wein an den Rio Negro, und da Madera auf spanisch Holz bedeutet, so hatten schon arme, in der Geographie nicht sehr bewanderte Missionäre Bedenken, ob sie mit Maderawein das Meßopfer verrichten dürften; sie hielten denselben für ein irgend einem Baume abgezapftes gegorenes Getränk, wie Palmwein, und forderten den Guardian der Missionen auf, sich darüber auszusprechen, ob der vino de Madera Wein aus Trauben (de uvas) sei oder aber der Saft eines Baumes (vino de algun palo). Schon zu Anfang der Eroberung war die Frage aufgeworfen worden, ob es den Priestern ge- stattet sei, mit einem gegorenen, dem Traubenwein ähnlichen Saft das Meßopfer zu verrichten. Wie vorauszusehen, wurde die Frage verneint.
Wir kauften in Davipe einigen Mundvorrat, namentlich Hühner und ein Schwein. Dieser Einkauf war unseren In- dianern sehr wichtig, da sie schon lange kein Fleisch mehr ge- gessen hatten. Sie drängten zum Aufbruch, damit wir zeitig auf die Insel Dapa kämen, wo das Schwein geschlachtet und in der Nacht gebraten werden sollte. Kaum hatten wir Zeit, im Kloster (convento) große Haufen Maniharz zu betrach- ten, sowie Seilwerk aus der Chiquichiquipalme, das in Europa besser bekannt zu sein verdiente. Dasselbe ist ausnehmend leicht, schwimmt auf dem Wasser und ist auf der Flußfahrt dauerhafter als Tauwerk aus Hanf. Zur See muß man es, wenn es halten soll, öfter anfeuchten und es nicht oft der tropischen Sonne aussetzen. Don Antonio Santos, der im Lande wegen seiner Reise zur Auffindung des Parimesees viel genannt wird, lehrte die Indianer am spanischen Rio Negro die Blattstiele des Chiquichiqui benützen, einer Palme mit gefiederten Blättern, von der wir weder Blüten noch Früchte zu Gesicht bekommen haben. Dieser Offizier ist der einzige weiße Mensch, der, um von Angostura nach Gran-Para zu kommen, von den Quellen des Rio Carony zu denen des Rio Branco den Landweg gemacht hat. Er hatte sich in den portugiesischen Kolonien mit der Fabrikation der Chiquichiqui- taue bekannt gemacht und führte, als er vom Amazonenstrom zurückkam, den Gewerbszweig in den Missionen in Guyana ein. Es wäre zu wünschen, daß am Rio Negro und Cassi- quiare große Seilbahnen angelegt werden könnten, um diese Taue in den europäischen Handel zu bringen. Etwas weniges wird bereits von Angostura auf die Antillen ausgeführt. Sie kosten dort 50 bis 60 Prozent weniger als Hanf-
wein an den Rio Negro, und da Madera auf ſpaniſch Holz bedeutet, ſo hatten ſchon arme, in der Geographie nicht ſehr bewanderte Miſſionäre Bedenken, ob ſie mit Maderawein das Meßopfer verrichten dürften; ſie hielten denſelben für ein irgend einem Baume abgezapftes gegorenes Getränk, wie Palmwein, und forderten den Guardian der Miſſionen auf, ſich darüber auszuſprechen, ob der vino de Madera Wein aus Trauben (de uvas) ſei oder aber der Saft eines Baumes (vino de algun palo). Schon zu Anfang der Eroberung war die Frage aufgeworfen worden, ob es den Prieſtern ge- ſtattet ſei, mit einem gegorenen, dem Traubenwein ähnlichen Saft das Meßopfer zu verrichten. Wie vorauszuſehen, wurde die Frage verneint.
Wir kauften in Davipe einigen Mundvorrat, namentlich Hühner und ein Schwein. Dieſer Einkauf war unſeren In- dianern ſehr wichtig, da ſie ſchon lange kein Fleiſch mehr ge- geſſen hatten. Sie drängten zum Aufbruch, damit wir zeitig auf die Inſel Dapa kämen, wo das Schwein geſchlachtet und in der Nacht gebraten werden ſollte. Kaum hatten wir Zeit, im Kloſter (convento) große Haufen Maniharz zu betrach- ten, ſowie Seilwerk aus der Chiquichiquipalme, das in Europa beſſer bekannt zu ſein verdiente. Dasſelbe iſt ausnehmend leicht, ſchwimmt auf dem Waſſer und iſt auf der Flußfahrt dauerhafter als Tauwerk aus Hanf. Zur See muß man es, wenn es halten ſoll, öfter anfeuchten und es nicht oft der tropiſchen Sonne ausſetzen. Don Antonio Santos, der im Lande wegen ſeiner Reiſe zur Auffindung des Parimeſees viel genannt wird, lehrte die Indianer am ſpaniſchen Rio Negro die Blattſtiele des Chiquichiqui benützen, einer Palme mit gefiederten Blättern, von der wir weder Blüten noch Früchte zu Geſicht bekommen haben. Dieſer Offizier iſt der einzige weiße Menſch, der, um von Angoſtura nach Gran-Para zu kommen, von den Quellen des Rio Carony zu denen des Rio Branco den Landweg gemacht hat. Er hatte ſich in den portugieſiſchen Kolonien mit der Fabrikation der Chiquichiqui- taue bekannt gemacht und führte, als er vom Amazonenſtrom zurückkam, den Gewerbszweig in den Miſſionen in Guyana ein. Es wäre zu wünſchen, daß am Rio Negro und Caſſi- quiare große Seilbahnen angelegt werden könnten, um dieſe Taue in den europäiſchen Handel zu bringen. Etwas weniges wird bereits von Angoſtura auf die Antillen ausgeführt. Sie koſten dort 50 bis 60 Prozent weniger als Hanf-
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wein an den Rio Negro, und da Madera auf ſpaniſch
Holz bedeutet, ſo hatten ſchon arme, in der Geographie nicht
ſehr bewanderte Miſſionäre Bedenken, ob ſie mit Maderawein
das Meßopfer verrichten dürften; ſie hielten denſelben für ein
irgend einem Baume abgezapftes gegorenes Getränk, wie
Palmwein, und forderten den Guardian der Miſſionen auf,
ſich darüber auszuſprechen, ob der vino de Madera Wein
aus Trauben (de uvas) ſei oder aber der Saft eines Baumes
(vino de algun palo). Schon zu Anfang der Eroberung
war die Frage aufgeworfen worden, ob es den Prieſtern ge-
ſtattet ſei, mit einem gegorenen, dem Traubenwein ähnlichen
Saft das Meßopfer zu verrichten. Wie vorauszuſehen, wurde
die Frage verneint.
Wir kauften in Davipe einigen Mundvorrat, namentlich
Hühner und ein Schwein. Dieſer Einkauf war unſeren In-
dianern ſehr wichtig, da ſie ſchon lange kein Fleiſch mehr ge-
geſſen hatten. Sie drängten zum Aufbruch, damit wir zeitig
auf die Inſel Dapa kämen, wo das Schwein geſchlachtet und
in der Nacht gebraten werden ſollte. Kaum hatten wir Zeit,
im Kloſter (convento) große Haufen Maniharz zu betrach-
ten, ſowie Seilwerk aus der Chiquichiquipalme, das in Europa
beſſer bekannt zu ſein verdiente. Dasſelbe iſt ausnehmend
leicht, ſchwimmt auf dem Waſſer und iſt auf der Flußfahrt
dauerhafter als Tauwerk aus Hanf. Zur See muß man es,
wenn es halten ſoll, öfter anfeuchten und es nicht oft der
tropiſchen Sonne ausſetzen. Don Antonio Santos, der im
Lande wegen ſeiner Reiſe zur Auffindung des Parimeſees
viel genannt wird, lehrte die Indianer am ſpaniſchen Rio
Negro die Blattſtiele des Chiquichiqui benützen, einer Palme
mit gefiederten Blättern, von der wir weder Blüten noch
Früchte zu Geſicht bekommen haben. Dieſer Offizier iſt der
einzige weiße Menſch, der, um von Angoſtura nach Gran-Para
zu kommen, von den Quellen des Rio Carony zu denen des
Rio Branco den Landweg gemacht hat. Er hatte ſich in den
portugieſiſchen Kolonien mit der Fabrikation der Chiquichiqui-
taue bekannt gemacht und führte, als er vom Amazonenſtrom
zurückkam, den Gewerbszweig in den Miſſionen in Guyana
ein. Es wäre zu wünſchen, daß am Rio Negro und Caſſi-
quiare große Seilbahnen angelegt werden könnten, um dieſe
Taue in den europäiſchen Handel zu bringen. Etwas weniges
wird bereits von Angoſtura auf die Antillen ausgeführt.
Sie koſten dort 50 bis 60 Prozent weniger als Hanf-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/282>, abgerufen am 18.07.2024.
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