dämmerung und kamen trotz der starken Strömung und des Fleißes unserer Ruderer erst nach zwölfstündiger Fahrt bei der Schanze San Carlos del Rio Negro an. Links ließen wir die Einmündung des Cassiquiare, rechts die kleine Insel Cumarai. Man glaubt im Lande, die Schanze liege gerade unter dem Aequator; aber nach meinen Beobachtungen am Felsen Culimacari liegt sie unter 1° 54' 11". Jede Nation hat die Neigung. den Flächenraum ihrer Besitzungen auf den Karten zu vergrößern und die Grenzen hinauszurücken. Da man es versäumt, die Reiseentfernungen auf Entfernungen in gerader Linie zu reduzieren, so sind immer die Grenzen am meisten verunstaltet. Die Portugiesen setzen, vom Ama- zonenstrom ausgehend, San Carlos und San Jose de Mara- vitanos zu weit nach Nord, wogegen die Spanier, die von der Küste von Caracas aus rechnen, die Orte zu weit nach Süd schieben. Dies gilt von allen Karten der Kolonieen. Weiß man, wo sie gezeichnet worden und in welcher Richtung man an die Grenzen gekommen, so weiß man zum voraus, nach welcher Seite hin die Irrtümer in Länge und Breite laufen.
In San Carlos fanden wir Quartier beim Komman- danten des Forts, einem Milizlieutenant. Von einer Galerie des Hauses hatte man eine sehr hübsche Aussicht auf drei sehr lange, dicht bewachsene Inseln. Der Strom läuft gerade- aus von Nord nach Süd, als wäre sein Bett von Menschen- hand gegraben. Der beständig bedeckte Himmel gibt den Landschaften hier einen ernsten, finstern Charakter. Wir fan- den im Dorfe ein paar Juviastämme; es ist dies das maje- stätische Gewächs, von dem die dreieckigen Mandeln kommen, die man in Europa Mandeln vom Amazonenstrom nennt. Wir haben dasselbe unter dem Namen Bertholletia ex- celsa bekannt gemacht. Die Bäume werden in acht Jahren 10 m hoch.
Die bewaffnete Macht an der Grenze hier bestand aus siebzehn Mann, wovon zehn zum Schutz der Missionäre in der Nachbarschaft detachiert waren. Die Luft ist so feucht, daß nicht vier Gewehre schußfertig sind. Die Portugiesen haben fünfundzwanzig bis dreißig besser gekleidete und be- waffnete Leute in der Schanze San Jose de Maravitanos. In der Mission San Carlos fanden wir nur eine Garita, ein viereckiges Gebäude aus ungebrannten Backsteinen, in dem sechs Feldstücke standen. Die Schanze, oder, wie man hier
dämmerung und kamen trotz der ſtarken Strömung und des Fleißes unſerer Ruderer erſt nach zwölfſtündiger Fahrt bei der Schanze San Carlos del Rio Negro an. Links ließen wir die Einmündung des Caſſiquiare, rechts die kleine Inſel Cumarai. Man glaubt im Lande, die Schanze liege gerade unter dem Aequator; aber nach meinen Beobachtungen am Felſen Culimacari liegt ſie unter 1° 54′ 11″. Jede Nation hat die Neigung. den Flächenraum ihrer Beſitzungen auf den Karten zu vergrößern und die Grenzen hinauszurücken. Da man es verſäumt, die Reiſeentfernungen auf Entfernungen in gerader Linie zu reduzieren, ſo ſind immer die Grenzen am meiſten verunſtaltet. Die Portugieſen ſetzen, vom Ama- zonenſtrom ausgehend, San Carlos und San Joſe de Mara- vitanos zu weit nach Nord, wogegen die Spanier, die von der Küſte von Caracas aus rechnen, die Orte zu weit nach Süd ſchieben. Dies gilt von allen Karten der Kolonieen. Weiß man, wo ſie gezeichnet worden und in welcher Richtung man an die Grenzen gekommen, ſo weiß man zum voraus, nach welcher Seite hin die Irrtümer in Länge und Breite laufen.
In San Carlos fanden wir Quartier beim Komman- danten des Forts, einem Milizlieutenant. Von einer Galerie des Hauſes hatte man eine ſehr hübſche Ausſicht auf drei ſehr lange, dicht bewachſene Inſeln. Der Strom läuft gerade- aus von Nord nach Süd, als wäre ſein Bett von Menſchen- hand gegraben. Der beſtändig bedeckte Himmel gibt den Landſchaften hier einen ernſten, finſtern Charakter. Wir fan- den im Dorfe ein paar Juviaſtämme; es iſt dies das maje- ſtätiſche Gewächs, von dem die dreieckigen Mandeln kommen, die man in Europa Mandeln vom Amazonenſtrom nennt. Wir haben dasſelbe unter dem Namen Bertholletia ex- celsa bekannt gemacht. Die Bäume werden in acht Jahren 10 m hoch.
Die bewaffnete Macht an der Grenze hier beſtand aus ſiebzehn Mann, wovon zehn zum Schutz der Miſſionäre in der Nachbarſchaft detachiert waren. Die Luft iſt ſo feucht, daß nicht vier Gewehre ſchußfertig ſind. Die Portugieſen haben fünfundzwanzig bis dreißig beſſer gekleidete und be- waffnete Leute in der Schanze San Joſe de Maravitanos. In der Miſſion San Carlos fanden wir nur eine Garita, ein viereckiges Gebäude aus ungebrannten Backſteinen, in dem ſechs Feldſtücke ſtanden. Die Schanze, oder, wie man hier
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dämmerung und kamen trotz der ſtarken Strömung und des
Fleißes unſerer Ruderer erſt nach zwölfſtündiger Fahrt bei
der Schanze San Carlos del Rio Negro an. Links ließen
wir die Einmündung des Caſſiquiare, rechts die kleine Inſel
Cumarai. Man glaubt im Lande, die Schanze liege gerade
unter dem Aequator; aber nach meinen Beobachtungen am
Felſen Culimacari liegt ſie unter 1° 54′ 11″. Jede Nation
hat die Neigung. den Flächenraum ihrer Beſitzungen auf den
Karten zu vergrößern und die Grenzen hinauszurücken. Da
man es verſäumt, die Reiſeentfernungen auf Entfernungen
in gerader Linie zu reduzieren, ſo ſind immer die Grenzen
am meiſten verunſtaltet. Die Portugieſen ſetzen, vom Ama-
zonenſtrom ausgehend, San Carlos und San Joſe de Mara-
vitanos zu weit nach Nord, wogegen die Spanier, die von
der Küſte von Caracas aus rechnen, die Orte zu weit nach
Süd ſchieben. Dies gilt von allen Karten der Kolonieen.
Weiß man, wo ſie gezeichnet worden und in welcher Richtung
man an die Grenzen gekommen, ſo weiß man zum voraus,
nach welcher Seite hin die Irrtümer in Länge und Breite
laufen.
In San Carlos fanden wir Quartier beim Komman-
danten des Forts, einem Milizlieutenant. Von einer Galerie
des Hauſes hatte man eine ſehr hübſche Ausſicht auf drei
ſehr lange, dicht bewachſene Inſeln. Der Strom läuft gerade-
aus von Nord nach Süd, als wäre ſein Bett von Menſchen-
hand gegraben. Der beſtändig bedeckte Himmel gibt den
Landſchaften hier einen ernſten, finſtern Charakter. Wir fan-
den im Dorfe ein paar Juviaſtämme; es iſt dies das maje-
ſtätiſche Gewächs, von dem die dreieckigen Mandeln kommen,
die man in Europa Mandeln vom Amazonenſtrom nennt.
Wir haben dasſelbe unter dem Namen Bertholletia ex-
celsa bekannt gemacht. Die Bäume werden in acht Jahren
10 m hoch.
Die bewaffnete Macht an der Grenze hier beſtand aus
ſiebzehn Mann, wovon zehn zum Schutz der Miſſionäre in
der Nachbarſchaft detachiert waren. Die Luft iſt ſo feucht,
daß nicht vier Gewehre ſchußfertig ſind. Die Portugieſen
haben fünfundzwanzig bis dreißig beſſer gekleidete und be-
waffnete Leute in der Schanze San Joſe de Maravitanos.
In der Miſſion San Carlos fanden wir nur eine Garita,
ein viereckiges Gebäude aus ungebrannten Backſteinen, in dem
ſechs Feldſtücke ſtanden. Die Schanze, oder, wie man hier
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/286>, abgerufen am 16.02.2025.
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