heißt als Sklaven verkaufen. Nachdem wir durch die Strom- schnellen Tabaje und den Raudal Cariven am Einfluß des großen Rio Meta gegangen, langten wir wohlbehalten in Carichana an. Der Missionär, Fray Jose Antonio de Torre, nahm uns mit der herzlichen Gastfreundschaft auf, die er uns schon bei unserem ersten Aufenthalt hatte zu teil werden lassen. Zu astronomischen Beobachtungen war der Himmel nicht günstig; in den großen Katarakten hatten wir wieder welche gemacht, aber von dort bis zum Einfluß des Apure mußte man darauf verzichten. In Carichana konnte Bonpland zu seiner Befriedigung eine 3 m lange Seekuh sezieren. Es war ein Weibchen und ihr Fleisch glich dem Rindfleisch. Ich habe oben vom Fang dieses grasfressenden Wassersäugetieres gesprochen. Die Piraoa, von denen einige Familien in der Mission Carichana leben, verabscheuen dieses Tier so sehr, daß sie sich versteckten, um es nicht anrühren zu müssen, als es in unsere Hütte geschafft wurde. Sie behaupten, "die Leute ihres Stammes sterben unfehlbar, wenn sie davon essen". Dieses Vorurteil ist desto auffallender, da die Nach- barn der Piraoa, die Guamos und Otomaken, nach dem Seekuhfleisch sehr lüstern sind. Wir werden bald sehen, daß in diesem Gewirre von Völkerschaften das Fleisch des Kroko- dils bald verabscheut, bald stark gesucht ist.
Ich erwähne hier eines wenig bekannten Umstandes als Beitrag zur Geschichte der Seekuh. Südlich vom Meerbusen von Xagua auf Cuba, mehrere Kilometer von der Küste, sind Quellen süßen Wassers mitten im Meer. Man erklärt sich die- selben aus einem hydrostatischen Druck von den hohen Ge- birgen von Trinidad herab durch unterirdische Kanäle. Kleine Fahrzeuge nehmen in diesem Strich zuweilen Wasser ein, und was sehr merkwürdig ist, große Seekühe halten sich beständig dort auf. Ich habe die Forscher bereits darauf aufmerksam gemacht, daß die Krokodile aus den Flußmündungen weit in die See hinausgehen. Bei den alten Umwälzungen unseres Planeten mögen ähnliche Umstände das sonderbare Gemenge von Knochen und Versteinerungen, die der See, und solchen, die dem süßen Wasser angehören, wie es in manchen neuen Formationen vorkommt, verursacht haben.
Der Aufenthalt in Carichana kam uns sehr zu statten, um uns von unseren Strapazen zu erholen. Bonpland trug den Keim einer schweren Krankheit in sich; er hätte dringend der Ruhe bedurft, da aber das Nebenflußdelta zwischen
heißt als Sklaven verkaufen. Nachdem wir durch die Strom- ſchnellen Tabaje und den Raudal Cariven am Einfluß des großen Rio Meta gegangen, langten wir wohlbehalten in Carichana an. Der Miſſionär, Fray Joſe Antonio de Torre, nahm uns mit der herzlichen Gaſtfreundſchaft auf, die er uns ſchon bei unſerem erſten Aufenthalt hatte zu teil werden laſſen. Zu aſtronomiſchen Beobachtungen war der Himmel nicht günſtig; in den großen Katarakten hatten wir wieder welche gemacht, aber von dort bis zum Einfluß des Apure mußte man darauf verzichten. In Carichana konnte Bonpland zu ſeiner Befriedigung eine 3 m lange Seekuh ſezieren. Es war ein Weibchen und ihr Fleiſch glich dem Rindfleiſch. Ich habe oben vom Fang dieſes grasfreſſenden Waſſerſäugetieres geſprochen. Die Piraoa, von denen einige Familien in der Miſſion Carichana leben, verabſcheuen dieſes Tier ſo ſehr, daß ſie ſich verſteckten, um es nicht anrühren zu müſſen, als es in unſere Hütte geſchafft wurde. Sie behaupten, „die Leute ihres Stammes ſterben unfehlbar, wenn ſie davon eſſen“. Dieſes Vorurteil iſt deſto auffallender, da die Nach- barn der Piraoa, die Guamos und Otomaken, nach dem Seekuhfleiſch ſehr lüſtern ſind. Wir werden bald ſehen, daß in dieſem Gewirre von Völkerſchaften das Fleiſch des Kroko- dils bald verabſcheut, bald ſtark geſucht iſt.
Ich erwähne hier eines wenig bekannten Umſtandes als Beitrag zur Geſchichte der Seekuh. Südlich vom Meerbuſen von Xagua auf Cuba, mehrere Kilometer von der Küſte, ſind Quellen ſüßen Waſſers mitten im Meer. Man erklärt ſich die- ſelben aus einem hydroſtatiſchen Druck von den hohen Ge- birgen von Trinidad herab durch unterirdiſche Kanäle. Kleine Fahrzeuge nehmen in dieſem Strich zuweilen Waſſer ein, und was ſehr merkwürdig iſt, große Seekühe halten ſich beſtändig dort auf. Ich habe die Forſcher bereits darauf aufmerkſam gemacht, daß die Krokodile aus den Flußmündungen weit in die See hinausgehen. Bei den alten Umwälzungen unſeres Planeten mögen ähnliche Umſtände das ſonderbare Gemenge von Knochen und Verſteinerungen, die der See, und ſolchen, die dem ſüßen Waſſer angehören, wie es in manchen neuen Formationen vorkommt, verurſacht haben.
Der Aufenthalt in Carichana kam uns ſehr zu ſtatten, um uns von unſeren Strapazen zu erholen. Bonpland trug den Keim einer ſchweren Krankheit in ſich; er hätte dringend der Ruhe bedurft, da aber das Nebenflußdelta zwiſchen
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heißt als Sklaven verkaufen. Nachdem wir durch die Strom-
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Carichana an. Der Miſſionär, Fray Joſe Antonio de Torre,
nahm uns mit der herzlichen Gaſtfreundſchaft auf, die er uns
ſchon bei unſerem erſten Aufenthalt hatte zu teil werden
laſſen. Zu aſtronomiſchen Beobachtungen war der Himmel
nicht günſtig; in den großen Katarakten hatten wir wieder
welche gemacht, aber von dort bis zum Einfluß des Apure
mußte man darauf verzichten. In Carichana konnte Bonpland
zu ſeiner Befriedigung eine 3 m lange Seekuh ſezieren. Es
war ein Weibchen und ihr Fleiſch glich dem Rindfleiſch. Ich
habe oben vom Fang dieſes grasfreſſenden Waſſerſäugetieres
geſprochen. Die Piraoa, von denen einige Familien in der
Miſſion Carichana leben, verabſcheuen dieſes Tier ſo ſehr,
daß ſie ſich verſteckten, um es nicht anrühren zu müſſen, als
es in unſere Hütte geſchafft wurde. Sie behaupten, „die
Leute ihres Stammes ſterben unfehlbar, wenn ſie davon
eſſen“. Dieſes Vorurteil iſt deſto auffallender, da die Nach-
barn der Piraoa, die Guamos und Otomaken, nach dem
Seekuhfleiſch ſehr lüſtern ſind. Wir werden bald ſehen, daß
in dieſem Gewirre von Völkerſchaften das Fleiſch des Kroko-
dils bald verabſcheut, bald ſtark geſucht iſt.
Ich erwähne hier eines wenig bekannten Umſtandes als
Beitrag zur Geſchichte der Seekuh. Südlich vom Meerbuſen
von Xagua auf Cuba, mehrere Kilometer von der Küſte, ſind
Quellen ſüßen Waſſers mitten im Meer. Man erklärt ſich die-
ſelben aus einem hydroſtatiſchen Druck von den hohen Ge-
birgen von Trinidad herab durch unterirdiſche Kanäle. Kleine
Fahrzeuge nehmen in dieſem Strich zuweilen Waſſer ein, und
was ſehr merkwürdig iſt, große Seekühe halten ſich beſtändig
dort auf. Ich habe die Forſcher bereits darauf aufmerkſam
gemacht, daß die Krokodile aus den Flußmündungen weit
in die See hinausgehen. Bei den alten Umwälzungen unſeres
Planeten mögen ähnliche Umſtände das ſonderbare Gemenge
von Knochen und Verſteinerungen, die der See, und ſolchen,
die dem ſüßen Waſſer angehören, wie es in manchen neuen
Formationen vorkommt, verurſacht haben.
Der Aufenthalt in Carichana kam uns ſehr zu ſtatten,
um uns von unſeren Strapazen zu erholen. Bonpland trug
den Keim einer ſchweren Krankheit in ſich; er hätte dringend
der Ruhe bedurft, da aber das Nebenflußdelta zwiſchen
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/128>, abgerufen am 26.06.2024.
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