vorne an der Schnauze gebissen oder, wie die Eingeborenen sagen, gestochen. Sie hatten lange Schwänze wie die Mo- lossen; ich glaube aber, daß es Phyllostomen waren, deren mit Warzen besetzte Zunge ein Saugorgan ist, das sie be- deutend verlängern können. Die Wunde war ganz klein und rund. Der Hund heulte kläglich, sobald er den Biß fühlte, aber nicht aus Schmerz, sondern weil er über die Fledermäuse, als sie unter unseren Hängematten hervorkamen, erschrak. Dergleichen Fälle sind weit seltener, als man im Lande selbst glaubt. Obgleich wir in Ländern, wo die Vampyre und ähn- liche Fledermausarten so häufig sind, so manche Nacht unter freiem Himmel geschlafen haben, sind wir doch nie von ihnen gebissen worden. Ueberdem ist der Stich keineswegs gefähr- lich und der Schmerz meist so unbedeutend, daß man erst aufwacht, wenn die Fledermaus sich bereits davongemacht hat.
Am 4. April. Dies war unser letzter Tag auf dem Apure. Der Pflanzenwuchs an den Ufern wurde immer ein- förmiger. Seit einigen Tagen, besonders seit der Mission Arichuna, fingen wir an, arg von den Insekten gequält zu werden, die sich uns auf Gesicht und Hände setzten. Es waren keine Moskiten, die den Habitus kleiner Mücken von der Gattung Simulium haben, 1 sondern Zancudos, echte Schna- ken, aber von unserem Culex pipiens ganz verschieden. Sie kommen erst nach Sonnenuntergang zum Vorschein; ihr Saug- rüssel ist so lang, daß, wenn sie sich an die Unterseite der Hängematte setzen, ihr Stachel durch die Hängematte und die dicksten Kleider dringt.
Wir wollten in der Vuelta del Palmito übernachten, aber an diesem Strich des Apure gibt es so viele Jaguare, daß unsere Indianer, als sie unsere Hängematten befestigen wollten, ihrer zwei hinter einem Courbarilstamm versteckt fanden. Man riet uns, das Schiff wieder zu besteigen und unser Nachtlager auf der Insel Apurito, ganz nahe beim Einfluß in den Orinoko, aufzuschlagen. Dieser Teil der Insel gehört zu der Provinz Caracas, dagegen das rechte Ufer des Apure zu der Provinz Varinas und das rechte Ufer des Orinoko zu Spanisch- Guyana. Wir fanden keine Bäume, um unsere Hängematten zu befestigen, und mußten am Boden auf Ochsenhäuten schlafen.
1 Latreille hat gefunden, daß die Moustiques in Südkarolina zur Gattung Simulium (Atractocera, Meigen) gehören.
vorne an der Schnauze gebiſſen oder, wie die Eingeborenen ſagen, geſtochen. Sie hatten lange Schwänze wie die Mo- loſſen; ich glaube aber, daß es Phylloſtomen waren, deren mit Warzen beſetzte Zunge ein Saugorgan iſt, das ſie be- deutend verlängern können. Die Wunde war ganz klein und rund. Der Hund heulte kläglich, ſobald er den Biß fühlte, aber nicht aus Schmerz, ſondern weil er über die Fledermäuſe, als ſie unter unſeren Hängematten hervorkamen, erſchrak. Dergleichen Fälle ſind weit ſeltener, als man im Lande ſelbſt glaubt. Obgleich wir in Ländern, wo die Vampyre und ähn- liche Fledermausarten ſo häufig ſind, ſo manche Nacht unter freiem Himmel geſchlafen haben, ſind wir doch nie von ihnen gebiſſen worden. Ueberdem iſt der Stich keineswegs gefähr- lich und der Schmerz meiſt ſo unbedeutend, daß man erſt aufwacht, wenn die Fledermaus ſich bereits davongemacht hat.
Am 4. April. Dies war unſer letzter Tag auf dem Apure. Der Pflanzenwuchs an den Ufern wurde immer ein- förmiger. Seit einigen Tagen, beſonders ſeit der Miſſion Arichuna, fingen wir an, arg von den Inſekten gequält zu werden, die ſich uns auf Geſicht und Hände ſetzten. Es waren keine Moskiten, die den Habitus kleiner Mücken von der Gattung Simulium haben, 1 ſondern Zancudos, echte Schna- ken, aber von unſerem Culex pipiens ganz verſchieden. Sie kommen erſt nach Sonnenuntergang zum Vorſchein; ihr Saug- rüſſel iſt ſo lang, daß, wenn ſie ſich an die Unterſeite der Hängematte ſetzen, ihr Stachel durch die Hängematte und die dickſten Kleider dringt.
Wir wollten in der Vuelta del Palmito übernachten, aber an dieſem Strich des Apure gibt es ſo viele Jaguare, daß unſere Indianer, als ſie unſere Hängematten befeſtigen wollten, ihrer zwei hinter einem Courbarilſtamm verſteckt fanden. Man riet uns, das Schiff wieder zu beſteigen und unſer Nachtlager auf der Inſel Apurito, ganz nahe beim Einfluß in den Orinoko, aufzuſchlagen. Dieſer Teil der Inſel gehört zu der Provinz Caracas, dagegen das rechte Ufer des Apure zu der Provinz Varinas und das rechte Ufer des Orinoko zu Spaniſch- Guyana. Wir fanden keine Bäume, um unſere Hängematten zu befeſtigen, und mußten am Boden auf Ochſenhäuten ſchlafen.
1 Latreille hat gefunden, daß die Mouſtiques in Südkarolina zur Gattung Simulium (Atractocera, Meigen) gehören.
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[36/0044]
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ſagen, geſtochen. Sie hatten lange Schwänze wie die Mo-
loſſen; ich glaube aber, daß es Phylloſtomen waren, deren
mit Warzen beſetzte Zunge ein Saugorgan iſt, das ſie be-
deutend verlängern können. Die Wunde war ganz klein und
rund. Der Hund heulte kläglich, ſobald er den Biß fühlte,
aber nicht aus Schmerz, ſondern weil er über die Fledermäuſe,
als ſie unter unſeren Hängematten hervorkamen, erſchrak.
Dergleichen Fälle ſind weit ſeltener, als man im Lande ſelbſt
glaubt. Obgleich wir in Ländern, wo die Vampyre und ähn-
liche Fledermausarten ſo häufig ſind, ſo manche Nacht unter
freiem Himmel geſchlafen haben, ſind wir doch nie von ihnen
gebiſſen worden. Ueberdem iſt der Stich keineswegs gefähr-
lich und der Schmerz meiſt ſo unbedeutend, daß man erſt
aufwacht, wenn die Fledermaus ſich bereits davongemacht hat.
Am 4. April. Dies war unſer letzter Tag auf dem
Apure. Der Pflanzenwuchs an den Ufern wurde immer ein-
förmiger. Seit einigen Tagen, beſonders ſeit der Miſſion
Arichuna, fingen wir an, arg von den Inſekten gequält zu
werden, die ſich uns auf Geſicht und Hände ſetzten. Es waren
keine Moskiten, die den Habitus kleiner Mücken von der
Gattung Simulium haben, 1 ſondern Zancudos, echte Schna-
ken, aber von unſerem Culex pipiens ganz verſchieden. Sie
kommen erſt nach Sonnenuntergang zum Vorſchein; ihr Saug-
rüſſel iſt ſo lang, daß, wenn ſie ſich an die Unterſeite der
Hängematte ſetzen, ihr Stachel durch die Hängematte und die
dickſten Kleider dringt.
Wir wollten in der Vuelta del Palmito übernachten,
aber an dieſem Strich des Apure gibt es ſo viele Jaguare,
daß unſere Indianer, als ſie unſere Hängematten befeſtigen
wollten, ihrer zwei hinter einem Courbarilſtamm verſteckt
fanden. Man riet uns, das Schiff wieder zu beſteigen und unſer
Nachtlager auf der Inſel Apurito, ganz nahe beim Einfluß in
den Orinoko, aufzuſchlagen. Dieſer Teil der Inſel gehört zu der
Provinz Caracas, dagegen das rechte Ufer des Apure zu der
Provinz Varinas und das rechte Ufer des Orinoko zu Spaniſch-
Guyana. Wir fanden keine Bäume, um unſere Hängematten
zu befeſtigen, und mußten am Boden auf Ochſenhäuten ſchlafen.
1 Latreille hat gefunden, daß die Mouſtiques in Südkarolina
zur Gattung Simulium (Atractocera, Meigen) gehören.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/44>, abgerufen am 16.07.2024.
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