Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.er war bis zur Schanze am Rio Negro gekommen, er ver- Am 31. Mai fuhren wir über die Stromschnellen der Man ersteigt mühsam und nicht ganz gefahrlos einen Ueber einen schmalen Grat gelangten wir auf einen be- er war bis zur Schanze am Rio Negro gekommen, er ver- Am 31. Mai fuhren wir über die Stromſchnellen der Man erſteigt mühſam und nicht ganz gefahrlos einen Ueber einen ſchmalen Grat gelangten wir auf einen be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0118" n="110"/> er war bis zur Schanze am Rio Negro gekommen, er ver-<lb/> ſtand Spaniſch und die Sprache der Macos, und dünkte<lb/> ſich weit erhaben über die Leute ſeines Stammes; wie hätte<lb/> er da nicht ein Mädchen vergeſſen ſollen, das im Walde auf-<lb/> gewachſen?</p><lb/> <p>Am 31. Mai fuhren wir über die Stromſchnellen der<lb/> Guahibos und bei Garcita. Die Inſeln mitten im Strome<lb/> glänzten im herrlichſten Grün. Der winterliche Regen hatte<lb/> die Blumenſcheiden der Vadgiaipalmen entwickelt, deren<lb/> Blätter gerade himmelan ſtehen. Man wird nicht müde,<lb/> Punkte zu betrachten, wo Baum und Fels der Landſchaft den<lb/> großartigen, ernſten Charakter geben, den man auf dem<lb/> Hintergrunde von Tizians und Pouſſins Bildern bewundert.<lb/> Kurz vor Sonnenuntergang ſtiegen wir am öſtlichen Ufer des<lb/> Orinoko, beim <hi rendition="#g">Puerto de la Expedicion</hi>, ans Land, und<lb/> zwar um die Höhle von Ataruipe zu beſuchen, von der oben<lb/> die Rede war, und wo ein ganzer ausgeſtorbener Volksſtamm<lb/> ſeine Grabſtätte zu haben ſcheint. Ich verſuche dieſe bei den<lb/> Eingeborenen vielberufene Höhle zu beſchreiben.</p><lb/> <p>Man erſteigt mühſam und nicht ganz gefahrlos einen<lb/> ſteilen, völlig kahlen Granitfelsberg. Man könnte auf der<lb/> glatten, ſtark geneigten Fläche faſt unmöglich Fuß faſſen,<lb/> wenn nicht große Feldſpatkriſtalle, welche nicht ſo leicht<lb/> verwittern, hervorſtünden und Anhaltspunkte böten. Auf dem<lb/> Gipfel des Berges angelangt, erſtaunten wir über den außer-<lb/> ordentlichen Anblick des Landes in der Runde. Ein Archipel<lb/> mit Palmen bewachſener Inſeln füllt das ſchäumende Strom-<lb/> bett. Weſtwärts, am linken Ufer des Orinoko, breiten ſich<lb/> die Savannen am Meta und Caſanare hin, wie eine grüne<lb/> See, deren dunſtiger Horizont von der untergehenden Sonne<lb/> beleuchtet war. Das Geſtirn, das wie ein Feuerball über<lb/> der Ebene hing, der einzeln ſtehende Spitzberg Uniana, der<lb/> um ſo höher erſchien, da ſeine Umriſſe im Dunſt verſchwam-<lb/> men; alles wirkte zuſammen, die großartige Szenerie noch<lb/> erhabener zu machen. Wir ſahen zunächſt in ein tiefes, ringsum<lb/> geſchloſſenes Thal hinunter. Raubvögel und Ziegenmelker<lb/> ſchwirrten einzeln durch den unzugänglichen Zirkus. Mit<lb/> Vergnügen verfolgten wir ihre flüchtigen Schatten, wie ſie<lb/> langſam an den Felswänden hinglitten.</p><lb/> <p>Ueber einen ſchmalen Grat gelangten wir auf einen be-<lb/> nachbarten Berg, auf deſſen abgerundetem Gipfel ungeheure<lb/> Granitblöcke lagen. Dieſe Maſſen haben 13 bis 16 <hi rendition="#aq">m</hi> Durch-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0118]
er war bis zur Schanze am Rio Negro gekommen, er ver-
ſtand Spaniſch und die Sprache der Macos, und dünkte
ſich weit erhaben über die Leute ſeines Stammes; wie hätte
er da nicht ein Mädchen vergeſſen ſollen, das im Walde auf-
gewachſen?
Am 31. Mai fuhren wir über die Stromſchnellen der
Guahibos und bei Garcita. Die Inſeln mitten im Strome
glänzten im herrlichſten Grün. Der winterliche Regen hatte
die Blumenſcheiden der Vadgiaipalmen entwickelt, deren
Blätter gerade himmelan ſtehen. Man wird nicht müde,
Punkte zu betrachten, wo Baum und Fels der Landſchaft den
großartigen, ernſten Charakter geben, den man auf dem
Hintergrunde von Tizians und Pouſſins Bildern bewundert.
Kurz vor Sonnenuntergang ſtiegen wir am öſtlichen Ufer des
Orinoko, beim Puerto de la Expedicion, ans Land, und
zwar um die Höhle von Ataruipe zu beſuchen, von der oben
die Rede war, und wo ein ganzer ausgeſtorbener Volksſtamm
ſeine Grabſtätte zu haben ſcheint. Ich verſuche dieſe bei den
Eingeborenen vielberufene Höhle zu beſchreiben.
Man erſteigt mühſam und nicht ganz gefahrlos einen
ſteilen, völlig kahlen Granitfelsberg. Man könnte auf der
glatten, ſtark geneigten Fläche faſt unmöglich Fuß faſſen,
wenn nicht große Feldſpatkriſtalle, welche nicht ſo leicht
verwittern, hervorſtünden und Anhaltspunkte böten. Auf dem
Gipfel des Berges angelangt, erſtaunten wir über den außer-
ordentlichen Anblick des Landes in der Runde. Ein Archipel
mit Palmen bewachſener Inſeln füllt das ſchäumende Strom-
bett. Weſtwärts, am linken Ufer des Orinoko, breiten ſich
die Savannen am Meta und Caſanare hin, wie eine grüne
See, deren dunſtiger Horizont von der untergehenden Sonne
beleuchtet war. Das Geſtirn, das wie ein Feuerball über
der Ebene hing, der einzeln ſtehende Spitzberg Uniana, der
um ſo höher erſchien, da ſeine Umriſſe im Dunſt verſchwam-
men; alles wirkte zuſammen, die großartige Szenerie noch
erhabener zu machen. Wir ſahen zunächſt in ein tiefes, ringsum
geſchloſſenes Thal hinunter. Raubvögel und Ziegenmelker
ſchwirrten einzeln durch den unzugänglichen Zirkus. Mit
Vergnügen verfolgten wir ihre flüchtigen Schatten, wie ſie
langſam an den Felswänden hinglitten.
Ueber einen ſchmalen Grat gelangten wir auf einen be-
nachbarten Berg, auf deſſen abgerundetem Gipfel ungeheure
Granitblöcke lagen. Dieſe Maſſen haben 13 bis 16 m Durch-
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