nicht gerne in Karten blicken, auf denen viele schwer zu be- haltende Namen stehen, bemerke ich nochmals, daß der Orinoko von seinen Quellen, oder doch von Esmeralda an von Ost nach West, von San Fernando, also vom Zusammenfluß des Ata- bapo und des Guaviare an, bis zum Einfluß des Apure von Süd nach Nord fließt und auf dieser Strecke die großen Ka- tarakte bildet, daß er endlich vom Einflusse des Apure bis Angostura und zur Seeküste von West nach Ost läuft. Auf der ersten Strecke, auf dem Laufe von Ost nach West, bildet er die berühmte Gabelung, welche die Geographen so oft in Abrede gezogen und deren Lage ich zuerst durch astronomische Beobachtungen bestimmen konnte. Ein Arm des Orinoko, der Cassiquiare, der von Nord nach Süd fließt, ergießt sich in den Guainia oder Rio Negro, der seinerseits in den Marannon oder Amazonenstrom fällt. Der natürlichste Weg zu Wasser von Angostura nach Gran-Para wäre also den Orinoko hinauf bis Esmeralda, und dann den Cassiquiare, Rio Negro und Amazonenstrom hinunter; da aber der Rio Negro auf seinem oberen Laufe sich sehr den Quellen einiger Flüsse nähert, die sich bei San Fernando de Atabapo in den Orinoko ergießen (am Punkte, wo der Orinoko aus der Richtung von Ost nach West rasch in die von Süd nach Nord umbiegt), so kann man in den Rio Negro gelangen, ohne die Flußstrecke zwischen San Fernando und Esmeralda hinaufzufahren. Man geht bei der Mission San Fernando vom Orinoko ab, fährt die zusammenhängenden kleinen schwarzen Flüsse (Atabapo, Temi und Tuamini) hinauf und läßt die Piroge über eine 11,7 km breite Landenge an das Ufer eines Baches (Canno Pimichin) tragen, der in den Rio Negro fällt. Dieser Weg, den wir einschlugen, und der besonders seit der Zeit, da Don Manuel Centurion Statthalter von Guyana war, gebräuchlich geworden, ist so kurz, daß jetzt ein Bote von San Carlos am Rio Negro nach Angostura Briefschaften in 24 Tagen bringt, während er früher über den Cassiquiare herauf 50 bis 60 brauchte. Man kann also über den Atabapo aus dem Amazonenstrom in den Orinoko kommen, ohne den Cassiquiare herauf zu fahren, der wegen der starken Strömung, des Mangels an Lebens- mitteln und der Moskiten gemieden wird. Für französische Leser führe ich hier ein Beispiel aus der hydrographischen Karte Frankreichs an. Wer von Nevers an der Loire nach Montereau an der Seine will, könnte, statt auf dem Kanal von Orleans zu fahren, der, wie der Cassiquiare, zwei Fluß-
nicht gerne in Karten blicken, auf denen viele ſchwer zu be- haltende Namen ſtehen, bemerke ich nochmals, daß der Orinoko von ſeinen Quellen, oder doch von Esmeralda an von Oſt nach Weſt, von San Fernando, alſo vom Zuſammenfluß des Ata- bapo und des Guaviare an, bis zum Einfluß des Apure von Süd nach Nord fließt und auf dieſer Strecke die großen Ka- tarakte bildet, daß er endlich vom Einfluſſe des Apure bis Angoſtura und zur Seeküſte von Weſt nach Oſt läuft. Auf der erſten Strecke, auf dem Laufe von Oſt nach Weſt, bildet er die berühmte Gabelung, welche die Geographen ſo oft in Abrede gezogen und deren Lage ich zuerſt durch aſtronomiſche Beobachtungen beſtimmen konnte. Ein Arm des Orinoko, der Caſſiquiare, der von Nord nach Süd fließt, ergießt ſich in den Guainia oder Rio Negro, der ſeinerſeits in den Marañon oder Amazonenſtrom fällt. Der natürlichſte Weg zu Waſſer von Angoſtura nach Gran-Para wäre alſo den Orinoko hinauf bis Esmeralda, und dann den Caſſiquiare, Rio Negro und Amazonenſtrom hinunter; da aber der Rio Negro auf ſeinem oberen Laufe ſich ſehr den Quellen einiger Flüſſe nähert, die ſich bei San Fernando de Atabapo in den Orinoko ergießen (am Punkte, wo der Orinoko aus der Richtung von Oſt nach Weſt raſch in die von Süd nach Nord umbiegt), ſo kann man in den Rio Negro gelangen, ohne die Flußſtrecke zwiſchen San Fernando und Esmeralda hinaufzufahren. Man geht bei der Miſſion San Fernando vom Orinoko ab, fährt die zuſammenhängenden kleinen ſchwarzen Flüſſe (Atabapo, Temi und Tuamini) hinauf und läßt die Piroge über eine 11,7 km breite Landenge an das Ufer eines Baches (Caño Pimichin) tragen, der in den Rio Negro fällt. Dieſer Weg, den wir einſchlugen, und der beſonders ſeit der Zeit, da Don Manuel Centurion Statthalter von Guyana war, gebräuchlich geworden, iſt ſo kurz, daß jetzt ein Bote von San Carlos am Rio Negro nach Angoſtura Briefſchaften in 24 Tagen bringt, während er früher über den Caſſiquiare herauf 50 bis 60 brauchte. Man kann alſo über den Atabapo aus dem Amazonenſtrom in den Orinoko kommen, ohne den Caſſiquiare herauf zu fahren, der wegen der ſtarken Strömung, des Mangels an Lebens- mitteln und der Moskiten gemieden wird. Für franzöſiſche Leſer führe ich hier ein Beiſpiel aus der hydrographiſchen Karte Frankreichs an. Wer von Nevers an der Loire nach Montereau an der Seine will, könnte, ſtatt auf dem Kanal von Orleans zu fahren, der, wie der Caſſiquiare, zwei Fluß-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0206"n="198"/>
nicht gerne in Karten blicken, auf denen viele ſchwer zu be-<lb/>
haltende Namen ſtehen, bemerke ich nochmals, daß der Orinoko<lb/>
von ſeinen Quellen, oder doch von Esmeralda an von Oſt nach<lb/>
Weſt, von San Fernando, alſo vom Zuſammenfluß des Ata-<lb/>
bapo und des Guaviare an, bis zum Einfluß des Apure von<lb/>
Süd nach Nord fließt und auf dieſer Strecke die großen Ka-<lb/>
tarakte bildet, daß er endlich vom Einfluſſe des Apure bis<lb/>
Angoſtura und zur Seeküſte von Weſt nach Oſt läuft. Auf<lb/>
der erſten Strecke, auf dem Laufe von Oſt nach Weſt, bildet<lb/>
er die berühmte Gabelung, welche die Geographen ſo oft in<lb/>
Abrede gezogen und deren Lage ich zuerſt durch aſtronomiſche<lb/>
Beobachtungen beſtimmen konnte. Ein Arm des Orinoko, der<lb/>
Caſſiquiare, der von Nord nach Süd fließt, ergießt ſich in<lb/>
den Guainia oder Rio Negro, der ſeinerſeits in den Marañon<lb/>
oder Amazonenſtrom fällt. Der natürlichſte Weg zu Waſſer<lb/>
von Angoſtura nach Gran-Para wäre alſo den Orinoko hinauf<lb/>
bis Esmeralda, und dann den Caſſiquiare, Rio Negro und<lb/>
Amazonenſtrom hinunter; da aber der Rio Negro auf ſeinem<lb/>
oberen Laufe ſich ſehr den Quellen einiger Flüſſe nähert, die<lb/>ſich bei San Fernando de Atabapo in den Orinoko ergießen<lb/>
(am Punkte, wo der Orinoko aus der Richtung von Oſt nach<lb/>
Weſt raſch in die von Süd nach Nord umbiegt), ſo kann man<lb/>
in den Rio Negro gelangen, ohne die Flußſtrecke zwiſchen<lb/>
San Fernando und Esmeralda hinaufzufahren. Man geht<lb/>
bei der Miſſion San Fernando vom Orinoko ab, fährt die<lb/>
zuſammenhängenden kleinen ſchwarzen Flüſſe (Atabapo, Temi<lb/>
und Tuamini) hinauf und läßt die Piroge über eine 11,7 <hirendition="#aq">km</hi><lb/>
breite Landenge an das Ufer eines Baches (Caño Pimichin)<lb/>
tragen, der in den Rio Negro fällt. Dieſer Weg, den wir<lb/>
einſchlugen, und der beſonders ſeit der Zeit, da Don Manuel<lb/>
Centurion Statthalter von Guyana war, gebräuchlich geworden,<lb/>
iſt ſo kurz, daß jetzt ein Bote von San Carlos am Rio Negro<lb/>
nach Angoſtura Briefſchaften in 24 Tagen bringt, während<lb/>
er früher über den Caſſiquiare herauf 50 bis 60 brauchte.<lb/>
Man kann alſo über den Atabapo aus dem Amazonenſtrom<lb/>
in den Orinoko kommen, ohne den Caſſiquiare herauf zu fahren,<lb/>
der wegen der ſtarken Strömung, des Mangels an Lebens-<lb/>
mitteln und der Moskiten gemieden wird. Für franzöſiſche<lb/>
Leſer führe ich hier ein Beiſpiel aus der hydrographiſchen<lb/>
Karte Frankreichs an. Wer von Nevers an der Loire nach<lb/>
Montereau an der Seine will, könnte, ſtatt auf dem Kanal<lb/>
von Orleans zu fahren, der, wie der Caſſiquiare, zwei Fluß-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[198/0206]
nicht gerne in Karten blicken, auf denen viele ſchwer zu be-
haltende Namen ſtehen, bemerke ich nochmals, daß der Orinoko
von ſeinen Quellen, oder doch von Esmeralda an von Oſt nach
Weſt, von San Fernando, alſo vom Zuſammenfluß des Ata-
bapo und des Guaviare an, bis zum Einfluß des Apure von
Süd nach Nord fließt und auf dieſer Strecke die großen Ka-
tarakte bildet, daß er endlich vom Einfluſſe des Apure bis
Angoſtura und zur Seeküſte von Weſt nach Oſt läuft. Auf
der erſten Strecke, auf dem Laufe von Oſt nach Weſt, bildet
er die berühmte Gabelung, welche die Geographen ſo oft in
Abrede gezogen und deren Lage ich zuerſt durch aſtronomiſche
Beobachtungen beſtimmen konnte. Ein Arm des Orinoko, der
Caſſiquiare, der von Nord nach Süd fließt, ergießt ſich in
den Guainia oder Rio Negro, der ſeinerſeits in den Marañon
oder Amazonenſtrom fällt. Der natürlichſte Weg zu Waſſer
von Angoſtura nach Gran-Para wäre alſo den Orinoko hinauf
bis Esmeralda, und dann den Caſſiquiare, Rio Negro und
Amazonenſtrom hinunter; da aber der Rio Negro auf ſeinem
oberen Laufe ſich ſehr den Quellen einiger Flüſſe nähert, die
ſich bei San Fernando de Atabapo in den Orinoko ergießen
(am Punkte, wo der Orinoko aus der Richtung von Oſt nach
Weſt raſch in die von Süd nach Nord umbiegt), ſo kann man
in den Rio Negro gelangen, ohne die Flußſtrecke zwiſchen
San Fernando und Esmeralda hinaufzufahren. Man geht
bei der Miſſion San Fernando vom Orinoko ab, fährt die
zuſammenhängenden kleinen ſchwarzen Flüſſe (Atabapo, Temi
und Tuamini) hinauf und läßt die Piroge über eine 11,7 km
breite Landenge an das Ufer eines Baches (Caño Pimichin)
tragen, der in den Rio Negro fällt. Dieſer Weg, den wir
einſchlugen, und der beſonders ſeit der Zeit, da Don Manuel
Centurion Statthalter von Guyana war, gebräuchlich geworden,
iſt ſo kurz, daß jetzt ein Bote von San Carlos am Rio Negro
nach Angoſtura Briefſchaften in 24 Tagen bringt, während
er früher über den Caſſiquiare herauf 50 bis 60 brauchte.
Man kann alſo über den Atabapo aus dem Amazonenſtrom
in den Orinoko kommen, ohne den Caſſiquiare herauf zu fahren,
der wegen der ſtarken Strömung, des Mangels an Lebens-
mitteln und der Moskiten gemieden wird. Für franzöſiſche
Leſer führe ich hier ein Beiſpiel aus der hydrographiſchen
Karte Frankreichs an. Wer von Nevers an der Loire nach
Montereau an der Seine will, könnte, ſtatt auf dem Kanal
von Orleans zu fahren, der, wie der Caſſiquiare, zwei Fluß-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/206>, abgerufen am 21.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.