geschieht oft, wenn das Tier sehr groß ist, mitten auf dem Flusse, und zwar so, daß man die Piroge zu zwei Dritt- teilen mit Wasser füllt, sie unter das Tier schiebt und mit einer Kürbisflasche wieder ausschöpft. Am leichtesten sind sie am Ende der großen Ueberschwemmungen zu fangen, wenn sie aus den Strömen in die umliegenden Seen und Sümpfe geraten sind und das Wasser schnell fällt. Zur Zeit, wo die Jesuiten den Missionen am unteren Orinoko vorstanden, kamen diese alle Jahre in Cabruta unterhalb dem Apure zusammen, um mit den Indianern aus ihren Missionen am Fuße des Berges, der gegenwärtig el Capuchino heißt, eine große See- kuhjagd anzustellen. Das Fett des Tiers, die Manteca de Manati, wird in den Kirchenlampen gebrannt, und man kocht auch damit. Es hat nicht den widrigen Geruch des Walfisch- thranes oder des Fettes anderer Cetaceen mit Spritzlöchern. Die Haut der Seekuh, die über 4 cm dick ist, wird in Streifen zerschnitten, und diese dienen in den Llanos, wie die Streifen von Ochsenhaut, als Stricke. Kommt sie ins Wasser, so hat sie den Fehler, daß sie zu faulen anfängt. Man macht in den spanischen Kolonieen Peitschen daraus, daher auch die Worte Latigo und Manati gleichbedeutend sind. Diese Peit- schen aus Seekuhhaut sind ein schreckliches Werkzeug zur Züch- tigung der unglücklichen Sklaven, ja der Indianer in den Missionen, die nach den Gesetzen als freie Menschen behandelt werden sollten.
Wir übernachteten der Insel Conserva gegenüber. Als wir am Waldsaume hingingen, fiel uns ein ungeheurer, 22 m hoher, mit verästeten Dornen bedeckter Baum auf. Die In- dianer nennen ihn Barba de Tigre. Es ist vielleicht ein Baum aus der Familie der Berberideen oder Sauerdorne. Die In- dianer hatten unsere Feuer dicht am Wasser angezündet; da fanden wir wieder, daß sein Glanz die Krokodile herlockte, und sogar die Delphine (Toninas), deren Lärm uns nicht schlafen ließ, bis man das Feuer auslöschte. Wir wurden in dieser Nacht zweimal auf die Beine gebracht, was ich nur anführe, weil es ein paar Züge zum Bilde dieser Wildnis liefert. Ein weiblicher Jaguar kam unserem Nachtlager nahe, um sein Junges am Strome trinken zu lassen. Die Indianer verjagten ihn; aber noch geraume Zeit hörten wir das Ge- schrei des Jungen, das wie das Miauen einer jungen Katze klang. Bald darauf wurde unsere große Dogge von unge- heuren Fledermäusen, die um unsere Hängematten flatterten,
geſchieht oft, wenn das Tier ſehr groß iſt, mitten auf dem Fluſſe, und zwar ſo, daß man die Piroge zu zwei Dritt- teilen mit Waſſer füllt, ſie unter das Tier ſchiebt und mit einer Kürbisflaſche wieder ausſchöpft. Am leichteſten ſind ſie am Ende der großen Ueberſchwemmungen zu fangen, wenn ſie aus den Strömen in die umliegenden Seen und Sümpfe geraten ſind und das Waſſer ſchnell fällt. Zur Zeit, wo die Jeſuiten den Miſſionen am unteren Orinoko vorſtanden, kamen dieſe alle Jahre in Cabruta unterhalb dem Apure zuſammen, um mit den Indianern aus ihren Miſſionen am Fuße des Berges, der gegenwärtig el Capuchino heißt, eine große See- kuhjagd anzuſtellen. Das Fett des Tiers, die Manteca de Manati, wird in den Kirchenlampen gebrannt, und man kocht auch damit. Es hat nicht den widrigen Geruch des Walfiſch- thranes oder des Fettes anderer Cetaceen mit Spritzlöchern. Die Haut der Seekuh, die über 4 cm dick iſt, wird in Streifen zerſchnitten, und dieſe dienen in den Llanos, wie die Streifen von Ochſenhaut, als Stricke. Kommt ſie ins Waſſer, ſo hat ſie den Fehler, daß ſie zu faulen anfängt. Man macht in den ſpaniſchen Kolonieen Peitſchen daraus, daher auch die Worte Latigo und Manati gleichbedeutend ſind. Dieſe Peit- ſchen aus Seekuhhaut ſind ein ſchreckliches Werkzeug zur Züch- tigung der unglücklichen Sklaven, ja der Indianer in den Miſſionen, die nach den Geſetzen als freie Menſchen behandelt werden ſollten.
Wir übernachteten der Inſel Conſerva gegenüber. Als wir am Waldſaume hingingen, fiel uns ein ungeheurer, 22 m hoher, mit veräſteten Dornen bedeckter Baum auf. Die In- dianer nennen ihn Barba de Tigre. Es iſt vielleicht ein Baum aus der Familie der Berberideen oder Sauerdorne. Die In- dianer hatten unſere Feuer dicht am Waſſer angezündet; da fanden wir wieder, daß ſein Glanz die Krokodile herlockte, und ſogar die Delphine (Toninas), deren Lärm uns nicht ſchlafen ließ, bis man das Feuer auslöſchte. Wir wurden in dieſer Nacht zweimal auf die Beine gebracht, was ich nur anführe, weil es ein paar Züge zum Bilde dieſer Wildnis liefert. Ein weiblicher Jaguar kam unſerem Nachtlager nahe, um ſein Junges am Strome trinken zu laſſen. Die Indianer verjagten ihn; aber noch geraume Zeit hörten wir das Ge- ſchrei des Jungen, das wie das Miauen einer jungen Katze klang. Bald darauf wurde unſere große Dogge von unge- heuren Fledermäuſen, die um unſere Hängematten flatterten,
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[35/0043]
geſchieht oft, wenn das Tier ſehr groß iſt, mitten auf dem
Fluſſe, und zwar ſo, daß man die Piroge zu zwei Dritt-
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einer Kürbisflaſche wieder ausſchöpft. Am leichteſten ſind
ſie am Ende der großen Ueberſchwemmungen zu fangen, wenn
ſie aus den Strömen in die umliegenden Seen und Sümpfe
geraten ſind und das Waſſer ſchnell fällt. Zur Zeit, wo die
Jeſuiten den Miſſionen am unteren Orinoko vorſtanden, kamen
dieſe alle Jahre in Cabruta unterhalb dem Apure zuſammen,
um mit den Indianern aus ihren Miſſionen am Fuße des
Berges, der gegenwärtig el Capuchino heißt, eine große See-
kuhjagd anzuſtellen. Das Fett des Tiers, die Manteca de
Manati, wird in den Kirchenlampen gebrannt, und man kocht
auch damit. Es hat nicht den widrigen Geruch des Walfiſch-
thranes oder des Fettes anderer Cetaceen mit Spritzlöchern.
Die Haut der Seekuh, die über 4 cm dick iſt, wird in
Streifen zerſchnitten, und dieſe dienen in den Llanos, wie die
Streifen von Ochſenhaut, als Stricke. Kommt ſie ins Waſſer,
ſo hat ſie den Fehler, daß ſie zu faulen anfängt. Man macht
in den ſpaniſchen Kolonieen Peitſchen daraus, daher auch die
Worte Latigo und Manati gleichbedeutend ſind. Dieſe Peit-
ſchen aus Seekuhhaut ſind ein ſchreckliches Werkzeug zur Züch-
tigung der unglücklichen Sklaven, ja der Indianer in den
Miſſionen, die nach den Geſetzen als freie Menſchen behandelt
werden ſollten.
Wir übernachteten der Inſel Conſerva gegenüber. Als
wir am Waldſaume hingingen, fiel uns ein ungeheurer, 22 m
hoher, mit veräſteten Dornen bedeckter Baum auf. Die In-
dianer nennen ihn Barba de Tigre. Es iſt vielleicht ein Baum
aus der Familie der Berberideen oder Sauerdorne. Die In-
dianer hatten unſere Feuer dicht am Waſſer angezündet; da
fanden wir wieder, daß ſein Glanz die Krokodile herlockte,
und ſogar die Delphine (Toninas), deren Lärm uns nicht
ſchlafen ließ, bis man das Feuer auslöſchte. Wir wurden in
dieſer Nacht zweimal auf die Beine gebracht, was ich nur
anführe, weil es ein paar Züge zum Bilde dieſer Wildnis
liefert. Ein weiblicher Jaguar kam unſerem Nachtlager nahe,
um ſein Junges am Strome trinken zu laſſen. Die Indianer
verjagten ihn; aber noch geraume Zeit hörten wir das Ge-
ſchrei des Jungen, das wie das Miauen einer jungen Katze
klang. Bald darauf wurde unſere große Dogge von unge-
heuren Fledermäuſen, die um unſere Hängematten flatterten,
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/43>, abgerufen am 16.07.2024.
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