kröten". Trotz ihrer ungestümen Bewegungen fängt man sie leicht mit den Händen.
Die drei Indianerlager an den oben erwähnten Orten werden Ende März und in den ersten Tagen Aprils eröffnet. Die Eierernte geht das eine Mal vor sich wie das andere, mit der Regelmäßigkeit, die bei allem herrscht, was von Mönchen ausgeht. Ehe die Missionäre an den Fluß kamen, beuteten die Eingeborenen ein Produkt, das die Natur hier in so reicher Fülle bietet, in weit geringerem Maße aus. Jeder Stamm durchwühlte das Ufer nach seiner eigenen Weise und es wurden unendlich viele Eier mutwillig zerbrochen, weil man nicht vorsichtig grub und mehr Eier fand, als man mitnehmen konnte. Es war, als würde eine Erzgrube von ungeschickten Händen ausgebeutet. Den Jesuiten gebührt das Verdienst, daß sie die Ausbeutung geregelt haben, und die Franziskaner, welche die Jesuiten in den Missionen am Orinoko abgelöst haben, rühmen sich zwar, daß sie das Verfahren ihrer Vor- gänger einhalten, gehen aber leider keineswegs mit der ge- hörigen Vorsicht zu Werke. Die Jesuiten gaben nicht zu, daß das ganze Ufer ausgebeutet wurde; sie ließen ein Stück un- berührt liegen, weil sie besorgten, die Arrauschildkröten möchten, wenn nicht ausgerottet werden, doch bedeutend abnehmen. Jetzt wühlt man das ganze Ufer rücksichtslos um, und man meint auch zu bemerken, daß die Ernten von Jahr zu Jahr geringer werden.
Ist das Lager aufgeschlagen, so ernennt der Missionär von Uruana seinen Stellvertreter oder den Kommissär, der den Landstrich, wo die Eier liegen, nach der Zahl der Indianer- stämme, die sich in die Ernte teilen, in Lose zerlegt. Es sind lauter "Indianer aus den Missionen", aber so nackt und ver- sunken wie die "Indianer aus den Wäldern"; man nennt sie reducidos und neofitos, weil sie zur Kirche gehen, wenn man die Glocke zieht, und gelernt haben, bei der Wandlung auf die Kniee zu fallen.
Der Commissionado del Padre beginnt das Geschäft damit, daß er den Boden sondiert. Mit einer langen höl- zernen Stange, wie oben bemerkt, oder mit einem Bambu- rohr untersucht er, wie weit die "Eierschicht" reicht. Nach unseren Messungen erstreckt sich die Schicht bis zu 40 m vom Ufer und ist im Durchschnitt 1 m tief. Der Kommissär steckt ab, wie weit jeder Stamm arbeiten darf. Mit Verwunde- rung hört man den Ertrag der Eierernte gerade wie den Er-
kröten“. Trotz ihrer ungeſtümen Bewegungen fängt man ſie leicht mit den Händen.
Die drei Indianerlager an den oben erwähnten Orten werden Ende März und in den erſten Tagen Aprils eröffnet. Die Eierernte geht das eine Mal vor ſich wie das andere, mit der Regelmäßigkeit, die bei allem herrſcht, was von Mönchen ausgeht. Ehe die Miſſionäre an den Fluß kamen, beuteten die Eingeborenen ein Produkt, das die Natur hier in ſo reicher Fülle bietet, in weit geringerem Maße aus. Jeder Stamm durchwühlte das Ufer nach ſeiner eigenen Weiſe und es wurden unendlich viele Eier mutwillig zerbrochen, weil man nicht vorſichtig grub und mehr Eier fand, als man mitnehmen konnte. Es war, als würde eine Erzgrube von ungeſchickten Händen ausgebeutet. Den Jeſuiten gebührt das Verdienſt, daß ſie die Ausbeutung geregelt haben, und die Franziskaner, welche die Jeſuiten in den Miſſionen am Orinoko abgelöſt haben, rühmen ſich zwar, daß ſie das Verfahren ihrer Vor- gänger einhalten, gehen aber leider keineswegs mit der ge- hörigen Vorſicht zu Werke. Die Jeſuiten gaben nicht zu, daß das ganze Ufer ausgebeutet wurde; ſie ließen ein Stück un- berührt liegen, weil ſie beſorgten, die Arrauſchildkröten möchten, wenn nicht ausgerottet werden, doch bedeutend abnehmen. Jetzt wühlt man das ganze Ufer rückſichtslos um, und man meint auch zu bemerken, daß die Ernten von Jahr zu Jahr geringer werden.
Iſt das Lager aufgeſchlagen, ſo ernennt der Miſſionär von Uruana ſeinen Stellvertreter oder den Kommiſſär, der den Landſtrich, wo die Eier liegen, nach der Zahl der Indianer- ſtämme, die ſich in die Ernte teilen, in Loſe zerlegt. Es ſind lauter „Indianer aus den Miſſionen“, aber ſo nackt und ver- ſunken wie die „Indianer aus den Wäldern“; man nennt ſie reducidos und neofitos, weil ſie zur Kirche gehen, wenn man die Glocke zieht, und gelernt haben, bei der Wandlung auf die Kniee zu fallen.
Der Commiſſionado del Padre beginnt das Geſchäft damit, daß er den Boden ſondiert. Mit einer langen höl- zernen Stange, wie oben bemerkt, oder mit einem Bambu- rohr unterſucht er, wie weit die „Eierſchicht“ reicht. Nach unſeren Meſſungen erſtreckt ſich die Schicht bis zu 40 m vom Ufer und iſt im Durchſchnitt 1 m tief. Der Kommiſſär ſteckt ab, wie weit jeder Stamm arbeiten darf. Mit Verwunde- rung hört man den Ertrag der Eierernte gerade wie den Er-
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[53/0061]
kröten“. Trotz ihrer ungeſtümen Bewegungen fängt man ſie
leicht mit den Händen.
Die drei Indianerlager an den oben erwähnten Orten
werden Ende März und in den erſten Tagen Aprils eröffnet.
Die Eierernte geht das eine Mal vor ſich wie das andere, mit
der Regelmäßigkeit, die bei allem herrſcht, was von Mönchen
ausgeht. Ehe die Miſſionäre an den Fluß kamen, beuteten
die Eingeborenen ein Produkt, das die Natur hier in ſo reicher
Fülle bietet, in weit geringerem Maße aus. Jeder Stamm
durchwühlte das Ufer nach ſeiner eigenen Weiſe und es wurden
unendlich viele Eier mutwillig zerbrochen, weil man nicht
vorſichtig grub und mehr Eier fand, als man mitnehmen
konnte. Es war, als würde eine Erzgrube von ungeſchickten
Händen ausgebeutet. Den Jeſuiten gebührt das Verdienſt,
daß ſie die Ausbeutung geregelt haben, und die Franziskaner,
welche die Jeſuiten in den Miſſionen am Orinoko abgelöſt
haben, rühmen ſich zwar, daß ſie das Verfahren ihrer Vor-
gänger einhalten, gehen aber leider keineswegs mit der ge-
hörigen Vorſicht zu Werke. Die Jeſuiten gaben nicht zu, daß
das ganze Ufer ausgebeutet wurde; ſie ließen ein Stück un-
berührt liegen, weil ſie beſorgten, die Arrauſchildkröten möchten,
wenn nicht ausgerottet werden, doch bedeutend abnehmen.
Jetzt wühlt man das ganze Ufer rückſichtslos um, und man
meint auch zu bemerken, daß die Ernten von Jahr zu Jahr
geringer werden.
Iſt das Lager aufgeſchlagen, ſo ernennt der Miſſionär
von Uruana ſeinen Stellvertreter oder den Kommiſſär, der
den Landſtrich, wo die Eier liegen, nach der Zahl der Indianer-
ſtämme, die ſich in die Ernte teilen, in Loſe zerlegt. Es ſind
lauter „Indianer aus den Miſſionen“, aber ſo nackt und ver-
ſunken wie die „Indianer aus den Wäldern“; man nennt
ſie reducidos und neofitos, weil ſie zur Kirche gehen, wenn
man die Glocke zieht, und gelernt haben, bei der Wandlung
auf die Kniee zu fallen.
Der Commiſſionado del Padre beginnt das Geſchäft
damit, daß er den Boden ſondiert. Mit einer langen höl-
zernen Stange, wie oben bemerkt, oder mit einem Bambu-
rohr unterſucht er, wie weit die „Eierſchicht“ reicht. Nach
unſeren Meſſungen erſtreckt ſich die Schicht bis zu 40 m vom
Ufer und iſt im Durchſchnitt 1 m tief. Der Kommiſſär ſteckt
ab, wie weit jeder Stamm arbeiten darf. Mit Verwunde-
rung hört man den Ertrag der Eierernte gerade wie den Er-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/61>, abgerufen am 17.07.2024.
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