Am 10. April. Wir konnten erst um 10 Uhr morgens unter Segel gehen. Nur schwer gewöhnten wir uns an die neue Piroge, die uns eben ein neues Gefängnis war. Um an Breite zu gewinnen, hatte man auf dem Hinterteile des Fahrzeuges aus Baumzweigen eine Art Gitter angebracht, das auf beiden Seiten über den Bord hinausreichte. Leider war das Blätterdach (el toldo) darüber so niedrig, daß man ge- bückt sitzen oder ausgestreckt liegen mußte, wo man dann nichts sah. Da man die Pirogen durch die Stromschnellen, ja von einem Flusse zum anderen schleppen muß, und weil man dem Winde zu viel Fläche böte, wenn man den Toldo höher machte, so kann auf den kleinen Fahrzeugen, die zum Rio Negro hinaufgehen, die Sache nicht anders eingerichtet werden. Das Dach war für vier Personen bestimmt, die auf dem Verdeck oder dem Gitter aus Baumzweigen lagen; aber die Beine reichen weit über das Gitter hinaus, und wenn es regnet, wird man zum halben Leibe durchnäßt. Dabei liegt man auf Ochsenhäuten oder Tigerfellen und die Baumzweige darunter drücken einen durch die dünne Decke gewaltig. Das Vorder- teil des Fahrzeuges nahmen die indianischen Ruderer ein, die 1 m lange, löffelförmige Pagaien führen. Sie sind ganz nackt, sitzen paarweise und rudern im Takt, den sie merk- würdig genau einhalten. Ihr Gesang ist trübselig, eintönig. Die kleinen Käfige mit unseren Vögeln und Affen, deren immer mehr wurden, je weiter wir kamen, waren teils am Toldo, teils am Vorderteil aufgehängt. Es war unsere Reise- menagerie. Obgleich viele der kleinen Tiere durch Zufall, meist aber am Sonnenstich zu Grunde gingen, hatten wir ihrer bei der Rückkehr vom Cassiquiare noch vierzehn. Natura- liensammler, die lebende Tiere nach Europa bringen wollen, könnten sich in Angostura und Gran-Para, den beiden Haupt- städten am Orinoko und Amazonenstrom, eigens für ihren Zweck Pirogen bauen lassen, wo im ersten Dritteil zwei Reihen gegen die Sonnenglut geschützter Käfige angebracht wären. Wenn wir unser Nachtlager aufschlugen, befanden sich die Menagerie und die Instrumente immer in der Mitte; rings- um kamen fofort unsere Hängematten, dann die der Indianer, und zu äußerst die Feuer, die man für unentbehrlich hielt, um den Jaguar fernzuhalten. Um Sonnenaufgang stimmten unsere Affen in das Geschrei der Affen im Walde ein. Dieser Verkehr zwischen Tieren derselben Art, die einander zugethan sind, ohne sich zu sehen, von denen die einen der Freiheit
Am 10. April. Wir konnten erſt um 10 Uhr morgens unter Segel gehen. Nur ſchwer gewöhnten wir uns an die neue Piroge, die uns eben ein neues Gefängnis war. Um an Breite zu gewinnen, hatte man auf dem Hinterteile des Fahrzeuges aus Baumzweigen eine Art Gitter angebracht, das auf beiden Seiten über den Bord hinausreichte. Leider war das Blätterdach (el toldo) darüber ſo niedrig, daß man ge- bückt ſitzen oder ausgeſtreckt liegen mußte, wo man dann nichts ſah. Da man die Pirogen durch die Stromſchnellen, ja von einem Fluſſe zum anderen ſchleppen muß, und weil man dem Winde zu viel Fläche böte, wenn man den Toldo höher machte, ſo kann auf den kleinen Fahrzeugen, die zum Rio Negro hinaufgehen, die Sache nicht anders eingerichtet werden. Das Dach war für vier Perſonen beſtimmt, die auf dem Verdeck oder dem Gitter aus Baumzweigen lagen; aber die Beine reichen weit über das Gitter hinaus, und wenn es regnet, wird man zum halben Leibe durchnäßt. Dabei liegt man auf Ochſenhäuten oder Tigerfellen und die Baumzweige darunter drücken einen durch die dünne Decke gewaltig. Das Vorder- teil des Fahrzeuges nahmen die indianiſchen Ruderer ein, die 1 m lange, löffelförmige Pagaien führen. Sie ſind ganz nackt, ſitzen paarweiſe und rudern im Takt, den ſie merk- würdig genau einhalten. Ihr Geſang iſt trübſelig, eintönig. Die kleinen Käfige mit unſeren Vögeln und Affen, deren immer mehr wurden, je weiter wir kamen, waren teils am Toldo, teils am Vorderteil aufgehängt. Es war unſere Reiſe- menagerie. Obgleich viele der kleinen Tiere durch Zufall, meiſt aber am Sonnenſtich zu Grunde gingen, hatten wir ihrer bei der Rückkehr vom Caſſiquiare noch vierzehn. Natura- lienſammler, die lebende Tiere nach Europa bringen wollen, könnten ſich in Angoſtura und Gran-Para, den beiden Haupt- ſtädten am Orinoko und Amazonenſtrom, eigens für ihren Zweck Pirogen bauen laſſen, wo im erſten Dritteil zwei Reihen gegen die Sonnenglut geſchützter Käfige angebracht wären. Wenn wir unſer Nachtlager aufſchlugen, befanden ſich die Menagerie und die Inſtrumente immer in der Mitte; rings- um kamen fofort unſere Hängematten, dann die der Indianer, und zu äußerſt die Feuer, die man für unentbehrlich hielt, um den Jaguar fernzuhalten. Um Sonnenaufgang ſtimmten unſere Affen in das Geſchrei der Affen im Walde ein. Dieſer Verkehr zwiſchen Tieren derſelben Art, die einander zugethan ſind, ohne ſich zu ſehen, von denen die einen der Freiheit
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Am 10. April. Wir konnten erſt um 10 Uhr morgens
unter Segel gehen. Nur ſchwer gewöhnten wir uns an die
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an Breite zu gewinnen, hatte man auf dem Hinterteile des
Fahrzeuges aus Baumzweigen eine Art Gitter angebracht, das
auf beiden Seiten über den Bord hinausreichte. Leider war
das Blätterdach (el toldo) darüber ſo niedrig, daß man ge-
bückt ſitzen oder ausgeſtreckt liegen mußte, wo man dann nichts
ſah. Da man die Pirogen durch die Stromſchnellen, ja von
einem Fluſſe zum anderen ſchleppen muß, und weil man dem
Winde zu viel Fläche böte, wenn man den Toldo höher machte,
ſo kann auf den kleinen Fahrzeugen, die zum Rio Negro
hinaufgehen, die Sache nicht anders eingerichtet werden. Das
Dach war für vier Perſonen beſtimmt, die auf dem Verdeck
oder dem Gitter aus Baumzweigen lagen; aber die Beine
reichen weit über das Gitter hinaus, und wenn es regnet,
wird man zum halben Leibe durchnäßt. Dabei liegt man auf
Ochſenhäuten oder Tigerfellen und die Baumzweige darunter
drücken einen durch die dünne Decke gewaltig. Das Vorder-
teil des Fahrzeuges nahmen die indianiſchen Ruderer ein, die
1 m lange, löffelförmige Pagaien führen. Sie ſind ganz
nackt, ſitzen paarweiſe und rudern im Takt, den ſie merk-
würdig genau einhalten. Ihr Geſang iſt trübſelig, eintönig.
Die kleinen Käfige mit unſeren Vögeln und Affen, deren
immer mehr wurden, je weiter wir kamen, waren teils am
Toldo, teils am Vorderteil aufgehängt. Es war unſere Reiſe-
menagerie. Obgleich viele der kleinen Tiere durch Zufall,
meiſt aber am Sonnenſtich zu Grunde gingen, hatten wir
ihrer bei der Rückkehr vom Caſſiquiare noch vierzehn. Natura-
lienſammler, die lebende Tiere nach Europa bringen wollen,
könnten ſich in Angoſtura und Gran-Para, den beiden Haupt-
ſtädten am Orinoko und Amazonenſtrom, eigens für ihren
Zweck Pirogen bauen laſſen, wo im erſten Dritteil zwei Reihen
gegen die Sonnenglut geſchützter Käfige angebracht wären.
Wenn wir unſer Nachtlager aufſchlugen, befanden ſich die
Menagerie und die Inſtrumente immer in der Mitte; rings-
um kamen fofort unſere Hängematten, dann die der Indianer,
und zu äußerſt die Feuer, die man für unentbehrlich hielt,
um den Jaguar fernzuhalten. Um Sonnenaufgang ſtimmten
unſere Affen in das Geſchrei der Affen im Walde ein. Dieſer
Verkehr zwiſchen Tieren derſelben Art, die einander zugethan
ſind, ohne ſich zu ſehen, von denen die einen der Freiheit
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/87>, abgerufen am 28.11.2024.
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