sammenlaufen. Alle diese Rinnen leiten den Milchsaft der Stelle zu, wo das Thongefäß steht, in dem der Kautschuk aufgefangen wird. Die Indianer in Carichana sahen wir ungefähr ebenso verfahren.
Wenn, wie ich vermute, die Anhäufung und das Aus- treten der Milch beim Jacio und Curvana ein patholo- gische Erscheinung ist, so muß der Prozeß zuweilen durch die Spitzen der längsten Wurzeln vor sich gehen; denn wir fanden 60 cm breite und 10 cm dicke Massen Dapicho 2,6 m vom Stamme entfernt. Oft sucht man unter abgestorbenen Bäumen vergebens, andere Male findet man Dapicho unter noch grü- nenden Hevea- oder Jaciostämmen. Die Substanz ist weiß, korkartig, zerbrechlich und gleicht durch die aufeinanderliegen- den Blätter und die gewellten Ränder dem Boletus igniarius. Vielleicht ist zur Bildung des Dapicho lange Zeit erforderlich; der Hergang dabei ist wahrscheinlich der, daß infolge eines eigentümlichen Zustandes des vegetabilischen Gewebes der Saft sich verdickt, austritt und im feuchten Boden ohne Zutritt von Licht gerinnt; es ist ein eigentümlich beschaffener, ich möchte fast sagen "vergeilter" Kautschuk. Aus der Feuchtigkeit des Bodens scheint sich das wellige Ansehen der Ränder des Da- picho und seine Blätterung zu erklären.
Ich habe in Peru oft beobachtet, daß, wenn man den Milchsaft der Hevea oder den Saft der Carica langsam in vieles Wasser gießt, das Gerinnsel wellenförmige Umrisse zeigt. Das Dapicho kommt sicher nicht bloß in dem Walde zwischen Javita und dem Pimichin vor, obgleich es bis jetzt nur hier gefunden worden ist. Ich zweifle nicht, daß man in französisch Guyana, wenn man unter den Wurzeln und alten Stämmen der Hevea nachsuchte, zuweilen gleichfalls solche ungeheure Klumpen von korkartigem Kautschuk fände, wie wir sie eben beschrieben. In Europa macht man die Beobachtung, daß, wenn die Blätter fallen, der Saft sich gegen die Wurzeln zieht; es wäre interessant, zu untersuchen, ob etwa unter den Tropen die Milchsäfte der Urticeen, der Eu- phorbien, und der Apocyneen in gewissen Jahreszeiten gleich- falls abwärts gehen. Trotz der großen Gleichförmigkeit der Temperatur durchlaufen die Bäume in der heißen Zone einen Vegetationscyklus, unterliegen Veränderungen mit periodischer Wiederkehr. Der Dapicho ist wichtiger für die Pflanzen- physiologie als für die organische Chemie. Wir haben eine Abhandlung Allens über den Unterschied zwischen dem Kaut-
ſammenlaufen. Alle dieſe Rinnen leiten den Milchſaft der Stelle zu, wo das Thongefäß ſteht, in dem der Kautſchuk aufgefangen wird. Die Indianer in Carichana ſahen wir ungefähr ebenſo verfahren.
Wenn, wie ich vermute, die Anhäufung und das Aus- treten der Milch beim Jacio und Curvana ein patholo- giſche Erſcheinung iſt, ſo muß der Prozeß zuweilen durch die Spitzen der längſten Wurzeln vor ſich gehen; denn wir fanden 60 cm breite und 10 cm dicke Maſſen Dapicho 2,6 m vom Stamme entfernt. Oft ſucht man unter abgeſtorbenen Bäumen vergebens, andere Male findet man Dapicho unter noch grü- nenden Hevea- oder Jacioſtämmen. Die Subſtanz iſt weiß, korkartig, zerbrechlich und gleicht durch die aufeinanderliegen- den Blätter und die gewellten Ränder dem Boletus igniarius. Vielleicht iſt zur Bildung des Dapicho lange Zeit erforderlich; der Hergang dabei iſt wahrſcheinlich der, daß infolge eines eigentümlichen Zuſtandes des vegetabiliſchen Gewebes der Saft ſich verdickt, austritt und im feuchten Boden ohne Zutritt von Licht gerinnt; es iſt ein eigentümlich beſchaffener, ich möchte faſt ſagen „vergeilter“ Kautſchuk. Aus der Feuchtigkeit des Bodens ſcheint ſich das wellige Anſehen der Ränder des Da- picho und ſeine Blätterung zu erklären.
Ich habe in Peru oft beobachtet, daß, wenn man den Milchſaft der Hevea oder den Saft der Carica langſam in vieles Waſſer gießt, das Gerinnſel wellenförmige Umriſſe zeigt. Das Dapicho kommt ſicher nicht bloß in dem Walde zwiſchen Javita und dem Pimichin vor, obgleich es bis jetzt nur hier gefunden worden iſt. Ich zweifle nicht, daß man in franzöſiſch Guyana, wenn man unter den Wurzeln und alten Stämmen der Hevea nachſuchte, zuweilen gleichfalls ſolche ungeheure Klumpen von korkartigem Kautſchuk fände, wie wir ſie eben beſchrieben. In Europa macht man die Beobachtung, daß, wenn die Blätter fallen, der Saft ſich gegen die Wurzeln zieht; es wäre intereſſant, zu unterſuchen, ob etwa unter den Tropen die Milchſäfte der Urticeen, der Eu- phorbien, und der Apocyneen in gewiſſen Jahreszeiten gleich- falls abwärts gehen. Trotz der großen Gleichförmigkeit der Temperatur durchlaufen die Bäume in der heißen Zone einen Vegetationscyklus, unterliegen Veränderungen mit periodiſcher Wiederkehr. Der Dapicho iſt wichtiger für die Pflanzen- phyſiologie als für die organiſche Chemie. Wir haben eine Abhandlung Allens über den Unterſchied zwiſchen dem Kaut-
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ſammenlaufen. Alle dieſe Rinnen leiten den Milchſaft der
Stelle zu, wo das Thongefäß ſteht, in dem der Kautſchuk
aufgefangen wird. Die Indianer in Carichana ſahen wir
ungefähr ebenſo verfahren.
Wenn, wie ich vermute, die Anhäufung und das Aus-
treten der Milch beim Jacio und Curvana ein patholo-
giſche Erſcheinung iſt, ſo muß der Prozeß zuweilen durch die
Spitzen der längſten Wurzeln vor ſich gehen; denn wir fanden
60 cm breite und 10 cm dicke Maſſen Dapicho 2,6 m vom
Stamme entfernt. Oft ſucht man unter abgeſtorbenen Bäumen
vergebens, andere Male findet man Dapicho unter noch grü-
nenden Hevea- oder Jacioſtämmen. Die Subſtanz iſt weiß,
korkartig, zerbrechlich und gleicht durch die aufeinanderliegen-
den Blätter und die gewellten Ränder dem Boletus igniarius.
Vielleicht iſt zur Bildung des Dapicho lange Zeit erforderlich;
der Hergang dabei iſt wahrſcheinlich der, daß infolge eines
eigentümlichen Zuſtandes des vegetabiliſchen Gewebes der Saft
ſich verdickt, austritt und im feuchten Boden ohne Zutritt von
Licht gerinnt; es iſt ein eigentümlich beſchaffener, ich möchte
faſt ſagen „vergeilter“ Kautſchuk. Aus der Feuchtigkeit des
Bodens ſcheint ſich das wellige Anſehen der Ränder des Da-
picho und ſeine Blätterung zu erklären.
Ich habe in Peru oft beobachtet, daß, wenn man den
Milchſaft der Hevea oder den Saft der Carica langſam in
vieles Waſſer gießt, das Gerinnſel wellenförmige Umriſſe
zeigt. Das Dapicho kommt ſicher nicht bloß in dem Walde
zwiſchen Javita und dem Pimichin vor, obgleich es bis jetzt
nur hier gefunden worden iſt. Ich zweifle nicht, daß man
in franzöſiſch Guyana, wenn man unter den Wurzeln und
alten Stämmen der Hevea nachſuchte, zuweilen gleichfalls
ſolche ungeheure Klumpen von korkartigem Kautſchuk fände,
wie wir ſie eben beſchrieben. In Europa macht man die
Beobachtung, daß, wenn die Blätter fallen, der Saft ſich gegen
die Wurzeln zieht; es wäre intereſſant, zu unterſuchen, ob
etwa unter den Tropen die Milchſäfte der Urticeen, der Eu-
phorbien, und der Apocyneen in gewiſſen Jahreszeiten gleich-
falls abwärts gehen. Trotz der großen Gleichförmigkeit der
Temperatur durchlaufen die Bäume in der heißen Zone einen
Vegetationscyklus, unterliegen Veränderungen mit periodiſcher
Wiederkehr. Der Dapicho iſt wichtiger für die Pflanzen-
phyſiologie als für die organiſche Chemie. Wir haben eine
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/240>, abgerufen am 15.08.2024.
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