser Ertrag ist dreimal so hoch als beim Getreide,
und doppelt so hoch als bei der Kartoffel in Frankreich. Die Ba-
nanen geben auf derselben Bodenfläche noch mehr Nahrungsstoff
als der Sagobaum.

kann man wenigſtens elf ganz anſehnliche Mündungen zählen.
Nach der Boca de Navios, welche die Schiffer nach der Punta
Barima erkennen, ſind vom größten Werte für die Schiffahrt
die Bocas Mariuſas, Macareo, Pedernales und Manamo
grande. Der Strich des Deltas weſtwärts von der Boca
Macareo wird von den Gewäſſern des Meerbuſens von Paria
oder Golfo triste beſpült. Dieſes Becken wird durch die Oſt-
küſte der Provinz Cumana und die Weſtküſte der Inſel
Trinidad gebildet; es ſteht mit dem Meere der Antillen durch
die vielberufenen Bocas de Dragos (Mündungen des Drachen)
in Verbindung, welche die Küſtenpiloten ſeit Chriſtoph Ko-
lumbus’ Zeit ziemlich uneigentlich als die Mündungen des
Orinoko betrachten.

Will ein Schiff von der hohen See her in die Haupt-
mündung des Orinoko, die Bocas de Navios einlaufen, ſo
muß es die Punta Barima in Sicht bekommen. Das rechte,
ſüdliche Ufer iſt das höhere; es kommt auch nicht weit davon
landeinwärts, zwiſchen dem Caño Barima, dem Aquire und
dem Cuyuni, das Granitgeſtein auf dem moraſtigen Boden
zu Tage. Das linke oder nördliche Stromufer, welches über
das Delta bis zur Boca de Mariuſas und der Punta Baxa
läuft, iſt ganz niedrig; man erkennt es von weitem nur an
den Gruppen von Mauritiapalmen, welche die Landſchaft
zieren. Der Baum iſt der Sagobaum dieſes Landſtriches; 1
man gewinnt daraus das Mehl zum Yurumabrote, und

1 Das nahrhafte Satzmehl oder Farine médullaire der Sago-
bäume findet ſich vorzugsweiſe bei einer Gruppe von Palmen, die
Kunth Calameen nennt; es kommt indeſſen auch in den Stämmen
von Cycas revoluta, Phoenix farinifera, Corypha umbraculifera
und Caryota urens vor und wird im Indiſchen Archipel von dieſen
Bäumen geſammelt und in den Handel gebracht. Der echte aſiatiſche
Sagobaum (Sagus Rumphii oder Metroxylon Sagu, Roxburgh)
gibt mehr Nahrungsſtoff als alle anderen nutzbaren Gewächſe. Von
einem einzigen Stamme gewinnt man im fünften Jahre zuweilen
300 kg Sago oder Mehl (denn das Wort Sagu bedeutet im am-
boiniſchen Dialekt Mehl). Crawfurd, der ſich ſo lange auf dem
Indiſchen Archipel aufgehalten hat, berechnet, daß auf 4029 Quadrat-
metern 435 Sagobäume wachſen können, die über 4000 kg Mehl
jährlich geben. Dieſer Ertrag iſt dreimal ſo hoch als beim Getreide,
und doppelt ſo hoch als bei der Kartoffel in Frankreich. Die Ba-
nanen geben auf derſelben Bodenfläche noch mehr Nahrungsſtoff
als der Sagobaum.
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[165/0173] kann man wenigſtens elf ganz anſehnliche Mündungen zählen. Nach der Boca de Navios, welche die Schiffer nach der Punta Barima erkennen, ſind vom größten Werte für die Schiffahrt die Bocas Mariuſas, Macareo, Pedernales und Manamo grande. Der Strich des Deltas weſtwärts von der Boca Macareo wird von den Gewäſſern des Meerbuſens von Paria oder Golfo triste beſpült. Dieſes Becken wird durch die Oſt- küſte der Provinz Cumana und die Weſtküſte der Inſel Trinidad gebildet; es ſteht mit dem Meere der Antillen durch die vielberufenen Bocas de Dragos (Mündungen des Drachen) in Verbindung, welche die Küſtenpiloten ſeit Chriſtoph Ko- lumbus’ Zeit ziemlich uneigentlich als die Mündungen des Orinoko betrachten. Will ein Schiff von der hohen See her in die Haupt- mündung des Orinoko, die Bocas de Navios einlaufen, ſo muß es die Punta Barima in Sicht bekommen. Das rechte, ſüdliche Ufer iſt das höhere; es kommt auch nicht weit davon landeinwärts, zwiſchen dem Caño Barima, dem Aquire und dem Cuyuni, das Granitgeſtein auf dem moraſtigen Boden zu Tage. Das linke oder nördliche Stromufer, welches über das Delta bis zur Boca de Mariuſas und der Punta Baxa läuft, iſt ganz niedrig; man erkennt es von weitem nur an den Gruppen von Mauritiapalmen, welche die Landſchaft zieren. Der Baum iſt der Sagobaum dieſes Landſtriches; 1 man gewinnt daraus das Mehl zum Yurumabrote, und 1 Das nahrhafte Satzmehl oder Farine médullaire der Sago- bäume findet ſich vorzugsweiſe bei einer Gruppe von Palmen, die Kunth Calameen nennt; es kommt indeſſen auch in den Stämmen von Cycas revoluta, Phoenix farinifera, Corypha umbraculifera und Caryota urens vor und wird im Indiſchen Archipel von dieſen Bäumen geſammelt und in den Handel gebracht. Der echte aſiatiſche Sagobaum (Sagus Rumphii oder Metroxylon Sagu, Roxburgh) gibt mehr Nahrungsſtoff als alle anderen nutzbaren Gewächſe. Von einem einzigen Stamme gewinnt man im fünften Jahre zuweilen 300 kg Sago oder Mehl (denn das Wort Sagu bedeutet im am- boiniſchen Dialekt Mehl). Crawfurd, der ſich ſo lange auf dem Indiſchen Archipel aufgehalten hat, berechnet, daß auf 4029 Quadrat- metern 435 Sagobäume wachſen können, die über 4000 kg Mehl jährlich geben. Dieſer Ertrag iſt dreimal ſo hoch als beim Getreide, und doppelt ſo hoch als bei der Kartoffel in Frankreich. Die Ba- nanen geben auf derſelben Bodenfläche noch mehr Nahrungsſtoff als der Sagobaum.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/173>, abgerufen am 03.05.2024.