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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Omagua, das die Abenteurer von Coro und Tocuyo vergeb-
lich zu erobern suchten, gerade zwischen dem Guayavero, der
in den Guaviare fällt, und dem Caqueta zu liegen, der weiter
unten Japura heißt. Allerdings besteht ein auffallender
Gegensatz zwischen der jetzigen Versunkenheit der Otomaken
und der früheren Civilisation der Omagua; vielleicht waren
aber nicht alle Unterabteilungen dieser Nation in der Kultur
gleich vorgeschritten, und an Beispielen, daß Stämme völlig
versinken können, ist die Geschichte unseres Geschlechtes leider
nur zu reich. Zwischen Otomaken und Omagua läßt sich
noch eine weitere Uebereinstimmung bemerklich machen. Beide
sind unter den Völkerschaften am Orinoko und am Amazonen-
strome deshalb berufen, weil sie vom Kautschuk oder der ver-
dickten Milch der Euphorbiaceen und Urticeen so ausgedehnten
Gebrauch machen.

Der eigentliche krautartige Tabak, 1 denn die Missionäre
nennen das Niopo oder Curupa "Baumtabak", wird seit
unvordenklicher Zeit von allen eingeborenen Völkern am Ori-
noko gebaut; man fand auch bei der Eroberung die Sitte
des Rauchens in beiden Amerika gleich verbreitet. Die
Tamanaken und Maypuren in Guyana umwickeln die Ci-
garren mit Mais, wie bereits die Mexikaner vor Cortez' An-
kunft gethan. Nach diesem Vorgange nehmen die Spanier
statt Maisblättern Papier. Die armen Indianer in den
Wäldern am Orinoko wissen so gut als die großen Herren
am Hofe Montezumas, daß der Tabakrauch ein vortreffliches
Narkotikum ist; sie bedienen sich desselben nicht nur, um ihre
Siesta zu halten, sondern auch, um sich in den Zustand
von Quietismus zu versetzen, den sie ein "Träumen mit
offenen Augen", "Träumen bei Tage" nennen. In allen
amerikanischen Missionen wird jetzt, wie mir schien, ungemein
wenig Tabak verbraucht, und in Neuspanien rauchen die Ein-
geborenen, die fast sämtlich von der untersten Klasse des azte-
kischen Volkes abstammen, zum großen Leidwesen des Fiskus,

1 Das Wort Tabak (tabacco) gehört, wie die Worte Savanne,
Mais, Kazike, Maguey (Agave) und Manati (Seekuh), der alten
Sprache von Hayti oder San Domingo an. Es bedeutete eigentlich
nicht das Kraut, sondern die Röhre, das Werkzeug, mittels dessen
man den Rauch einzog. Es muß auffallen, daß ein so allgemein
verbreitetes vegetabilisches Produkt bei benachbarten Völkern ver-
schiedene Namen hatte.

Omagua, das die Abenteurer von Coro und Tocuyo vergeb-
lich zu erobern ſuchten, gerade zwiſchen dem Guayavero, der
in den Guaviare fällt, und dem Caqueta zu liegen, der weiter
unten Japura heißt. Allerdings beſteht ein auffallender
Gegenſatz zwiſchen der jetzigen Verſunkenheit der Otomaken
und der früheren Civiliſation der Omagua; vielleicht waren
aber nicht alle Unterabteilungen dieſer Nation in der Kultur
gleich vorgeſchritten, und an Beiſpielen, daß Stämme völlig
verſinken können, iſt die Geſchichte unſeres Geſchlechtes leider
nur zu reich. Zwiſchen Otomaken und Omagua läßt ſich
noch eine weitere Uebereinſtimmung bemerklich machen. Beide
ſind unter den Völkerſchaften am Orinoko und am Amazonen-
ſtrome deshalb berufen, weil ſie vom Kautſchuk oder der ver-
dickten Milch der Euphorbiaceen und Urticeen ſo ausgedehnten
Gebrauch machen.

Der eigentliche krautartige Tabak, 1 denn die Miſſionäre
nennen das Niopo oder Curupa „Baumtabak“, wird ſeit
unvordenklicher Zeit von allen eingeborenen Völkern am Ori-
noko gebaut; man fand auch bei der Eroberung die Sitte
des Rauchens in beiden Amerika gleich verbreitet. Die
Tamanaken und Maypuren in Guyana umwickeln die Ci-
garren mit Mais, wie bereits die Mexikaner vor Cortez’ An-
kunft gethan. Nach dieſem Vorgange nehmen die Spanier
ſtatt Maisblättern Papier. Die armen Indianer in den
Wäldern am Orinoko wiſſen ſo gut als die großen Herren
am Hofe Montezumas, daß der Tabakrauch ein vortreffliches
Narkotikum iſt; ſie bedienen ſich desſelben nicht nur, um ihre
Sieſta zu halten, ſondern auch, um ſich in den Zuſtand
von Quietismus zu verſetzen, den ſie ein „Träumen mit
offenen Augen“, „Träumen bei Tage“ nennen. In allen
amerikaniſchen Miſſionen wird jetzt, wie mir ſchien, ungemein
wenig Tabak verbraucht, und in Neuſpanien rauchen die Ein-
geborenen, die faſt ſämtlich von der unterſten Klaſſe des azte-
kiſchen Volkes abſtammen, zum großen Leidweſen des Fiskus,

1 Das Wort Tabak (tabacco) gehört, wie die Worte Savanne,
Mais, Kazike, Maguey (Agave) und Manati (Seekuh), der alten
Sprache von Hayti oder San Domingo an. Es bedeutete eigentlich
nicht das Kraut, ſondern die Röhre, das Werkzeug, mittels deſſen
man den Rauch einzog. Es muß auffallen, daß ein ſo allgemein
verbreitetes vegetabiliſches Produkt bei benachbarten Völkern ver-
ſchiedene Namen hatte.
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[136/0144] Omagua, das die Abenteurer von Coro und Tocuyo vergeb- lich zu erobern ſuchten, gerade zwiſchen dem Guayavero, der in den Guaviare fällt, und dem Caqueta zu liegen, der weiter unten Japura heißt. Allerdings beſteht ein auffallender Gegenſatz zwiſchen der jetzigen Verſunkenheit der Otomaken und der früheren Civiliſation der Omagua; vielleicht waren aber nicht alle Unterabteilungen dieſer Nation in der Kultur gleich vorgeſchritten, und an Beiſpielen, daß Stämme völlig verſinken können, iſt die Geſchichte unſeres Geſchlechtes leider nur zu reich. Zwiſchen Otomaken und Omagua läßt ſich noch eine weitere Uebereinſtimmung bemerklich machen. Beide ſind unter den Völkerſchaften am Orinoko und am Amazonen- ſtrome deshalb berufen, weil ſie vom Kautſchuk oder der ver- dickten Milch der Euphorbiaceen und Urticeen ſo ausgedehnten Gebrauch machen. Der eigentliche krautartige Tabak, 1 denn die Miſſionäre nennen das Niopo oder Curupa „Baumtabak“, wird ſeit unvordenklicher Zeit von allen eingeborenen Völkern am Ori- noko gebaut; man fand auch bei der Eroberung die Sitte des Rauchens in beiden Amerika gleich verbreitet. Die Tamanaken und Maypuren in Guyana umwickeln die Ci- garren mit Mais, wie bereits die Mexikaner vor Cortez’ An- kunft gethan. Nach dieſem Vorgange nehmen die Spanier ſtatt Maisblättern Papier. Die armen Indianer in den Wäldern am Orinoko wiſſen ſo gut als die großen Herren am Hofe Montezumas, daß der Tabakrauch ein vortreffliches Narkotikum iſt; ſie bedienen ſich desſelben nicht nur, um ihre Sieſta zu halten, ſondern auch, um ſich in den Zuſtand von Quietismus zu verſetzen, den ſie ein „Träumen mit offenen Augen“, „Träumen bei Tage“ nennen. In allen amerikaniſchen Miſſionen wird jetzt, wie mir ſchien, ungemein wenig Tabak verbraucht, und in Neuſpanien rauchen die Ein- geborenen, die faſt ſämtlich von der unterſten Klaſſe des azte- kiſchen Volkes abſtammen, zum großen Leidweſen des Fiskus, 1 Das Wort Tabak (tabacco) gehört, wie die Worte Savanne, Mais, Kazike, Maguey (Agave) und Manati (Seekuh), der alten Sprache von Hayti oder San Domingo an. Es bedeutete eigentlich nicht das Kraut, ſondern die Röhre, das Werkzeug, mittels deſſen man den Rauch einzog. Es muß auffallen, daß ein ſo allgemein verbreitetes vegetabiliſches Produkt bei benachbarten Völkern ver- ſchiedene Namen hatte.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/144>, abgerufen am 22.11.2024.