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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Die Einwohner von Atures und Maypures werden, was
auch die Missionäre in ihren Schriften sagen mögen, vom
Tosen der großen Katarakte so wenig taub als die Katadupen
am Nil. Hört man das Getöse auf der Ebene bei der Mission,
starke 4 km weit, so glaubt man in der Nähe einer felsigen
Meeresküste mit starker Brandung zu sein. Es ist bei Nacht
dreimal stärker als bei Tage und gibt dem einsamen Orte un-
aussprechlichen Reiz. Woher mag wohl diese Verstärkung des
Schalles in einer Einöde rühren, wo sonst nichts das Schweigen
der Natur zu unterbrechen scheint? Die Geschwindigkeit der
Fortpflanzung des Schalles nimmt mit der Abnahme der
Temperatur nicht zu, sondern vielmehr ab. Der Schall wird
schwächer, wenn ein der Richtung desselben entgegengesetzter
Wind weht, ferner durch Verdünnung der Luft; der Schall
ist schwächer in hohen Luftregionen als in tiefen, wo die Zahl
der erschütterten Luftteilchen in jedem Strahle größer ist. Die
Stärke desselben ist in trockener und in mit Wasserdunst ver-
mengter Luft gleich groß, aber in kohlensaurem Gas ist sie
geringer als in Gemengen von Stickstoff und Sauerstoff. Nach
diesen Erfahrungssätzen (und es sind die einzigen einiger-
maßen zuverlässigen) hält es schwer, eine Erscheinung zu er-
klären, die man bei jedem Wasserfalle in Europa beobachtet,
und die lange vor unserer Ankunft im Dorfe Atures Mis-
sionären und Indianern aufgefallen war. Bei Nacht ist die
Temperatur der Luft um 3° niedriger als bei Tage; zu-
gleich nimmt die merkbare Feuchtigkeit bei Nacht zu und der
Nebel, der auf den Katarakten liegt, wird dichter. Wir haben
aber eben gesehen, daß der hygroskopische Zustand der Luft
auf die Fortpflanzung des Schalles keinen Einfluß hat, und
daß die Abkühlung der Luft die Geschwindigkeit vermindert.

Man könnte meinen, auch an Orten, wo keine Menschen
leben, bringe am Tage das Sumsen der Insekten, der Gesang
der Vögel, das Rauschen des Laubes beim leisesten Luftzuge
ein verworrenes Getöne hervor, das wir um so weniger wahr-
nehmen, da es sich immer gleich bleibt und es fortwährend
zu unserem Ohre dringt. Dieses Getöse, so unmerklich es
sein mag, kann nun allerdings einen stärkeren Schall schwächen,
und diese Schwächung kann wegfallen, wenn in der Stille
der Nacht der Gesang der Vögel, das Sumsen der Insekten
und die Wirkung des Windes auf das Laub aufhören. Wäre
aber diese Folgerung auch richtig, so findet sie keine Anwen-
dung auf die Wälder am Orinoko, wo die Luft fortwährend

Die Einwohner von Atures und Maypures werden, was
auch die Miſſionäre in ihren Schriften ſagen mögen, vom
Toſen der großen Katarakte ſo wenig taub als die Katadupen
am Nil. Hört man das Getöſe auf der Ebene bei der Miſſion,
ſtarke 4 km weit, ſo glaubt man in der Nähe einer felſigen
Meeresküſte mit ſtarker Brandung zu ſein. Es iſt bei Nacht
dreimal ſtärker als bei Tage und gibt dem einſamen Orte un-
ausſprechlichen Reiz. Woher mag wohl dieſe Verſtärkung des
Schalles in einer Einöde rühren, wo ſonſt nichts das Schweigen
der Natur zu unterbrechen ſcheint? Die Geſchwindigkeit der
Fortpflanzung des Schalles nimmt mit der Abnahme der
Temperatur nicht zu, ſondern vielmehr ab. Der Schall wird
ſchwächer, wenn ein der Richtung desſelben entgegengeſetzter
Wind weht, ferner durch Verdünnung der Luft; der Schall
iſt ſchwächer in hohen Luftregionen als in tiefen, wo die Zahl
der erſchütterten Luftteilchen in jedem Strahle größer iſt. Die
Stärke desſelben iſt in trockener und in mit Waſſerdunſt ver-
mengter Luft gleich groß, aber in kohlenſaurem Gas iſt ſie
geringer als in Gemengen von Stickſtoff und Sauerſtoff. Nach
dieſen Erfahrungsſätzen (und es ſind die einzigen einiger-
maßen zuverläſſigen) hält es ſchwer, eine Erſcheinung zu er-
klären, die man bei jedem Waſſerfalle in Europa beobachtet,
und die lange vor unſerer Ankunft im Dorfe Atures Miſ-
ſionären und Indianern aufgefallen war. Bei Nacht iſt die
Temperatur der Luft um 3° niedriger als bei Tage; zu-
gleich nimmt die merkbare Feuchtigkeit bei Nacht zu und der
Nebel, der auf den Katarakten liegt, wird dichter. Wir haben
aber eben geſehen, daß der hygroſkopiſche Zuſtand der Luft
auf die Fortpflanzung des Schalles keinen Einfluß hat, und
daß die Abkühlung der Luft die Geſchwindigkeit vermindert.

Man könnte meinen, auch an Orten, wo keine Menſchen
leben, bringe am Tage das Sumſen der Inſekten, der Geſang
der Vögel, das Rauſchen des Laubes beim leiſeſten Luftzuge
ein verworrenes Getöne hervor, das wir um ſo weniger wahr-
nehmen, da es ſich immer gleich bleibt und es fortwährend
zu unſerem Ohre dringt. Dieſes Getöſe, ſo unmerklich es
ſein mag, kann nun allerdings einen ſtärkeren Schall ſchwächen,
und dieſe Schwächung kann wegfallen, wenn in der Stille
der Nacht der Geſang der Vögel, das Sumſen der Inſekten
und die Wirkung des Windes auf das Laub aufhören. Wäre
aber dieſe Folgerung auch richtig, ſo findet ſie keine Anwen-
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[133/0141] Die Einwohner von Atures und Maypures werden, was auch die Miſſionäre in ihren Schriften ſagen mögen, vom Toſen der großen Katarakte ſo wenig taub als die Katadupen am Nil. Hört man das Getöſe auf der Ebene bei der Miſſion, ſtarke 4 km weit, ſo glaubt man in der Nähe einer felſigen Meeresküſte mit ſtarker Brandung zu ſein. Es iſt bei Nacht dreimal ſtärker als bei Tage und gibt dem einſamen Orte un- ausſprechlichen Reiz. Woher mag wohl dieſe Verſtärkung des Schalles in einer Einöde rühren, wo ſonſt nichts das Schweigen der Natur zu unterbrechen ſcheint? Die Geſchwindigkeit der Fortpflanzung des Schalles nimmt mit der Abnahme der Temperatur nicht zu, ſondern vielmehr ab. Der Schall wird ſchwächer, wenn ein der Richtung desſelben entgegengeſetzter Wind weht, ferner durch Verdünnung der Luft; der Schall iſt ſchwächer in hohen Luftregionen als in tiefen, wo die Zahl der erſchütterten Luftteilchen in jedem Strahle größer iſt. Die Stärke desſelben iſt in trockener und in mit Waſſerdunſt ver- mengter Luft gleich groß, aber in kohlenſaurem Gas iſt ſie geringer als in Gemengen von Stickſtoff und Sauerſtoff. Nach dieſen Erfahrungsſätzen (und es ſind die einzigen einiger- maßen zuverläſſigen) hält es ſchwer, eine Erſcheinung zu er- klären, die man bei jedem Waſſerfalle in Europa beobachtet, und die lange vor unſerer Ankunft im Dorfe Atures Miſ- ſionären und Indianern aufgefallen war. Bei Nacht iſt die Temperatur der Luft um 3° niedriger als bei Tage; zu- gleich nimmt die merkbare Feuchtigkeit bei Nacht zu und der Nebel, der auf den Katarakten liegt, wird dichter. Wir haben aber eben geſehen, daß der hygroſkopiſche Zuſtand der Luft auf die Fortpflanzung des Schalles keinen Einfluß hat, und daß die Abkühlung der Luft die Geſchwindigkeit vermindert. Man könnte meinen, auch an Orten, wo keine Menſchen leben, bringe am Tage das Sumſen der Inſekten, der Geſang der Vögel, das Rauſchen des Laubes beim leiſeſten Luftzuge ein verworrenes Getöne hervor, das wir um ſo weniger wahr- nehmen, da es ſich immer gleich bleibt und es fortwährend zu unſerem Ohre dringt. Dieſes Getöſe, ſo unmerklich es ſein mag, kann nun allerdings einen ſtärkeren Schall ſchwächen, und dieſe Schwächung kann wegfallen, wenn in der Stille der Nacht der Geſang der Vögel, das Sumſen der Inſekten und die Wirkung des Windes auf das Laub aufhören. Wäre aber dieſe Folgerung auch richtig, ſo findet ſie keine Anwen- dung auf die Wälder am Orinoko, wo die Luft fortwährend

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/141>, abgerufen am 24.11.2024.