Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

unvorsichtigerweise einem starken Regen aussetzt. Manche Na-
tionen bemalen sich nur, wenn sie Feste begehen, andere sind
das ganze Jahr mit Farbe angestrichen, und bei diesen ist der
Gebrauch des Onoto so unumgänglich, daß Männer und
Weiber sich wohl weniger schämten, wenn sie sich ohne
Guayuco, als wenn sie sich unbemalt blicken ließen. Die
Guayucos bestehen am Orinoko teils aus Baumrinde, teils
aus Baumwollenzeug. Die Männer tragen sie breiter als die
Weiber, die überhaupt (wie die Missionäre behaupten) weniger
Schamgefühl haben. Schon Christoph Kolumbus hat eine
ähnliche Bemerkung gemacht. Sollte diese Gleichgültigkeit der
Weiber, dieser ihr Mangel an Scham unter Völkern, deren
Sitten doch nicht sehr verdorben sind, nicht daher rühren, daß
das andere Geschlecht in Südamerika durch Mißbrauch der
Gewalt von seiten der Männer so tief herabgewürdigt und
zu Sklavendiensten verurteilt ist?

Ist in Europa von einem Eingeborenen von Guyana die
Rede, so stellt man sich einen Menschen vor, der an Kopf
und Gürtel mit schönen Arras-, Tucan-, Tangara- und
Kolibrifedern geschmückt ist. Von jeher gilt bei unseren Malern
und Bildhauern solcher Putz für das charakteristische Merkmal
eines Amerikaners. Zu unserer Ueberraschung sahen wir in
den Missionen der Chaymas, in den Lagern von Uruana und
Pararuma, ja beinahe am ganzen Orinoko und Cassiquiare
nirgends jene schönen Federbüsche, jene Federschürzen, wie sie
die Reisenden so oft aus Cayenne und Demerary heimbringen.
Die meisten Völkerschaften in Guyana, selbst die, deren Geistes-
kräfte ziemlich entwickelt sind, die Ackerbau treiben und Baum-
wollenzeug weben, sind so nackt, so arm, so schmucklos wie die
Neuholländer. Bei der ungeheuren Hitze, beim starken Schweiß,
der den Körper den ganzen Tag über und zum Teil auch bei
Nacht bedeckt, ist jede Bekleidung unerträglich. Die Putzsachen,
namentlich die Federbüsche werden nur bei Tanz und Festlich-
keit gebraucht. Die Federbüsche der Guaypundaves sind wegen
der Auswahl der schönen Manakin- und Papageienfedern die
berühmtesten.


americana) widersteht dem Wasser länger, wie wir zu unserem
großen Verdruß an uns selbst erfuhren. Wir scherzten eines Tages
mit den Indianern und machten uns mit Caruto Tupfen und Striche
ins Gesicht, und man sah dieselben noch, als wir schon wieder in
Angostura, im Schoße europäischer Kultur waren.

unvorſichtigerweiſe einem ſtarken Regen ausſetzt. Manche Na-
tionen bemalen ſich nur, wenn ſie Feſte begehen, andere ſind
das ganze Jahr mit Farbe angeſtrichen, und bei dieſen iſt der
Gebrauch des Onoto ſo unumgänglich, daß Männer und
Weiber ſich wohl weniger ſchämten, wenn ſie ſich ohne
Guayuco, als wenn ſie ſich unbemalt blicken ließen. Die
Guayucos beſtehen am Orinoko teils aus Baumrinde, teils
aus Baumwollenzeug. Die Männer tragen ſie breiter als die
Weiber, die überhaupt (wie die Miſſionäre behaupten) weniger
Schamgefühl haben. Schon Chriſtoph Kolumbus hat eine
ähnliche Bemerkung gemacht. Sollte dieſe Gleichgültigkeit der
Weiber, dieſer ihr Mangel an Scham unter Völkern, deren
Sitten doch nicht ſehr verdorben ſind, nicht daher rühren, daß
das andere Geſchlecht in Südamerika durch Mißbrauch der
Gewalt von ſeiten der Männer ſo tief herabgewürdigt und
zu Sklavendienſten verurteilt iſt?

Iſt in Europa von einem Eingeborenen von Guyana die
Rede, ſo ſtellt man ſich einen Menſchen vor, der an Kopf
und Gürtel mit ſchönen Arras-, Tucan-, Tangara- und
Kolibrifedern geſchmückt iſt. Von jeher gilt bei unſeren Malern
und Bildhauern ſolcher Putz für das charakteriſtiſche Merkmal
eines Amerikaners. Zu unſerer Ueberraſchung ſahen wir in
den Miſſionen der Chaymas, in den Lagern von Uruana und
Pararuma, ja beinahe am ganzen Orinoko und Caſſiquiare
nirgends jene ſchönen Federbüſche, jene Federſchürzen, wie ſie
die Reiſenden ſo oft aus Cayenne und Demerary heimbringen.
Die meiſten Völkerſchaften in Guyana, ſelbſt die, deren Geiſtes-
kräfte ziemlich entwickelt ſind, die Ackerbau treiben und Baum-
wollenzeug weben, ſind ſo nackt, ſo arm, ſo ſchmucklos wie die
Neuholländer. Bei der ungeheuren Hitze, beim ſtarken Schweiß,
der den Körper den ganzen Tag über und zum Teil auch bei
Nacht bedeckt, iſt jede Bekleidung unerträglich. Die Putzſachen,
namentlich die Federbüſche werden nur bei Tanz und Feſtlich-
keit gebraucht. Die Federbüſche der Guaypuñaves ſind wegen
der Auswahl der ſchönen Manakin- und Papageienfedern die
berühmteſten.


americana) widerſteht dem Waſſer länger, wie wir zu unſerem
großen Verdruß an uns ſelbſt erfuhren. Wir ſcherzten eines Tages
mit den Indianern und machten uns mit Caruto Tupfen und Striche
ins Geſicht, und man ſah dieſelben noch, als wir ſchon wieder in
Angoſtura, im Schoße europäiſcher Kultur waren.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0079" n="71"/>
unvor&#x017F;ichtigerwei&#x017F;e einem &#x017F;tarken Regen aus&#x017F;etzt. Manche Na-<lb/>
tionen bemalen &#x017F;ich nur, wenn &#x017F;ie Fe&#x017F;te begehen, andere &#x017F;ind<lb/>
das ganze Jahr mit Farbe ange&#x017F;trichen, und bei die&#x017F;en i&#x017F;t der<lb/>
Gebrauch des Onoto &#x017F;o unumgänglich, daß Männer und<lb/>
Weiber &#x017F;ich wohl weniger &#x017F;chämten, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich ohne<lb/><hi rendition="#g">Guayuco</hi>, als wenn &#x017F;ie &#x017F;ich unbemalt blicken ließen. Die<lb/><hi rendition="#g">Guayucos</hi> be&#x017F;tehen am Orinoko teils aus Baumrinde, teils<lb/>
aus Baumwollenzeug. Die Männer tragen &#x017F;ie breiter als die<lb/>
Weiber, die überhaupt (wie die Mi&#x017F;&#x017F;ionäre behaupten) weniger<lb/>
Schamgefühl haben. Schon Chri&#x017F;toph Kolumbus hat eine<lb/>
ähnliche Bemerkung gemacht. Sollte die&#x017F;e Gleichgültigkeit der<lb/>
Weiber, die&#x017F;er ihr Mangel an Scham unter Völkern, deren<lb/>
Sitten doch nicht &#x017F;ehr verdorben &#x017F;ind, nicht daher rühren, daß<lb/>
das andere Ge&#x017F;chlecht in Südamerika durch Mißbrauch der<lb/>
Gewalt von &#x017F;eiten der Männer &#x017F;o tief herabgewürdigt und<lb/>
zu Sklavendien&#x017F;ten verurteilt i&#x017F;t?</p><lb/>
          <p>I&#x017F;t in Europa von einem Eingeborenen von Guyana die<lb/>
Rede, &#x017F;o &#x017F;tellt man &#x017F;ich einen Men&#x017F;chen vor, der an Kopf<lb/>
und Gürtel mit &#x017F;chönen Arras-, Tucan-, Tangara- und<lb/>
Kolibrifedern ge&#x017F;chmückt i&#x017F;t. Von jeher gilt bei un&#x017F;eren Malern<lb/>
und Bildhauern &#x017F;olcher Putz für das charakteri&#x017F;ti&#x017F;che Merkmal<lb/>
eines Amerikaners. Zu un&#x017F;erer Ueberra&#x017F;chung &#x017F;ahen wir in<lb/>
den Mi&#x017F;&#x017F;ionen der Chaymas, in den Lagern von Uruana und<lb/>
Pararuma, ja beinahe am ganzen Orinoko und Ca&#x017F;&#x017F;iquiare<lb/>
nirgends jene &#x017F;chönen Federbü&#x017F;che, jene Feder&#x017F;chürzen, wie &#x017F;ie<lb/>
die Rei&#x017F;enden &#x017F;o oft aus Cayenne und Demerary heimbringen.<lb/>
Die mei&#x017F;ten Völker&#x017F;chaften in Guyana, &#x017F;elb&#x017F;t die, deren Gei&#x017F;tes-<lb/>
kräfte ziemlich entwickelt &#x017F;ind, die Ackerbau treiben und Baum-<lb/>
wollenzeug weben, &#x017F;ind &#x017F;o nackt, &#x017F;o arm, &#x017F;o &#x017F;chmucklos wie die<lb/>
Neuholländer. Bei der ungeheuren Hitze, beim &#x017F;tarken Schweiß,<lb/>
der den Körper den ganzen Tag über und zum Teil auch bei<lb/>
Nacht bedeckt, i&#x017F;t jede Bekleidung unerträglich. Die Putz&#x017F;achen,<lb/>
namentlich die Federbü&#x017F;che werden nur bei Tanz und Fe&#x017F;tlich-<lb/>
keit gebraucht. Die Federbü&#x017F;che der Guaypuñaves &#x017F;ind wegen<lb/>
der Auswahl der &#x017F;chönen Manakin- und Papageienfedern die<lb/>
berühmte&#x017F;ten.</p><lb/>
          <p>
            <note xml:id="seg2pn_2_2" prev="#seg2pn_2_1" place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">americana)</hi> wider&#x017F;teht dem Wa&#x017F;&#x017F;er länger, wie wir zu un&#x017F;erem<lb/>
großen Verdruß an uns &#x017F;elb&#x017F;t erfuhren. Wir &#x017F;cherzten eines Tages<lb/>
mit den Indianern und machten uns mit Caruto Tupfen und Striche<lb/>
ins Ge&#x017F;icht, und man &#x017F;ah die&#x017F;elben noch, als wir &#x017F;chon wieder in<lb/>
Ango&#x017F;tura, im Schoße europäi&#x017F;cher Kultur waren.</note>
          </p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0079] unvorſichtigerweiſe einem ſtarken Regen ausſetzt. Manche Na- tionen bemalen ſich nur, wenn ſie Feſte begehen, andere ſind das ganze Jahr mit Farbe angeſtrichen, und bei dieſen iſt der Gebrauch des Onoto ſo unumgänglich, daß Männer und Weiber ſich wohl weniger ſchämten, wenn ſie ſich ohne Guayuco, als wenn ſie ſich unbemalt blicken ließen. Die Guayucos beſtehen am Orinoko teils aus Baumrinde, teils aus Baumwollenzeug. Die Männer tragen ſie breiter als die Weiber, die überhaupt (wie die Miſſionäre behaupten) weniger Schamgefühl haben. Schon Chriſtoph Kolumbus hat eine ähnliche Bemerkung gemacht. Sollte dieſe Gleichgültigkeit der Weiber, dieſer ihr Mangel an Scham unter Völkern, deren Sitten doch nicht ſehr verdorben ſind, nicht daher rühren, daß das andere Geſchlecht in Südamerika durch Mißbrauch der Gewalt von ſeiten der Männer ſo tief herabgewürdigt und zu Sklavendienſten verurteilt iſt? Iſt in Europa von einem Eingeborenen von Guyana die Rede, ſo ſtellt man ſich einen Menſchen vor, der an Kopf und Gürtel mit ſchönen Arras-, Tucan-, Tangara- und Kolibrifedern geſchmückt iſt. Von jeher gilt bei unſeren Malern und Bildhauern ſolcher Putz für das charakteriſtiſche Merkmal eines Amerikaners. Zu unſerer Ueberraſchung ſahen wir in den Miſſionen der Chaymas, in den Lagern von Uruana und Pararuma, ja beinahe am ganzen Orinoko und Caſſiquiare nirgends jene ſchönen Federbüſche, jene Federſchürzen, wie ſie die Reiſenden ſo oft aus Cayenne und Demerary heimbringen. Die meiſten Völkerſchaften in Guyana, ſelbſt die, deren Geiſtes- kräfte ziemlich entwickelt ſind, die Ackerbau treiben und Baum- wollenzeug weben, ſind ſo nackt, ſo arm, ſo ſchmucklos wie die Neuholländer. Bei der ungeheuren Hitze, beim ſtarken Schweiß, der den Körper den ganzen Tag über und zum Teil auch bei Nacht bedeckt, iſt jede Bekleidung unerträglich. Die Putzſachen, namentlich die Federbüſche werden nur bei Tanz und Feſtlich- keit gebraucht. Die Federbüſche der Guaypuñaves ſind wegen der Auswahl der ſchönen Manakin- und Papageienfedern die berühmteſten. 1 1 americana) widerſteht dem Waſſer länger, wie wir zu unſerem großen Verdruß an uns ſelbſt erfuhren. Wir ſcherzten eines Tages mit den Indianern und machten uns mit Caruto Tupfen und Striche ins Geſicht, und man ſah dieſelben noch, als wir ſchon wieder in Angoſtura, im Schoße europäiſcher Kultur waren.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/79
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/79>, abgerufen am 20.04.2024.