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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Zwanzigstes Kapitel.

Die Mündung des Rio Anaveni. -- Der Pik Uniana. -- Die
Mission Atures. -- Der Katarakt oder Raudal Mapara. -- Die
Inseln Surupamana und Uirapuri.

Auf seinem Laufe von Süd nach Nord streicht über den
Orinokostrom eine Kette von Granitbergen. Zweimal in seinem
Laufe gehemmt, bricht er sich tosend an den Felsen, welche
Staffeln und Querdämme bilden. Nichts großartiger als dieses
Landschaftsbild. Weder der Fall des Tequendama bei Santa
Fe de Bogota, noch die gewaltige Naturßenerie der Kordilleren
vermochten den Eindruck zu verwischen, den die Stromschnellen
von Atures und Maypures auf mich machten, als ich sie zum
erstenmal sah. Steht man so, daß man die ununterbrochene
Reihe von Katarakten, die ungeheure, von den Strahlen der
untergehenden Sonne beleuchtete Schaum- und Dunstfläche mit
einem Blicke übersieht, so ist es, als sähe man den ganzen
Strom über seinem Bette hängen.

So ausgezeichnete Naturbildungen mußten schon seit
Jahrhunderten bei den Bewohnern der Neuen Welt Aufmerk-
samkeit erregen. Als Diego de Ordaz, Alfonso de Herrera
und der unerschrockene Ralegh in der Mündung des Orinoko
vor Anker gingen, wurde ihnen Kunde von den großen Ka-
tarakten aus dem Munde von Indianern, die niemals dort
gewesen; sie verwechselten sie sogar mit weiter ostwärts ge-
legenen Fällen. Wie sehr auch in der heißen Zone die Ueppigkeit
des Pflanzenwuchses dem Verkehr unter den Völkern hinderlich
ist, alles, was sich auf den Lauf der großen Ströme bezieht,
erlangt einen Ruf, der sich in ungeheure Fernen verbreitet.
Gleich Armen von Binnenmeeren durchziehen der Orinoko,
Amazonenstrom und Uruguay einen mit Wäldern bedeckten
Landstrich, auf dem Völker hausen, die zum Teil Menschen-
fresser sind. Noch ist es nicht zwei Jahrhunderte her, seit

Zwanzigſtes Kapitel.

Die Mündung des Rio Anaveni. — Der Pik Uniana. — Die
Miſſion Atures. — Der Katarakt oder Raudal Mapara. — Die
Inſeln Surupamana und Uirapuri.

Auf ſeinem Laufe von Süd nach Nord ſtreicht über den
Orinokoſtrom eine Kette von Granitbergen. Zweimal in ſeinem
Laufe gehemmt, bricht er ſich toſend an den Felſen, welche
Staffeln und Querdämme bilden. Nichts großartiger als dieſes
Landſchaftsbild. Weder der Fall des Tequendama bei Santa
Fé de Bogota, noch die gewaltige Naturſzenerie der Kordilleren
vermochten den Eindruck zu verwiſchen, den die Stromſchnellen
von Atures und Maypures auf mich machten, als ich ſie zum
erſtenmal ſah. Steht man ſo, daß man die ununterbrochene
Reihe von Katarakten, die ungeheure, von den Strahlen der
untergehenden Sonne beleuchtete Schaum- und Dunſtfläche mit
einem Blicke überſieht, ſo iſt es, als ſähe man den ganzen
Strom über ſeinem Bette hängen.

So ausgezeichnete Naturbildungen mußten ſchon ſeit
Jahrhunderten bei den Bewohnern der Neuen Welt Aufmerk-
ſamkeit erregen. Als Diego de Ordaz, Alfonſo de Herrera
und der unerſchrockene Ralegh in der Mündung des Orinoko
vor Anker gingen, wurde ihnen Kunde von den großen Ka-
tarakten aus dem Munde von Indianern, die niemals dort
geweſen; ſie verwechſelten ſie ſogar mit weiter oſtwärts ge-
legenen Fällen. Wie ſehr auch in der heißen Zone die Ueppigkeit
des Pflanzenwuchſes dem Verkehr unter den Völkern hinderlich
iſt, alles, was ſich auf den Lauf der großen Ströme bezieht,
erlangt einen Ruf, der ſich in ungeheure Fernen verbreitet.
Gleich Armen von Binnenmeeren durchziehen der Orinoko,
Amazonenſtrom und Uruguay einen mit Wäldern bedeckten
Landſtrich, auf dem Völker hauſen, die zum Teil Menſchen-
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[[100]/0108] Zwanzigſtes Kapitel. Die Mündung des Rio Anaveni. — Der Pik Uniana. — Die Miſſion Atures. — Der Katarakt oder Raudal Mapara. — Die Inſeln Surupamana und Uirapuri. Auf ſeinem Laufe von Süd nach Nord ſtreicht über den Orinokoſtrom eine Kette von Granitbergen. Zweimal in ſeinem Laufe gehemmt, bricht er ſich toſend an den Felſen, welche Staffeln und Querdämme bilden. Nichts großartiger als dieſes Landſchaftsbild. Weder der Fall des Tequendama bei Santa Fé de Bogota, noch die gewaltige Naturſzenerie der Kordilleren vermochten den Eindruck zu verwiſchen, den die Stromſchnellen von Atures und Maypures auf mich machten, als ich ſie zum erſtenmal ſah. Steht man ſo, daß man die ununterbrochene Reihe von Katarakten, die ungeheure, von den Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtete Schaum- und Dunſtfläche mit einem Blicke überſieht, ſo iſt es, als ſähe man den ganzen Strom über ſeinem Bette hängen. So ausgezeichnete Naturbildungen mußten ſchon ſeit Jahrhunderten bei den Bewohnern der Neuen Welt Aufmerk- ſamkeit erregen. Als Diego de Ordaz, Alfonſo de Herrera und der unerſchrockene Ralegh in der Mündung des Orinoko vor Anker gingen, wurde ihnen Kunde von den großen Ka- tarakten aus dem Munde von Indianern, die niemals dort geweſen; ſie verwechſelten ſie ſogar mit weiter oſtwärts ge- legenen Fällen. Wie ſehr auch in der heißen Zone die Ueppigkeit des Pflanzenwuchſes dem Verkehr unter den Völkern hinderlich iſt, alles, was ſich auf den Lauf der großen Ströme bezieht, erlangt einen Ruf, der ſich in ungeheure Fernen verbreitet. Gleich Armen von Binnenmeeren durchziehen der Orinoko, Amazonenſtrom und Uruguay einen mit Wäldern bedeckten Landſtrich, auf dem Völker hauſen, die zum Teil Menſchen- freſſer ſind. Noch iſt es nicht zwei Jahrhunderte her, ſeit

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. [100]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/108>, abgerufen am 22.11.2024.