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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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aus Angostura, sogar Zwieback aus Weizenmehl. Unsere In-
dianer füllten die Piroge zu ihrem eigenen Bedarf mit jungen
Schildkröten und an der Sonne getrockneten Eiern. Nach-
dem wir vom Missionär, der uns sehr herzlich aufgenommen,
uns verabschiedet hatten, gingen wir gegen 4 Uhr abends
unter Segel. Der Wind blies frisch und in Stößen. Seit
wir uns im gebirgigen Teile des Landes befanden, hatten wir
die Bemerkung gemacht, daß unsere Piroge ein sehr schlechtes
Segelwerk führe; aber der "Patron" wollte den Indianern,
die am Ufer beisammen standen, zeigen, daß er, wenn er sich
dicht am Wind halte, mit einem Schlage mitten in den
Strom kommen könne. Aber eben, als er seine Geschicklich-
keit und die Kühnheit seines Manövers pries, fuhr der Wind
so heftig in das Segel, daß wir beinahe gesunken wären.
Der eine Bord kam unter Wasser und dasselbe stürzte mit
solcher Gewalt herein, daß wir bis zu den Knieen darin
standen. Es lief über ein Tischchen weg, an dem ich im
Hinterteil des Fahrzeuges eben schrieb. Kaum rettete ich mein
Tagebuch, und im nächsten Augenblick sahen wir unsere Bücher,
Papiere und getrockneten Pflanzen umherschwimmen. Bon-
pland schlief mitten in der Piroge. Vom eindringenden
Wasser und dem Geschrei der Indianer aufgeschreckt, übersah
er unsere Lage sogleich mit der Kaltblütigkeit, die ihm unter
allen Verhältnissen treu geblieben ist. Der im Wasser stehende
Bord hob sich während der Windstöße von Zeit zu Zeit wieder,
und so gab er das Fahrzeug nicht verloren. Sollte man es
auch verlassen müssen, so konnte man sich, glaubte er, durch
Schwimmen retten, da sich kein Krokodil blicken ließ. Wäh-
rend wir so ängstlich gespannt waren, riß auf einmal das
Tauwerk des Segels. Derselbe Sturm, der uns auf die
Seite geworfen, half uns jetzt aufrichten. Man machte sich
alsbald daran, das Wasser mit den Früchten der Crescentia
Cujete
auszuschöpfen; das Segel wurde ausgebessert, und
in weniger als einer halben Stunde konnten wir wieder weiter
fahren. Der Wind hatte sich etwas gelegt. Windstöße, die
mit Windstillen wechseln, sind übrigens hier, wo der Orinoko
im Gebirge läuft, sehr häufig und können überladenen Schiffen
ohne Verdeck sehr gefährlich werden. Wir waren wie durch
ein Wunder gerettet worden. Der Steuermann verschanzte
sich hinter sein indianisches Phlegma, als man ihn heftig
schalt, daß er sich zu nahe am Winde gehalten. Er äußerte
kaltblütig, "es werde hier herum den weißen Leuten nicht an

aus Angoſtura, ſogar Zwieback aus Weizenmehl. Unſere In-
dianer füllten die Piroge zu ihrem eigenen Bedarf mit jungen
Schildkröten und an der Sonne getrockneten Eiern. Nach-
dem wir vom Miſſionär, der uns ſehr herzlich aufgenommen,
uns verabſchiedet hatten, gingen wir gegen 4 Uhr abends
unter Segel. Der Wind blies friſch und in Stößen. Seit
wir uns im gebirgigen Teile des Landes befanden, hatten wir
die Bemerkung gemacht, daß unſere Piroge ein ſehr ſchlechtes
Segelwerk führe; aber der „Patron“ wollte den Indianern,
die am Ufer beiſammen ſtanden, zeigen, daß er, wenn er ſich
dicht am Wind halte, mit einem Schlage mitten in den
Strom kommen könne. Aber eben, als er ſeine Geſchicklich-
keit und die Kühnheit ſeines Manövers pries, fuhr der Wind
ſo heftig in das Segel, daß wir beinahe geſunken wären.
Der eine Bord kam unter Waſſer und dasſelbe ſtürzte mit
ſolcher Gewalt herein, daß wir bis zu den Knieen darin
ſtanden. Es lief über ein Tiſchchen weg, an dem ich im
Hinterteil des Fahrzeuges eben ſchrieb. Kaum rettete ich mein
Tagebuch, und im nächſten Augenblick ſahen wir unſere Bücher,
Papiere und getrockneten Pflanzen umherſchwimmen. Bon-
pland ſchlief mitten in der Piroge. Vom eindringenden
Waſſer und dem Geſchrei der Indianer aufgeſchreckt, überſah
er unſere Lage ſogleich mit der Kaltblütigkeit, die ihm unter
allen Verhältniſſen treu geblieben iſt. Der im Waſſer ſtehende
Bord hob ſich während der Windſtöße von Zeit zu Zeit wieder,
und ſo gab er das Fahrzeug nicht verloren. Sollte man es
auch verlaſſen müſſen, ſo konnte man ſich, glaubte er, durch
Schwimmen retten, da ſich kein Krokodil blicken ließ. Wäh-
rend wir ſo ängſtlich geſpannt waren, riß auf einmal das
Tauwerk des Segels. Derſelbe Sturm, der uns auf die
Seite geworfen, half uns jetzt aufrichten. Man machte ſich
alsbald daran, das Waſſer mit den Früchten der Crescentia
Cujete
auszuſchöpfen; das Segel wurde ausgebeſſert, und
in weniger als einer halben Stunde konnten wir wieder weiter
fahren. Der Wind hatte ſich etwas gelegt. Windſtöße, die
mit Windſtillen wechſeln, ſind übrigens hier, wo der Orinoko
im Gebirge läuft, ſehr häufig und können überladenen Schiffen
ohne Verdeck ſehr gefährlich werden. Wir waren wie durch
ein Wunder gerettet worden. Der Steuermann verſchanzte
ſich hinter ſein indianiſches Phlegma, als man ihn heftig
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[58/0066] aus Angoſtura, ſogar Zwieback aus Weizenmehl. Unſere In- dianer füllten die Piroge zu ihrem eigenen Bedarf mit jungen Schildkröten und an der Sonne getrockneten Eiern. Nach- dem wir vom Miſſionär, der uns ſehr herzlich aufgenommen, uns verabſchiedet hatten, gingen wir gegen 4 Uhr abends unter Segel. Der Wind blies friſch und in Stößen. Seit wir uns im gebirgigen Teile des Landes befanden, hatten wir die Bemerkung gemacht, daß unſere Piroge ein ſehr ſchlechtes Segelwerk führe; aber der „Patron“ wollte den Indianern, die am Ufer beiſammen ſtanden, zeigen, daß er, wenn er ſich dicht am Wind halte, mit einem Schlage mitten in den Strom kommen könne. Aber eben, als er ſeine Geſchicklich- keit und die Kühnheit ſeines Manövers pries, fuhr der Wind ſo heftig in das Segel, daß wir beinahe geſunken wären. Der eine Bord kam unter Waſſer und dasſelbe ſtürzte mit ſolcher Gewalt herein, daß wir bis zu den Knieen darin ſtanden. Es lief über ein Tiſchchen weg, an dem ich im Hinterteil des Fahrzeuges eben ſchrieb. Kaum rettete ich mein Tagebuch, und im nächſten Augenblick ſahen wir unſere Bücher, Papiere und getrockneten Pflanzen umherſchwimmen. Bon- pland ſchlief mitten in der Piroge. Vom eindringenden Waſſer und dem Geſchrei der Indianer aufgeſchreckt, überſah er unſere Lage ſogleich mit der Kaltblütigkeit, die ihm unter allen Verhältniſſen treu geblieben iſt. Der im Waſſer ſtehende Bord hob ſich während der Windſtöße von Zeit zu Zeit wieder, und ſo gab er das Fahrzeug nicht verloren. Sollte man es auch verlaſſen müſſen, ſo konnte man ſich, glaubte er, durch Schwimmen retten, da ſich kein Krokodil blicken ließ. Wäh- rend wir ſo ängſtlich geſpannt waren, riß auf einmal das Tauwerk des Segels. Derſelbe Sturm, der uns auf die Seite geworfen, half uns jetzt aufrichten. Man machte ſich alsbald daran, das Waſſer mit den Früchten der Crescentia Cujete auszuſchöpfen; das Segel wurde ausgebeſſert, und in weniger als einer halben Stunde konnten wir wieder weiter fahren. Der Wind hatte ſich etwas gelegt. Windſtöße, die mit Windſtillen wechſeln, ſind übrigens hier, wo der Orinoko im Gebirge läuft, ſehr häufig und können überladenen Schiffen ohne Verdeck ſehr gefährlich werden. Wir waren wie durch ein Wunder gerettet worden. Der Steuermann verſchanzte ſich hinter ſein indianiſches Phlegma, als man ihn heftig ſchalt, daß er ſich zu nahe am Winde gehalten. Er äußerte kaltblütig, „es werde hier herum den weißen Leuten nicht an

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/66>, abgerufen am 28.03.2024.