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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Caracas gesunken wäre. Die indianischen Schiffer sind so ge-
wandt, daß selbst bei ihren häufigen Fahrten von Cumana
nach Guadeloupe oder den dänischen Inseln, die mit Klippen
umgeben sind, ein Schiffbruch zu den Seltenheiten gehört.
Diese 540 bis 670 km weiten Fahrten auf offener See, wo
man keine Küste mehr sieht, werden auf offenen Fahrzeugen,
nach der Weise der Alten, ohne Beobachtung der Sonnenhöhe,
ohne Seekarten, fast immer ohne Kompaß unternommen. Der
indianische Steuermann richtet sich bei Nacht nach dem Polar-
stern, bei Tage nach dem Sonnenlauf und dem Winde, der,
wie er voraussetzt, selten wechselt. Ich habe Guaikeri und
Steuerleute vom Schlage der Zambos gesehen, die den Polar-
stern nach der Linie zwischen a und b des großen Bären zu
finden wußten, und es kam mir vor, als steuerten sie nicht
sowohl nach dem Polarstern selbst als nach jener Linie. Man
wundert sich, wie sie, sobald Land zu Gesicht kommt, richtig
die Insel Guadeloupe oder Santa Cruz oder Portorico fin-
den; aber im Ausgleichen der Abweichungen vom Kurs sind
sie nicht immer ebenso glücklich. Wenn sich die Fahrzeuge
unter dem Wind dem Lande nähern, kommen sie gegen Osten
gegen Winde und Strömung nur sehr schwer weiter. In
Kriegszeiten haben nun die Schiffer ihre Unwissenheit und
ihre Unbekanntschaft mit dem Gebrauche des Oktanten schwer
zu büßen; denn die Kaper kreuzen eben an den Vorgebirgen,
welche die Fahrzeuge von Terra Firma, wenn sie von ihrem
Kurs abgekommen, in Sicht bekommen müssen, um ihres
Weges gewiß zu sein.

Wir fuhren rasch den kleinen Fluß Manzanares hinab.
dessen Krümmungen Kokosbäume bezeichnen, wie Pappeln und
alte Weiden in unseren Klimaten. Auf dem anstoßenden
dürren Strande schimmerten auf den Dornbüschen, die bei
Tage nur staubige Blätter zeigen, da es noch Nacht war,
viele tausend Lichtfunken. Die leuchtenden Insekten ver-
mehren sich in der Regenzeit. Man wird unter den Tropen
des Schauspiels nicht müde, wenn diese hin und her zuckenden
rötlichen Lichter sich im klaren Wasser widerspiegeln und ihre
Bilder und die der Sterne am Himmelsgewölbe unterein-
ander wimmeln.

Wir schieden vom Küstenlande von Cumana, als hätten
wir lange da gelebt. Es war das erste Land, das wir unter
einem Himmelsstrich betreten, nach dem ich mich seit meiner
frühesten Jugend gesehnt hatte. Der Eindruck der Natur im

Caracas geſunken wäre. Die indianiſchen Schiffer ſind ſo ge-
wandt, daß ſelbſt bei ihren häufigen Fahrten von Cumana
nach Guadeloupe oder den däniſchen Inſeln, die mit Klippen
umgeben ſind, ein Schiffbruch zu den Seltenheiten gehört.
Dieſe 540 bis 670 km weiten Fahrten auf offener See, wo
man keine Küſte mehr ſieht, werden auf offenen Fahrzeugen,
nach der Weiſe der Alten, ohne Beobachtung der Sonnenhöhe,
ohne Seekarten, faſt immer ohne Kompaß unternommen. Der
indianiſche Steuermann richtet ſich bei Nacht nach dem Polar-
ſtern, bei Tage nach dem Sonnenlauf und dem Winde, der,
wie er vorausſetzt, ſelten wechſelt. Ich habe Guaikeri und
Steuerleute vom Schlage der Zambos geſehen, die den Polar-
ſtern nach der Linie zwiſchen α und β des großen Bären zu
finden wußten, und es kam mir vor, als ſteuerten ſie nicht
ſowohl nach dem Polarſtern ſelbſt als nach jener Linie. Man
wundert ſich, wie ſie, ſobald Land zu Geſicht kommt, richtig
die Inſel Guadeloupe oder Santa Cruz oder Portorico fin-
den; aber im Ausgleichen der Abweichungen vom Kurs ſind
ſie nicht immer ebenſo glücklich. Wenn ſich die Fahrzeuge
unter dem Wind dem Lande nähern, kommen ſie gegen Oſten
gegen Winde und Strömung nur ſehr ſchwer weiter. In
Kriegszeiten haben nun die Schiffer ihre Unwiſſenheit und
ihre Unbekanntſchaft mit dem Gebrauche des Oktanten ſchwer
zu büßen; denn die Kaper kreuzen eben an den Vorgebirgen,
welche die Fahrzeuge von Terra Firma, wenn ſie von ihrem
Kurs abgekommen, in Sicht bekommen müſſen, um ihres
Weges gewiß zu ſein.

Wir fuhren raſch den kleinen Fluß Manzanares hinab.
deſſen Krümmungen Kokosbäume bezeichnen, wie Pappeln und
alte Weiden in unſeren Klimaten. Auf dem anſtoßenden
dürren Strande ſchimmerten auf den Dornbüſchen, die bei
Tage nur ſtaubige Blätter zeigen, da es noch Nacht war,
viele tauſend Lichtfunken. Die leuchtenden Inſekten ver-
mehren ſich in der Regenzeit. Man wird unter den Tropen
des Schauſpiels nicht müde, wenn dieſe hin und her zuckenden
rötlichen Lichter ſich im klaren Waſſer widerſpiegeln und ihre
Bilder und die der Sterne am Himmelsgewölbe unterein-
ander wimmeln.

Wir ſchieden vom Küſtenlande von Cumana, als hätten
wir lange da gelebt. Es war das erſte Land, das wir unter
einem Himmelsſtrich betreten, nach dem ich mich ſeit meiner
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[63/0071] Caracas geſunken wäre. Die indianiſchen Schiffer ſind ſo ge- wandt, daß ſelbſt bei ihren häufigen Fahrten von Cumana nach Guadeloupe oder den däniſchen Inſeln, die mit Klippen umgeben ſind, ein Schiffbruch zu den Seltenheiten gehört. Dieſe 540 bis 670 km weiten Fahrten auf offener See, wo man keine Küſte mehr ſieht, werden auf offenen Fahrzeugen, nach der Weiſe der Alten, ohne Beobachtung der Sonnenhöhe, ohne Seekarten, faſt immer ohne Kompaß unternommen. Der indianiſche Steuermann richtet ſich bei Nacht nach dem Polar- ſtern, bei Tage nach dem Sonnenlauf und dem Winde, der, wie er vorausſetzt, ſelten wechſelt. Ich habe Guaikeri und Steuerleute vom Schlage der Zambos geſehen, die den Polar- ſtern nach der Linie zwiſchen α und β des großen Bären zu finden wußten, und es kam mir vor, als ſteuerten ſie nicht ſowohl nach dem Polarſtern ſelbſt als nach jener Linie. Man wundert ſich, wie ſie, ſobald Land zu Geſicht kommt, richtig die Inſel Guadeloupe oder Santa Cruz oder Portorico fin- den; aber im Ausgleichen der Abweichungen vom Kurs ſind ſie nicht immer ebenſo glücklich. Wenn ſich die Fahrzeuge unter dem Wind dem Lande nähern, kommen ſie gegen Oſten gegen Winde und Strömung nur ſehr ſchwer weiter. In Kriegszeiten haben nun die Schiffer ihre Unwiſſenheit und ihre Unbekanntſchaft mit dem Gebrauche des Oktanten ſchwer zu büßen; denn die Kaper kreuzen eben an den Vorgebirgen, welche die Fahrzeuge von Terra Firma, wenn ſie von ihrem Kurs abgekommen, in Sicht bekommen müſſen, um ihres Weges gewiß zu ſein. Wir fuhren raſch den kleinen Fluß Manzanares hinab. deſſen Krümmungen Kokosbäume bezeichnen, wie Pappeln und alte Weiden in unſeren Klimaten. Auf dem anſtoßenden dürren Strande ſchimmerten auf den Dornbüſchen, die bei Tage nur ſtaubige Blätter zeigen, da es noch Nacht war, viele tauſend Lichtfunken. Die leuchtenden Inſekten ver- mehren ſich in der Regenzeit. Man wird unter den Tropen des Schauſpiels nicht müde, wenn dieſe hin und her zuckenden rötlichen Lichter ſich im klaren Waſſer widerſpiegeln und ihre Bilder und die der Sterne am Himmelsgewölbe unterein- ander wimmeln. Wir ſchieden vom Küſtenlande von Cumana, als hätten wir lange da gelebt. Es war das erſte Land, das wir unter einem Himmelsſtrich betreten, nach dem ich mich ſeit meiner früheſten Jugend geſehnt hatte. Der Eindruck der Natur im

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/71>, abgerufen am 24.11.2024.