und Gewürznelkenöl. Der kräftige Körper des Wilden, in dem die verschiedenen organischen Systeme unabhängiger von- einander sind, widersteht besser und länger übermäßigen Reizen und dem Gebrauch dem Leben feindlicher Substanzen, als die schwache Konstitution des civilisierten Menschen. Ich glaubte mich in diese nicht sehr erfreulichen pathologischen Betrach- tungen einlassen zu müssen, weil sie auf eine der Ursachen hinweisen, aus denen im versunkensten Zustande unseres Ge- schlechtes, wie auf der höchsten Stufe der Kultur, die Be- völkerung kaum merklich zunimmt.
Zu den eben bezeichneten Ursachen kommen andere wesent- lich verschiedene. Im Kollegium für die Missionen von Piritu zu Nueva Barcelona hat man die Bemerkung gemacht, daß in den an sehr trockenen Orten gelegenen Indianerdörfern immer auffallend mehr Kinder geboren werden als an den Dörfern an Flußufern. Die Sitte der indianischen Weiber, mehreremal am Tage, bei Sonnenaufgang und nach Sonnen- untergang, also wenn die Luft am kühlsten ist, zu baden, scheint die Konstitution zu schwächen.
Der Pater Guardian der Franziskaner sah mit Schrecken, wie rasch die Bevölkerung in den beiden Dörfern an den Ka- tarakten abnahm und schlug daher vor einigen Jahren dem Statthalter der Provinz in Angostura vor, die Indianer durch Neger zu ersetzen. Bekanntlich dauert die afrikanische Rasse in heißem und feuchtem Klima vortrefflich aus. Eine Nieder- lassung freier Neger am ungesunden Ufer des Caura in der Mission San Luis Guaraguaraico gedeiht ganz gut, und sie bekommen ausnehmend reiche Maisernten. Der Pater Guardian beabsichtigte einen Teil dieser schwarzen Kolonisten an die Ka- tarakte des Orinoko zu verpflanzen, oder aber Sklaven auf den Antillen zu kaufen und sie, wie man am Caura gethan, mit Negern, die aus Essequibo entlaufen, anzusiedeln. Wahr- scheinlich wäre der Plan ganz gut gelungen. Derselbe er- innerte im kleinen an die Niederlassungen in Sierra Leone; es war Aussicht vorhanden, daß der Zustand der Schwarzen sich damit verbesserte und so das Christentum zu seinem ur- sprünglichen Ziele, Förderung des Glückes und der Freiheit der untersten Volksklassen, wieder hingeführt wurde. Ein kleines Mißverständnis vereitelte die Sache. Der Statthalter erwiderte den Mönchen: "Da man für das Leben der Neger so wenig bürgen könne als für das der Indianer, so erscheine es nicht als gerecht, jene zur Niederlassung in den Dörfern
und Gewürznelkenöl. Der kräftige Körper des Wilden, in dem die verſchiedenen organiſchen Syſteme unabhängiger von- einander ſind, widerſteht beſſer und länger übermäßigen Reizen und dem Gebrauch dem Leben feindlicher Subſtanzen, als die ſchwache Konſtitution des civiliſierten Menſchen. Ich glaubte mich in dieſe nicht ſehr erfreulichen pathologiſchen Betrach- tungen einlaſſen zu müſſen, weil ſie auf eine der Urſachen hinweiſen, aus denen im verſunkenſten Zuſtande unſeres Ge- ſchlechtes, wie auf der höchſten Stufe der Kultur, die Be- völkerung kaum merklich zunimmt.
Zu den eben bezeichneten Urſachen kommen andere weſent- lich verſchiedene. Im Kollegium für die Miſſionen von Piritu zu Nueva Barcelona hat man die Bemerkung gemacht, daß in den an ſehr trockenen Orten gelegenen Indianerdörfern immer auffallend mehr Kinder geboren werden als an den Dörfern an Flußufern. Die Sitte der indianiſchen Weiber, mehreremal am Tage, bei Sonnenaufgang und nach Sonnen- untergang, alſo wenn die Luft am kühlſten iſt, zu baden, ſcheint die Konſtitution zu ſchwächen.
Der Pater Guardian der Franziskaner ſah mit Schrecken, wie raſch die Bevölkerung in den beiden Dörfern an den Ka- tarakten abnahm und ſchlug daher vor einigen Jahren dem Statthalter der Provinz in Angoſtura vor, die Indianer durch Neger zu erſetzen. Bekanntlich dauert die afrikaniſche Raſſe in heißem und feuchtem Klima vortrefflich aus. Eine Nieder- laſſung freier Neger am ungeſunden Ufer des Caura in der Miſſion San Luis Guaraguaraico gedeiht ganz gut, und ſie bekommen ausnehmend reiche Maisernten. Der Pater Guardian beabſichtigte einen Teil dieſer ſchwarzen Koloniſten an die Ka- tarakte des Orinoko zu verpflanzen, oder aber Sklaven auf den Antillen zu kaufen und ſie, wie man am Caura gethan, mit Negern, die aus Eſſequibo entlaufen, anzuſiedeln. Wahr- ſcheinlich wäre der Plan ganz gut gelungen. Derſelbe er- innerte im kleinen an die Niederlaſſungen in Sierra Leone; es war Ausſicht vorhanden, daß der Zuſtand der Schwarzen ſich damit verbeſſerte und ſo das Chriſtentum zu ſeinem ur- ſprünglichen Ziele, Förderung des Glückes und der Freiheit der unterſten Volksklaſſen, wieder hingeführt wurde. Ein kleines Mißverſtändnis vereitelte die Sache. Der Statthalter erwiderte den Mönchen: „Da man für das Leben der Neger ſo wenig bürgen könne als für das der Indianer, ſo erſcheine es nicht als gerecht, jene zur Niederlaſſung in den Dörfern
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und Gewürznelkenöl. Der kräftige Körper des Wilden, in
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einander ſind, widerſteht beſſer und länger übermäßigen Reizen
und dem Gebrauch dem Leben feindlicher Subſtanzen, als die
ſchwache Konſtitution des civiliſierten Menſchen. Ich glaubte
mich in dieſe nicht ſehr erfreulichen pathologiſchen Betrach-
tungen einlaſſen zu müſſen, weil ſie auf eine der Urſachen
hinweiſen, aus denen im verſunkenſten Zuſtande unſeres Ge-
ſchlechtes, wie auf der höchſten Stufe der Kultur, die Be-
völkerung kaum merklich zunimmt.
Zu den eben bezeichneten Urſachen kommen andere weſent-
lich verſchiedene. Im Kollegium für die Miſſionen von Piritu
zu Nueva Barcelona hat man die Bemerkung gemacht, daß
in den an ſehr trockenen Orten gelegenen Indianerdörfern
immer auffallend mehr Kinder geboren werden als an den
Dörfern an Flußufern. Die Sitte der indianiſchen Weiber,
mehreremal am Tage, bei Sonnenaufgang und nach Sonnen-
untergang, alſo wenn die Luft am kühlſten iſt, zu baden,
ſcheint die Konſtitution zu ſchwächen.
Der Pater Guardian der Franziskaner ſah mit Schrecken,
wie raſch die Bevölkerung in den beiden Dörfern an den Ka-
tarakten abnahm und ſchlug daher vor einigen Jahren dem
Statthalter der Provinz in Angoſtura vor, die Indianer durch
Neger zu erſetzen. Bekanntlich dauert die afrikaniſche Raſſe
in heißem und feuchtem Klima vortrefflich aus. Eine Nieder-
laſſung freier Neger am ungeſunden Ufer des Caura in der
Miſſion San Luis Guaraguaraico gedeiht ganz gut, und ſie
bekommen ausnehmend reiche Maisernten. Der Pater Guardian
beabſichtigte einen Teil dieſer ſchwarzen Koloniſten an die Ka-
tarakte des Orinoko zu verpflanzen, oder aber Sklaven auf
den Antillen zu kaufen und ſie, wie man am Caura gethan,
mit Negern, die aus Eſſequibo entlaufen, anzuſiedeln. Wahr-
ſcheinlich wäre der Plan ganz gut gelungen. Derſelbe er-
innerte im kleinen an die Niederlaſſungen in Sierra Leone;
es war Ausſicht vorhanden, daß der Zuſtand der Schwarzen
ſich damit verbeſſerte und ſo das Chriſtentum zu ſeinem ur-
ſprünglichen Ziele, Förderung des Glückes und der Freiheit
der unterſten Volksklaſſen, wieder hingeführt wurde. Ein
kleines Mißverſtändnis vereitelte die Sache. Der Statthalter
erwiderte den Mönchen: „Da man für das Leben der Neger
ſo wenig bürgen könne als für das der Indianer, ſo erſcheine
es nicht als gerecht, jene zur Niederlaſſung in den Dörfern
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/124>, abgerufen am 16.07.2024.
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