maken in Amerika und die Neukaledonier in der Südsee) sie aus Not verzehren, um den Hunger zu beschwichtigen. Aus sehr vielen physiologischen Erscheinungen geht hervor, daß der Hunger augenblicklich gestillt werden kann, ohne daß die Sub- stanzen, die man der Wirkung der Verdauungsorgane unter- wirft, eigentlich nahrhaft sind. Der Letten der Otomaken, der aus Thonerde und Kieselerde besteht, enthält wahrschein- lich nichts oder so gut wie nichts, was zur Bildung der Or- gane des Menschen beiträgt. Kalkerde und Talkerde sind enthalten in den Knochen, in der Lymphe des Brustganges, im Farbstoff des Blutes und in den weißen Haaren; Kiesel- erde in sehr kleiner Menge in den schwarzen Haaren und, nach Vauquelin, Thonerde nur in ein paar Atomen in den Knochen, obgleich sie in vielen Pflanzenstoffen, die uns als Nahrung dienen, in Menge vorkommt. Es ist beim Menschen nicht wie bei belebten Wesen auf niedrigerer Organisations- stufe. Bei jenem werden nur die Stoffe assimiliert, aus denen die Knochen, die Muskeln, das Nervenmark und das Gehirn wesentlich znsammengesetzt sind; die Gewächse dagegen saugen aus dem Boden die Salze auf, die sich zufällig darin vorfinden, und die Beschaffenheit ihres Fasergewebes richtet sich nach dem Wesen der Erdarten, die an ihrem Standorte die vorherrschenden sind. Es ist ein Punkt, der zur eifrigsten Forschung auffordert, und der auch mich schon lange beschäftigt hat, daß so wenige einfache Stoffe (Erden und Metalle) in den Geweben der belebten Wesen enthalten sind, und daß nur sie geeignet scheinen, den chemischen Lebensprozeß, wenn man so sagen darf, zu unterhalten.
Das Gefühl des Hungers und das unbestimmte Schwäche- gefühl infolge von Nahrungsmangel und anderen pathologi- schen Ursachen sind nicht zu verwechseln. Das Gefühl des Hungers hört auf, lange bevor die Verdauung vorüber oder der Chymus in Chylus verwandelt ist. Es hört auf entweder weil die Nahrungsstoffe auf die Magenwände tonisch wirken, oder weil der Verdauungsapparat mit Stoffen gefüllt ist, welche die Schleimhäute zu reichlicher Absonderung des Magen- saftes reizen. Diesem tonischen Eindruck auf die Magennerven kann man die rasche heilsame Wirkung der sogenannten näh- renden Arzneimittel zuschreiben, der Schokolade und aller Stoffe, die gelinde reizen und zugleich nähren. Für sich allein gebraucht ist ein Nahrungsstoff (Stärkemehl, Gummi oder Zucker) zur Assimilation und zum Ersatz der Verluste, welche
maken in Amerika und die Neukaledonier in der Südſee) ſie aus Not verzehren, um den Hunger zu beſchwichtigen. Aus ſehr vielen phyſiologiſchen Erſcheinungen geht hervor, daß der Hunger augenblicklich geſtillt werden kann, ohne daß die Sub- ſtanzen, die man der Wirkung der Verdauungsorgane unter- wirft, eigentlich nahrhaft ſind. Der Letten der Otomaken, der aus Thonerde und Kieſelerde beſteht, enthält wahrſchein- lich nichts oder ſo gut wie nichts, was zur Bildung der Or- gane des Menſchen beiträgt. Kalkerde und Talkerde ſind enthalten in den Knochen, in der Lymphe des Bruſtganges, im Farbſtoff des Blutes und in den weißen Haaren; Kieſel- erde in ſehr kleiner Menge in den ſchwarzen Haaren und, nach Vauquelin, Thonerde nur in ein paar Atomen in den Knochen, obgleich ſie in vielen Pflanzenſtoffen, die uns als Nahrung dienen, in Menge vorkommt. Es iſt beim Menſchen nicht wie bei belebten Weſen auf niedrigerer Organiſations- ſtufe. Bei jenem werden nur die Stoffe aſſimiliert, aus denen die Knochen, die Muskeln, das Nervenmark und das Gehirn weſentlich znſammengeſetzt ſind; die Gewächſe dagegen ſaugen aus dem Boden die Salze auf, die ſich zufällig darin vorfinden, und die Beſchaffenheit ihres Faſergewebes richtet ſich nach dem Weſen der Erdarten, die an ihrem Standorte die vorherrſchenden ſind. Es iſt ein Punkt, der zur eifrigſten Forſchung auffordert, und der auch mich ſchon lange beſchäftigt hat, daß ſo wenige einfache Stoffe (Erden und Metalle) in den Geweben der belebten Weſen enthalten ſind, und daß nur ſie geeignet ſcheinen, den chemiſchen Lebensprozeß, wenn man ſo ſagen darf, zu unterhalten.
Das Gefühl des Hungers und das unbeſtimmte Schwäche- gefühl infolge von Nahrungsmangel und anderen pathologi- ſchen Urſachen ſind nicht zu verwechſeln. Das Gefühl des Hungers hört auf, lange bevor die Verdauung vorüber oder der Chymus in Chylus verwandelt iſt. Es hört auf entweder weil die Nahrungsſtoffe auf die Magenwände toniſch wirken, oder weil der Verdauungsapparat mit Stoffen gefüllt iſt, welche die Schleimhäute zu reichlicher Abſonderung des Magen- ſaftes reizen. Dieſem toniſchen Eindruck auf die Magennerven kann man die raſche heilſame Wirkung der ſogenannten näh- renden Arzneimittel zuſchreiben, der Schokolade und aller Stoffe, die gelinde reizen und zugleich nähren. Für ſich allein gebraucht iſt ein Nahrungsſtoff (Stärkemehl, Gummi oder Zucker) zur Aſſimilation und zum Erſatz der Verluſte, welche
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maken in Amerika und die Neukaledonier in der Südſee) ſie
aus Not verzehren, um den Hunger zu beſchwichtigen. Aus
ſehr vielen phyſiologiſchen Erſcheinungen geht hervor, daß der
Hunger augenblicklich geſtillt werden kann, ohne daß die Sub-
ſtanzen, die man der Wirkung der Verdauungsorgane unter-
wirft, eigentlich nahrhaft ſind. Der Letten der Otomaken,
der aus Thonerde und Kieſelerde beſteht, enthält wahrſchein-
lich nichts oder ſo gut wie nichts, was zur Bildung der Or-
gane des Menſchen beiträgt. Kalkerde und Talkerde ſind
enthalten in den Knochen, in der Lymphe des Bruſtganges,
im Farbſtoff des Blutes und in den weißen Haaren; Kieſel-
erde in ſehr kleiner Menge in den ſchwarzen Haaren und,
nach Vauquelin, Thonerde nur in ein paar Atomen in den
Knochen, obgleich ſie in vielen Pflanzenſtoffen, die uns als
Nahrung dienen, in Menge vorkommt. Es iſt beim Menſchen
nicht wie bei belebten Weſen auf niedrigerer Organiſations-
ſtufe. Bei jenem werden nur die Stoffe aſſimiliert, aus
denen die Knochen, die Muskeln, das Nervenmark und das
Gehirn weſentlich znſammengeſetzt ſind; die Gewächſe dagegen
ſaugen aus dem Boden die Salze auf, die ſich zufällig darin
vorfinden, und die Beſchaffenheit ihres Faſergewebes richtet
ſich nach dem Weſen der Erdarten, die an ihrem Standorte
die vorherrſchenden ſind. Es iſt ein Punkt, der zur eifrigſten
Forſchung auffordert, und der auch mich ſchon lange beſchäftigt
hat, daß ſo wenige einfache Stoffe (Erden und Metalle) in
den Geweben der belebten Weſen enthalten ſind, und daß
nur ſie geeignet ſcheinen, den chemiſchen Lebensprozeß, wenn
man ſo ſagen darf, zu unterhalten.
Das Gefühl des Hungers und das unbeſtimmte Schwäche-
gefühl infolge von Nahrungsmangel und anderen pathologi-
ſchen Urſachen ſind nicht zu verwechſeln. Das Gefühl des
Hungers hört auf, lange bevor die Verdauung vorüber oder
der Chymus in Chylus verwandelt iſt. Es hört auf entweder
weil die Nahrungsſtoffe auf die Magenwände toniſch wirken,
oder weil der Verdauungsapparat mit Stoffen gefüllt iſt,
welche die Schleimhäute zu reichlicher Abſonderung des Magen-
ſaftes reizen. Dieſem toniſchen Eindruck auf die Magennerven
kann man die raſche heilſame Wirkung der ſogenannten näh-
renden Arzneimittel zuſchreiben, der Schokolade und aller
Stoffe, die gelinde reizen und zugleich nähren. Für ſich allein
gebraucht iſt ein Nahrungsſtoff (Stärkemehl, Gummi oder
Zucker) zur Aſſimilation und zum Erſatz der Verluſte, welche
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/136>, abgerufen am 26.06.2024.
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