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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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vordringen könnte. Bei einem Flusse, dessen Delta schon
205 km von der See den Anfang nimmt, kommen, wenn es
sich von der Anlage einer großen Stadt handelt, zwei Inter-
essen ins Spiel, die militärische Verteidigung und die Rück-
sicht auf Handel und Ackerbau. Der Handel verlangt, daß
die Stadt so nahe als möglich bei der großen Mündung, der
Boca de Navios liege; aus dem Gesichtspunkt der militärischen
Sicherung stände sie besser oberhalb des Beginns des Deltas,
westlich vom Punkt, wo der Canno Manamo vom Hauptstrome
abgeht und durch mannigfache Verzweigungen mit den acht
kleinen Mündungen (Bocas chicas) zwischen der Insel Cang-
rejos und der Mündung des Rio Guarapiche in Verbindung
steht. Die Lage von Vieja wie von Nueva Guyana entspricht
der letzteren Bedingung. Die der alten Stadt hat noch den
weiteren Vorteil, daß sie in gewissem Grade die schönen Nie-
derlassungen der katalonischen Kapuziner am Carony deckt.
Man könnte dieselben angreifen, wenn man vom rechten Ufer
des Brazo Imataca ans Land ginge; aber die Mündung
des Carony, in der die Pirogen die Unruhe des Wassers von
den nahen Katarakten her (Salto de Carony) spüren, ist durch
die Werke von Altguyana verteidigt.

Ich bin bei dieser Erörterung ins einzelne gegangen,
weil diese dünn bevölkerten Länder durch die politischen Er-
eignisse in neuester Zeit große Wichtigkeit erhalten haben.
Ich habe die verschiedenen Pläne besprochen, soweit ich bei
meiner Lage und meinem Verhältnis zur spanischen Regierung
die Oertlichkeiten am unteren Orinoko habe kennen lernen.
Es ist Zeit, daß man der in den spanischen und portugiesi-
schen Kolonieen herrschenden Sucht, Städte zu versetzen wie
Nomadenlager, entgegentritt. Nicht als ob die Gebäude in
Angostura zu bedeutend und zu fest wären, als daß man an
eine Zerstörung der Stadt denken könnte; bei ihrer Lage am
Fuße eines Felsens scheint sie sich schwer weiter ausdehnen
zu können; aber trotz dieser Uebelstände läßt man doch lieber
stehen, was seit fünfzig Jahren gediehen ist. Unmerklich ver-
knüpft sich mit der Existenz einer Hauptstadt, so klein sie auch
sein mag, das Bewußtsein gesicherter öffentlicher Zustände,
und wenn das Handelsinteresse eine teilweise Abänderung
durchaus verlangt, so könnte man ja später, während Ango-
stura der Sitz der Verwaltung und der Mittelpunkt der Ge-
schäfte bliebe, näher an der großen Mündung des Orinoko
einen anderen Hafen anlegen. So ist ja Guayra der Stapel-

vordringen könnte. Bei einem Fluſſe, deſſen Delta ſchon
205 km von der See den Anfang nimmt, kommen, wenn es
ſich von der Anlage einer großen Stadt handelt, zwei Inter-
eſſen ins Spiel, die militäriſche Verteidigung und die Rück-
ſicht auf Handel und Ackerbau. Der Handel verlangt, daß
die Stadt ſo nahe als möglich bei der großen Mündung, der
Boca de Navios liege; aus dem Geſichtspunkt der militäriſchen
Sicherung ſtände ſie beſſer oberhalb des Beginns des Deltas,
weſtlich vom Punkt, wo der Caño Manamo vom Hauptſtrome
abgeht und durch mannigfache Verzweigungen mit den acht
kleinen Mündungen (Bocas chicas) zwiſchen der Inſel Cang-
rejos und der Mündung des Rio Guarapiche in Verbindung
ſteht. Die Lage von Vieja wie von Nueva Guyana entſpricht
der letzteren Bedingung. Die der alten Stadt hat noch den
weiteren Vorteil, daß ſie in gewiſſem Grade die ſchönen Nie-
derlaſſungen der kataloniſchen Kapuziner am Carony deckt.
Man könnte dieſelben angreifen, wenn man vom rechten Ufer
des Brazo Imataca ans Land ginge; aber die Mündung
des Carony, in der die Pirogen die Unruhe des Waſſers von
den nahen Katarakten her (Salto de Carony) ſpüren, iſt durch
die Werke von Altguyana verteidigt.

Ich bin bei dieſer Erörterung ins einzelne gegangen,
weil dieſe dünn bevölkerten Länder durch die politiſchen Er-
eigniſſe in neueſter Zeit große Wichtigkeit erhalten haben.
Ich habe die verſchiedenen Pläne beſprochen, ſoweit ich bei
meiner Lage und meinem Verhältnis zur ſpaniſchen Regierung
die Oertlichkeiten am unteren Orinoko habe kennen lernen.
Es iſt Zeit, daß man der in den ſpaniſchen und portugieſi-
ſchen Kolonieen herrſchenden Sucht, Städte zu verſetzen wie
Nomadenlager, entgegentritt. Nicht als ob die Gebäude in
Angoſtura zu bedeutend und zu feſt wären, als daß man an
eine Zerſtörung der Stadt denken könnte; bei ihrer Lage am
Fuße eines Felſens ſcheint ſie ſich ſchwer weiter ausdehnen
zu können; aber trotz dieſer Uebelſtände läßt man doch lieber
ſtehen, was ſeit fünfzig Jahren gediehen iſt. Unmerklich ver-
knüpft ſich mit der Exiſtenz einer Hauptſtadt, ſo klein ſie auch
ſein mag, das Bewußtſein geſicherter öffentlicher Zuſtände,
und wenn das Handelsintereſſe eine teilweiſe Abänderung
durchaus verlangt, ſo könnte man ja ſpäter, während Ango-
ſtura der Sitz der Verwaltung und der Mittelpunkt der Ge-
ſchäfte bliebe, näher an der großen Mündung des Orinoko
einen anderen Hafen anlegen. So iſt ja Guayra der Stapel-

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[158/0166] vordringen könnte. Bei einem Fluſſe, deſſen Delta ſchon 205 km von der See den Anfang nimmt, kommen, wenn es ſich von der Anlage einer großen Stadt handelt, zwei Inter- eſſen ins Spiel, die militäriſche Verteidigung und die Rück- ſicht auf Handel und Ackerbau. Der Handel verlangt, daß die Stadt ſo nahe als möglich bei der großen Mündung, der Boca de Navios liege; aus dem Geſichtspunkt der militäriſchen Sicherung ſtände ſie beſſer oberhalb des Beginns des Deltas, weſtlich vom Punkt, wo der Caño Manamo vom Hauptſtrome abgeht und durch mannigfache Verzweigungen mit den acht kleinen Mündungen (Bocas chicas) zwiſchen der Inſel Cang- rejos und der Mündung des Rio Guarapiche in Verbindung ſteht. Die Lage von Vieja wie von Nueva Guyana entſpricht der letzteren Bedingung. Die der alten Stadt hat noch den weiteren Vorteil, daß ſie in gewiſſem Grade die ſchönen Nie- derlaſſungen der kataloniſchen Kapuziner am Carony deckt. Man könnte dieſelben angreifen, wenn man vom rechten Ufer des Brazo Imataca ans Land ginge; aber die Mündung des Carony, in der die Pirogen die Unruhe des Waſſers von den nahen Katarakten her (Salto de Carony) ſpüren, iſt durch die Werke von Altguyana verteidigt. Ich bin bei dieſer Erörterung ins einzelne gegangen, weil dieſe dünn bevölkerten Länder durch die politiſchen Er- eigniſſe in neueſter Zeit große Wichtigkeit erhalten haben. Ich habe die verſchiedenen Pläne beſprochen, ſoweit ich bei meiner Lage und meinem Verhältnis zur ſpaniſchen Regierung die Oertlichkeiten am unteren Orinoko habe kennen lernen. Es iſt Zeit, daß man der in den ſpaniſchen und portugieſi- ſchen Kolonieen herrſchenden Sucht, Städte zu verſetzen wie Nomadenlager, entgegentritt. Nicht als ob die Gebäude in Angoſtura zu bedeutend und zu feſt wären, als daß man an eine Zerſtörung der Stadt denken könnte; bei ihrer Lage am Fuße eines Felſens ſcheint ſie ſich ſchwer weiter ausdehnen zu können; aber trotz dieſer Uebelſtände läßt man doch lieber ſtehen, was ſeit fünfzig Jahren gediehen iſt. Unmerklich ver- knüpft ſich mit der Exiſtenz einer Hauptſtadt, ſo klein ſie auch ſein mag, das Bewußtſein geſicherter öffentlicher Zuſtände, und wenn das Handelsintereſſe eine teilweiſe Abänderung durchaus verlangt, ſo könnte man ja ſpäter, während Ango- ſtura der Sitz der Verwaltung und der Mittelpunkt der Ge- ſchäfte bliebe, näher an der großen Mündung des Orinoko einen anderen Hafen anlegen. So iſt ja Guayra der Stapel-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/166>, abgerufen am 22.11.2024.