gern sagt, das Castillo de San Felipe, liegt San Carlos gegenüber am westlichen Ufer des Rio Negro. Der Kommandant trug Bedenken, Bonpland und mich die Forta- leza sehen zu lassen; in unseren Pässen stand wohl, daß ich sollte Berge messen und überall im Lande, wo es mir gefiele, trigonometrische Operationen vornehmen dürfen, aber vom Be- sehen fester Plätze stand nichts darin. Unser Reisebegleiter, Don Nicolas Soto, war als spanischer Offizier glücklicher als wir. Man erlaubte ihm, über den Fluß zu gehen, und er fand auf einer kleinen abgeholzten Ebene die Anfänge eines Erdwerkes, das, wenn es vollendet wäre, zur Verteidigung 500 Mann erforderte. Es ist eine viereckige Verschanzung mit kaum sichtbarem Graben. Die Brustwehr ist 1,6 m hoch und mit großen Steinen verstärkt. Dem Flusse zu liegen zwei Bastionen, in denen man vier bis fünf Stücke aufstellen könnte. Im ganzen Werk sind 14 bis 15 Geschütze, meist ohne Lafetten und von zwei Mann bewacht. Um die Schanze her stehen drei oder vier indianische Hütten. Dies heißt das Dorf San Felipe, und damit das Ministerium in Madrid wunder meine, wie sehr diese christlichen Niederlassungen ge- deihen, führt man für das angebliche Dorf ein eigenes Kirchen- buch. Abends nach dem Angelus wurde dem Kommandanten Rapport erstattet und sehr ernsthaft gemeldet, daß es überall um die Festung ruhig scheine; dies erinnerte mich an die Schanzen an der Küste von Guinea, von denen man in Reise- beschreibungen liest, die zum Schutz der europäischen Faktoreien dienen sollen und in denen vier bis fünf Mann Garnison liegen. Die Soldaten in San Carlos sind nicht besser daran als die in den afrikanischen Faktoreien, denn überall an so entlegenen Punkten herrschen dieselben Mißbräuche in der Militärverwaltung. Nach einem Brauche, der schon sehr lange geduldet wird, bezahlen die Kommandanten die Truppen nicht in Geld, sondern liefern ihnen zu hohen Preisen Kleidung (Ropa), Salz und Lebensmittel. In Angostura fürchtet man sich so sehr davor, in die Missionen am Carony, Caura und Rio Negro detachiert oder vielmehr verbannt zu werden, daß die Truppen sehr schwer zu rekrutieren sind. Die Lebens- mittel sind am Rio Negro sehr teuer, weil man nur wenig Maniok und Bananen baut und der Strom (wie alle schwarzen, klaren Gewässer) wenig Fische hat. Die beste Zufuhr kommt von den portugiesischen Niederlassungen am Rio Negro, wo die Indianer regsamer und wohlhabender sind. Indessen
gern ſagt, das Caſtillo de San Felipe, liegt San Carlos gegenüber am weſtlichen Ufer des Rio Negro. Der Kommandant trug Bedenken, Bonpland und mich die Forta- leza ſehen zu laſſen; in unſeren Päſſen ſtand wohl, daß ich ſollte Berge meſſen und überall im Lande, wo es mir gefiele, trigonometriſche Operationen vornehmen dürfen, aber vom Be- ſehen feſter Plätze ſtand nichts darin. Unſer Reiſebegleiter, Don Nicolas Soto, war als ſpaniſcher Offizier glücklicher als wir. Man erlaubte ihm, über den Fluß zu gehen, und er fand auf einer kleinen abgeholzten Ebene die Anfänge eines Erdwerkes, das, wenn es vollendet wäre, zur Verteidigung 500 Mann erforderte. Es iſt eine viereckige Verſchanzung mit kaum ſichtbarem Graben. Die Bruſtwehr iſt 1,6 m hoch und mit großen Steinen verſtärkt. Dem Fluſſe zu liegen zwei Baſtionen, in denen man vier bis fünf Stücke aufſtellen könnte. Im ganzen Werk ſind 14 bis 15 Geſchütze, meiſt ohne Lafetten und von zwei Mann bewacht. Um die Schanze her ſtehen drei oder vier indianiſche Hütten. Dies heißt das Dorf San Felipe, und damit das Miniſterium in Madrid wunder meine, wie ſehr dieſe chriſtlichen Niederlaſſungen ge- deihen, führt man für das angebliche Dorf ein eigenes Kirchen- buch. Abends nach dem Angelus wurde dem Kommandanten Rapport erſtattet und ſehr ernſthaft gemeldet, daß es überall um die Feſtung ruhig ſcheine; dies erinnerte mich an die Schanzen an der Küſte von Guinea, von denen man in Reiſe- beſchreibungen lieſt, die zum Schutz der europäiſchen Faktoreien dienen ſollen und in denen vier bis fünf Mann Garniſon liegen. Die Soldaten in San Carlos ſind nicht beſſer daran als die in den afrikaniſchen Faktoreien, denn überall an ſo entlegenen Punkten herrſchen dieſelben Mißbräuche in der Militärverwaltung. Nach einem Brauche, der ſchon ſehr lange geduldet wird, bezahlen die Kommandanten die Truppen nicht in Geld, ſondern liefern ihnen zu hohen Preiſen Kleidung (Ropa), Salz und Lebensmittel. In Angoſtura fürchtet man ſich ſo ſehr davor, in die Miſſionen am Carony, Caura und Rio Negro detachiert oder vielmehr verbannt zu werden, daß die Truppen ſehr ſchwer zu rekrutieren ſind. Die Lebens- mittel ſind am Rio Negro ſehr teuer, weil man nur wenig Maniok und Bananen baut und der Strom (wie alle ſchwarzen, klaren Gewäſſer) wenig Fiſche hat. Die beſte Zufuhr kommt von den portugieſiſchen Niederlaſſungen am Rio Negro, wo die Indianer regſamer und wohlhabender ſind. Indeſſen
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gern ſagt, das Caſtillo de San Felipe, liegt San
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Kommandant trug Bedenken, Bonpland und mich die Forta-
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ſollte Berge meſſen und überall im Lande, wo es mir gefiele,
trigonometriſche Operationen vornehmen dürfen, aber vom Be-
ſehen feſter Plätze ſtand nichts darin. Unſer Reiſebegleiter,
Don Nicolas Soto, war als ſpaniſcher Offizier glücklicher als
wir. Man erlaubte ihm, über den Fluß zu gehen, und er
fand auf einer kleinen abgeholzten Ebene die Anfänge eines
Erdwerkes, das, wenn es vollendet wäre, zur Verteidigung
500 Mann erforderte. Es iſt eine viereckige Verſchanzung
mit kaum ſichtbarem Graben. Die Bruſtwehr iſt 1,6 m hoch
und mit großen Steinen verſtärkt. Dem Fluſſe zu liegen
zwei Baſtionen, in denen man vier bis fünf Stücke aufſtellen
könnte. Im ganzen Werk ſind 14 bis 15 Geſchütze, meiſt
ohne Lafetten und von zwei Mann bewacht. Um die Schanze
her ſtehen drei oder vier indianiſche Hütten. Dies heißt das
Dorf San Felipe, und damit das Miniſterium in Madrid
wunder meine, wie ſehr dieſe chriſtlichen Niederlaſſungen ge-
deihen, führt man für das angebliche Dorf ein eigenes Kirchen-
buch. Abends nach dem Angelus wurde dem Kommandanten
Rapport erſtattet und ſehr ernſthaft gemeldet, daß es überall
um die Feſtung ruhig ſcheine; dies erinnerte mich an die
Schanzen an der Küſte von Guinea, von denen man in Reiſe-
beſchreibungen lieſt, die zum Schutz der europäiſchen Faktoreien
dienen ſollen und in denen vier bis fünf Mann Garniſon
liegen. Die Soldaten in San Carlos ſind nicht beſſer daran
als die in den afrikaniſchen Faktoreien, denn überall an ſo
entlegenen Punkten herrſchen dieſelben Mißbräuche in der
Militärverwaltung. Nach einem Brauche, der ſchon ſehr lange
geduldet wird, bezahlen die Kommandanten die Truppen nicht
in Geld, ſondern liefern ihnen zu hohen Preiſen Kleidung
(Ropa), Salz und Lebensmittel. In Angoſtura fürchtet man
ſich ſo ſehr davor, in die Miſſionen am Carony, Caura und
Rio Negro detachiert oder vielmehr verbannt zu werden, daß
die Truppen ſehr ſchwer zu rekrutieren ſind. Die Lebens-
mittel ſind am Rio Negro ſehr teuer, weil man nur wenig
Maniok und Bananen baut und der Strom (wie alle ſchwarzen,
klaren Gewäſſer) wenig Fiſche hat. Die beſte Zufuhr kommt
von den portugieſiſchen Niederlaſſungen am Rio Negro, wo
die Indianer regſamer und wohlhabender ſind. Indeſſen
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/287>, abgerufen am 17.07.2024.
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