Sonne fehlen, um ihre Papiere zu trocknen". Wir hatten nur ein einziges Buch eingebüßt, und zwar den ersten Band von Schrebers Genera plantarum, der ins Wasser gefallen war. Dergleichen Verluste thun weh, wenn man auf so wenige wissenschaftliche Werke beschränkt ist.
Mit Einbruch der Nacht schlugen wir unser Nachtlager auf einer kahlen Insel mitten im Strome in der Nähe der Mission Uruana auf. Bei herrlichem Mondschein, auf großen Schildkrötenpanzern sitzend, die am Ufer lagen, nahmen wir unser Abendessen ein. Wie herzlich freuten wir uns, daß wir alle beisammen waren! Wir stellten uns vor, wie es einem ergangen wäre, der sich beim Schiffbruch allein gerettet hätte, wie er am öden Ufer auf und ab irrte, wo er jeden Augen- blick an ein Wasser kam, das in den Orinoko läuft und durch das er wegen der vielen Krokodile und Karibenfische nur mit Lebensgefahr schwimmen konnte. Und dieser Mann mit ge- fühlvollem Herzen weiß nicht, was aus seinen Unglücksgefährten geworden ist, und ihr Los bekümmert ihn mehr als das seine! Gern überläßt man sich solchen wehmütigen Vorstellungen, weil einen nach einer überstandenen Gefahr unwillkürlich nach starken Eindrücken fort verlangt. Jeder von uns war inner- lich mit dem beschäftigt, was sich eben vor unseren Augen zugetragen hatte. Es gibt Momente im Leben, wo einem, ohne daß man gerade verzagte, vor der Zukunft banger ist als sonst. Wir waren erst drei Tage auf dem Orinoko und vor uns lag eine dreimonatliche Fahrt auf Flüssen voll Klippen, in Fahrzeugen noch kleiner als das, mit dem wir beinahe zu Grunde gegangen wären.
Die Nacht war sehr schwül. Wir lagen am Boden auf Häuten, da wir keine Bäume zum Befestigen der Hängematten fanden. Die Plage der Moskiten wurde mit jedem Tage ärger. Wir bemerkten zu unserer Ueberraschung, daß die Jaguare hier unsere Feuer nicht scheuten. Sie schwammen über den Flußarm, der uns vom Lande trennte, und morgens hörten wir sie ganz in unserer Nähe brüllen. Sie waren auf die Insel, wo wir die Nacht zubrachten, herübergekommen. Die Indianer sagten uns, während der Eierernte zeigen sich die Tiger an den Ufern hier immer häufiger als sonst, und sie seien um diese Zeit auch am kecksten.
Am 7. April. Im Weiterfahren lag uns zur Rechten die Einmündung des großen Rio Arauca, der wegen der un- geheuren Menge von Vögeln berühmt ist, die auf ihm leben,
Sonne fehlen, um ihre Papiere zu trocknen“. Wir hatten nur ein einziges Buch eingebüßt, und zwar den erſten Band von Schrebers Genera plantarum, der ins Waſſer gefallen war. Dergleichen Verluſte thun weh, wenn man auf ſo wenige wiſſenſchaftliche Werke beſchränkt iſt.
Mit Einbruch der Nacht ſchlugen wir unſer Nachtlager auf einer kahlen Inſel mitten im Strome in der Nähe der Miſſion Uruana auf. Bei herrlichem Mondſchein, auf großen Schildkrötenpanzern ſitzend, die am Ufer lagen, nahmen wir unſer Abendeſſen ein. Wie herzlich freuten wir uns, daß wir alle beiſammen waren! Wir ſtellten uns vor, wie es einem ergangen wäre, der ſich beim Schiffbruch allein gerettet hätte, wie er am öden Ufer auf und ab irrte, wo er jeden Augen- blick an ein Waſſer kam, das in den Orinoko läuft und durch das er wegen der vielen Krokodile und Karibenfiſche nur mit Lebensgefahr ſchwimmen konnte. Und dieſer Mann mit ge- fühlvollem Herzen weiß nicht, was aus ſeinen Unglücksgefährten geworden iſt, und ihr Los bekümmert ihn mehr als das ſeine! Gern überläßt man ſich ſolchen wehmütigen Vorſtellungen, weil einen nach einer überſtandenen Gefahr unwillkürlich nach ſtarken Eindrücken fort verlangt. Jeder von uns war inner- lich mit dem beſchäftigt, was ſich eben vor unſeren Augen zugetragen hatte. Es gibt Momente im Leben, wo einem, ohne daß man gerade verzagte, vor der Zukunft banger iſt als ſonſt. Wir waren erſt drei Tage auf dem Orinoko und vor uns lag eine dreimonatliche Fahrt auf Flüſſen voll Klippen, in Fahrzeugen noch kleiner als das, mit dem wir beinahe zu Grunde gegangen wären.
Die Nacht war ſehr ſchwül. Wir lagen am Boden auf Häuten, da wir keine Bäume zum Befeſtigen der Hängematten fanden. Die Plage der Moskiten wurde mit jedem Tage ärger. Wir bemerkten zu unſerer Ueberraſchung, daß die Jaguare hier unſere Feuer nicht ſcheuten. Sie ſchwammen über den Flußarm, der uns vom Lande trennte, und morgens hörten wir ſie ganz in unſerer Nähe brüllen. Sie waren auf die Inſel, wo wir die Nacht zubrachten, herübergekommen. Die Indianer ſagten uns, während der Eierernte zeigen ſich die Tiger an den Ufern hier immer häufiger als ſonſt, und ſie ſeien um dieſe Zeit auch am keckſten.
Am 7. April. Im Weiterfahren lag uns zur Rechten die Einmündung des großen Rio Arauca, der wegen der un- geheuren Menge von Vögeln berühmt iſt, die auf ihm leben,
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Sonne fehlen, um ihre Papiere zu trocknen“. Wir hatten
nur ein einziges Buch eingebüßt, und zwar den erſten Band
von Schrebers Genera plantarum, der ins Waſſer gefallen
war. Dergleichen Verluſte thun weh, wenn man auf ſo
wenige wiſſenſchaftliche Werke beſchränkt iſt.
Mit Einbruch der Nacht ſchlugen wir unſer Nachtlager
auf einer kahlen Inſel mitten im Strome in der Nähe der
Miſſion Uruana auf. Bei herrlichem Mondſchein, auf großen
Schildkrötenpanzern ſitzend, die am Ufer lagen, nahmen wir
unſer Abendeſſen ein. Wie herzlich freuten wir uns, daß wir
alle beiſammen waren! Wir ſtellten uns vor, wie es einem
ergangen wäre, der ſich beim Schiffbruch allein gerettet hätte,
wie er am öden Ufer auf und ab irrte, wo er jeden Augen-
blick an ein Waſſer kam, das in den Orinoko läuft und durch
das er wegen der vielen Krokodile und Karibenfiſche nur mit
Lebensgefahr ſchwimmen konnte. Und dieſer Mann mit ge-
fühlvollem Herzen weiß nicht, was aus ſeinen Unglücksgefährten
geworden iſt, und ihr Los bekümmert ihn mehr als das ſeine!
Gern überläßt man ſich ſolchen wehmütigen Vorſtellungen,
weil einen nach einer überſtandenen Gefahr unwillkürlich nach
ſtarken Eindrücken fort verlangt. Jeder von uns war inner-
lich mit dem beſchäftigt, was ſich eben vor unſeren Augen
zugetragen hatte. Es gibt Momente im Leben, wo einem,
ohne daß man gerade verzagte, vor der Zukunft banger iſt
als ſonſt. Wir waren erſt drei Tage auf dem Orinoko und
vor uns lag eine dreimonatliche Fahrt auf Flüſſen voll Klippen,
in Fahrzeugen noch kleiner als das, mit dem wir beinahe
zu Grunde gegangen wären.
Die Nacht war ſehr ſchwül. Wir lagen am Boden auf
Häuten, da wir keine Bäume zum Befeſtigen der Hängematten
fanden. Die Plage der Moskiten wurde mit jedem Tage
ärger. Wir bemerkten zu unſerer Ueberraſchung, daß die
Jaguare hier unſere Feuer nicht ſcheuten. Sie ſchwammen
über den Flußarm, der uns vom Lande trennte, und morgens
hörten wir ſie ganz in unſerer Nähe brüllen. Sie waren auf
die Inſel, wo wir die Nacht zubrachten, herübergekommen.
Die Indianer ſagten uns, während der Eierernte zeigen ſich
die Tiger an den Ufern hier immer häufiger als ſonſt, und
ſie ſeien um dieſe Zeit auch am keckſten.
Am 7. April. Im Weiterfahren lag uns zur Rechten
die Einmündung des großen Rio Arauca, der wegen der un-
geheuren Menge von Vögeln berühmt iſt, die auf ihm leben,
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/67>, abgerufen am 16.02.2025.
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