unsere Empfindung mischen, so oft etwas Großes und Schönes uns die Seele bewegt.
Die Stille in der Luft und das Toben der Wasser bilden einen Gegensatz, wie er diesem Himmelsstriche eigentümlich ist. Nie bewegt hier ein Windhauch das Laub der Bäume, nie trübt eine Wolke den Glanz des blauen Himmelsgewölbes; eine gewaltige Lichtmasse ist durch die Luft verbreitet, über dem Boden, den Gewächse mit glänzenden Blättern bedecken, über dem Strom, der sich unabsehbar hinbreitet. Dieser An- blick hat für den Reisenden, der im Norden von Europa zu Hause ist, etwas ganz Befremdendes. Stellt er sich eine wilde Landschaft vor, einen Strom, der von Fels zu Fels niederstürzt, so denkt er sich auch ein Klima dazu, in dem gar oft der Donner aus dem Gewölk mit dem Donner der Wasserfälle sich mischt, wo am düsteren, nebeligen Tage die Wolken in das Thal heruntersteigen und in den Wipfeln der Tannen hängen. In den Niederungen der Festländer unter den Tropen hat die Landschaft eine ganz eigene Physiognomie, eine Großartigkeit und eine Ruhe, die selbst da sich nicht verleugnet, wo eines der Elemente mit unüberwindlichen Hindernissen zu kämpfen hat. In der Nähe des Aequators kommen heftige Stürme und Ungewitter nur auf den Inseln, in pflanzenlosen Wüsten, kurz überall da vor, wo die Luft auf Flächen mit sehr abweichender Strahlung ruht.
Der Hügel Manimi bildet die östliche Grenze einer Ebene, auf der man dieselben für die Geschichte der Vegetation, das heißt ihrer allmählichen Entwickelung auf nackten, kahlen Bodenstrecken wichtigen Erscheinungen beobachtet, wie wir sie oben beim Raudal von Atures beschrieben. In der Regenzeit schwemmt das Wasser Dammerde auf dem Granitgestein zu- sammen, dessen kahle Bänke wagerecht daliegen. Diese mit den schönsten, wohlriechendsten Gewächsen geschmückten Land- eilande gleichen den mit Blumen bedeckten Granitblöcken, welche die Alpenbewohner Jardins oder Courtils nennen, und die in Savoyen mitten aus den Gletschern emporragen. Mitten in den Katarakten auf ziemlich schwer zugänglichen Klippen wächst die Vanille. Bonpland hat ungemein gewürzreiche und außerordentlich lange Schoten gebrochen.
An einem Platze, wo wir tags zuvor gebadet hatten, am Fuße des Felsen Manimi, schlugen die Indianer eine 2,4 m lange Schlange tot, die wir mit Muße untersuchen konnten. Die Macos nannten sie Camudu; der Rücken
unſere Empfindung miſchen, ſo oft etwas Großes und Schönes uns die Seele bewegt.
Die Stille in der Luft und das Toben der Waſſer bilden einen Gegenſatz, wie er dieſem Himmelsſtriche eigentümlich iſt. Nie bewegt hier ein Windhauch das Laub der Bäume, nie trübt eine Wolke den Glanz des blauen Himmelsgewölbes; eine gewaltige Lichtmaſſe iſt durch die Luft verbreitet, über dem Boden, den Gewächſe mit glänzenden Blättern bedecken, über dem Strom, der ſich unabſehbar hinbreitet. Dieſer An- blick hat für den Reiſenden, der im Norden von Europa zu Hauſe iſt, etwas ganz Befremdendes. Stellt er ſich eine wilde Landſchaft vor, einen Strom, der von Fels zu Fels niederſtürzt, ſo denkt er ſich auch ein Klima dazu, in dem gar oft der Donner aus dem Gewölk mit dem Donner der Waſſerfälle ſich miſcht, wo am düſteren, nebeligen Tage die Wolken in das Thal herunterſteigen und in den Wipfeln der Tannen hängen. In den Niederungen der Feſtländer unter den Tropen hat die Landſchaft eine ganz eigene Phyſiognomie, eine Großartigkeit und eine Ruhe, die ſelbſt da ſich nicht verleugnet, wo eines der Elemente mit unüberwindlichen Hinderniſſen zu kämpfen hat. In der Nähe des Aequators kommen heftige Stürme und Ungewitter nur auf den Inſeln, in pflanzenloſen Wüſten, kurz überall da vor, wo die Luft auf Flächen mit ſehr abweichender Strahlung ruht.
Der Hügel Manimi bildet die öſtliche Grenze einer Ebene, auf der man dieſelben für die Geſchichte der Vegetation, das heißt ihrer allmählichen Entwickelung auf nackten, kahlen Bodenſtrecken wichtigen Erſcheinungen beobachtet, wie wir ſie oben beim Raudal von Atures beſchrieben. In der Regenzeit ſchwemmt das Waſſer Dammerde auf dem Granitgeſtein zu- ſammen, deſſen kahle Bänke wagerecht daliegen. Dieſe mit den ſchönſten, wohlriechendſten Gewächſen geſchmückten Land- eilande gleichen den mit Blumen bedeckten Granitblöcken, welche die Alpenbewohner Jardins oder Courtils nennen, und die in Savoyen mitten aus den Gletſchern emporragen. Mitten in den Katarakten auf ziemlich ſchwer zugänglichen Klippen wächſt die Vanille. Bonpland hat ungemein gewürzreiche und außerordentlich lange Schoten gebrochen.
An einem Platze, wo wir tags zuvor gebadet hatten, am Fuße des Felſen Manimi, ſchlugen die Indianer eine 2,4 m lange Schlange tot, die wir mit Muße unterſuchen konnten. Die Macos nannten ſie Camudu; der Rücken
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unſere Empfindung miſchen, ſo oft etwas Großes und Schönes
uns die Seele bewegt.
Die Stille in der Luft und das Toben der Waſſer bilden
einen Gegenſatz, wie er dieſem Himmelsſtriche eigentümlich iſt.
Nie bewegt hier ein Windhauch das Laub der Bäume, nie
trübt eine Wolke den Glanz des blauen Himmelsgewölbes;
eine gewaltige Lichtmaſſe iſt durch die Luft verbreitet, über
dem Boden, den Gewächſe mit glänzenden Blättern bedecken,
über dem Strom, der ſich unabſehbar hinbreitet. Dieſer An-
blick hat für den Reiſenden, der im Norden von Europa zu
Hauſe iſt, etwas ganz Befremdendes. Stellt er ſich eine
wilde Landſchaft vor, einen Strom, der von Fels zu Fels
niederſtürzt, ſo denkt er ſich auch ein Klima dazu, in dem
gar oft der Donner aus dem Gewölk mit dem Donner der
Waſſerfälle ſich miſcht, wo am düſteren, nebeligen Tage die
Wolken in das Thal herunterſteigen und in den Wipfeln der
Tannen hängen. In den Niederungen der Feſtländer unter
den Tropen hat die Landſchaft eine ganz eigene Phyſiognomie,
eine Großartigkeit und eine Ruhe, die ſelbſt da ſich nicht
verleugnet, wo eines der Elemente mit unüberwindlichen
Hinderniſſen zu kämpfen hat. In der Nähe des Aequators
kommen heftige Stürme und Ungewitter nur auf den Inſeln,
in pflanzenloſen Wüſten, kurz überall da vor, wo die Luft
auf Flächen mit ſehr abweichender Strahlung ruht.
Der Hügel Manimi bildet die öſtliche Grenze einer Ebene,
auf der man dieſelben für die Geſchichte der Vegetation, das
heißt ihrer allmählichen Entwickelung auf nackten, kahlen
Bodenſtrecken wichtigen Erſcheinungen beobachtet, wie wir ſie
oben beim Raudal von Atures beſchrieben. In der Regenzeit
ſchwemmt das Waſſer Dammerde auf dem Granitgeſtein zu-
ſammen, deſſen kahle Bänke wagerecht daliegen. Dieſe mit
den ſchönſten, wohlriechendſten Gewächſen geſchmückten Land-
eilande gleichen den mit Blumen bedeckten Granitblöcken, welche
die Alpenbewohner Jardins oder Courtils nennen, und die
in Savoyen mitten aus den Gletſchern emporragen. Mitten
in den Katarakten auf ziemlich ſchwer zugänglichen Klippen
wächſt die Vanille. Bonpland hat ungemein gewürzreiche und
außerordentlich lange Schoten gebrochen.
An einem Platze, wo wir tags zuvor gebadet hatten,
am Fuße des Felſen Manimi, ſchlugen die Indianer eine
2,4 m lange Schlange tot, die wir mit Muße unterſuchen
konnten. Die Macos nannten ſie Camudu; der Rücken
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/179>, abgerufen am 18.07.2024.
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