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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Zum Glück für uns war einer dieser Geistlichen, Juan
Gonzales, eben in Cumana. Dieser junge Mönch war nur
ein Laienbruder, aber sehr verständig, gebildet, voll Leben und
Mut. Kurz nach seiner Ankunft auf der Küste hatte er sich
bei Gelegenheit der Wahl eines neuen Guardians der Mis-
sionen von Pritu, wobei im Kloster zu Nueva Barcelona
immer große Aufregung herrscht, das Mißfallen seiner Oberen
zugezogen. Die siegende Partei übte eine durchgreifende Re-
aktion, welcher der Laienbruder nicht entgehen konnte. Er wurde
nach Esmeralda geschickt, in die letzte Mission am oberen
Orinoko, berüchtigt durch die Unzahl bösartiger Insekten, welche
jahraus jahrein die Luft erfüllen. Fray Juan Gonzales war
mit den Wäldern zwischen den Katarakten und den Quellen
des Orinoko vollkommen bekannt. Eine andere Umwälzung
im republikanischen Regiment der Mönche hatte ihn seit einigen
Jahren wieder an die Küste gebracht und er stand bei seinen
Oberen in verdienter Achtung. Er bestärkte uns in unserem
Verlangen, die vielbestrittene Gabelung des Orinoko zu unter-
suchen; er erteilte uns guten Rat für die Erhaltung der Ge-
sundheit in einem Klima, in dem er selbst so lange an Wechsel-
fiebern gelitten. Wir hatten das Vergnügen, auf der Rückreise
vom Rio Negro Frater Juan in Nueva Barcelona wieder
anzutreffen. Da er sich in der Havana nach Cadiz ein-
schiffen wollte, übernahm er es gefällig, einen Teil unserer
Pflanzensammlungen und unserer Insekten vom Orinoko nach
Europa zu bringen, aber die Sammlungen gingen leider mit
ihm zur See zu Grunde. Der vortreffliche junge Mann, der
uns sehr zugethan war, und dessen mutvoller Eifer den Mis-
sionen seines Ordens große Dienste hätte leisten können, kam
im Jahre 1801 in einem Sturme an der afrikanischen Küste
ums Leben.

Das Fahrzeug, in dem wir von Cumana nach Guayra 1
fuhren, war eines von denen, die zum Handel an den Küsten
und mit den Antillen gebraucht werden. Sie sind 30 m lang
und haben mehr als 1 m Bord über Wasser; sie sind ohne
Verdeck und laden gewöhnlich 100 bis 125 kg. Obgleich die
See vom Vorgebirge Codera bis Guayra sehr unruhig ist,
hat man seit 30 Jahren kein Beispiel, daß eines dieser Fahr-
zeuge auf der Ueberfahrt von Cumana an die Küste von

1 Man bezahlt 120 Piaster für die Ueberfahrt, wenn man das
ganze Boot zu Verfügung hat.

Zum Glück für uns war einer dieſer Geiſtlichen, Juan
Gonzales, eben in Cumana. Dieſer junge Mönch war nur
ein Laienbruder, aber ſehr verſtändig, gebildet, voll Leben und
Mut. Kurz nach ſeiner Ankunft auf der Küſte hatte er ſich
bei Gelegenheit der Wahl eines neuen Guardians der Miſ-
ſionen von Pritu, wobei im Kloſter zu Nueva Barcelona
immer große Aufregung herrſcht, das Mißfallen ſeiner Oberen
zugezogen. Die ſiegende Partei übte eine durchgreifende Re-
aktion, welcher der Laienbruder nicht entgehen konnte. Er wurde
nach Esmeralda geſchickt, in die letzte Miſſion am oberen
Orinoko, berüchtigt durch die Unzahl bösartiger Inſekten, welche
jahraus jahrein die Luft erfüllen. Fray Juan Gonzales war
mit den Wäldern zwiſchen den Katarakten und den Quellen
des Orinoko vollkommen bekannt. Eine andere Umwälzung
im republikaniſchen Regiment der Mönche hatte ihn ſeit einigen
Jahren wieder an die Küſte gebracht und er ſtand bei ſeinen
Oberen in verdienter Achtung. Er beſtärkte uns in unſerem
Verlangen, die vielbeſtrittene Gabelung des Orinoko zu unter-
ſuchen; er erteilte uns guten Rat für die Erhaltung der Ge-
ſundheit in einem Klima, in dem er ſelbſt ſo lange an Wechſel-
fiebern gelitten. Wir hatten das Vergnügen, auf der Rückreiſe
vom Rio Negro Frater Juan in Nueva Barcelona wieder
anzutreffen. Da er ſich in der Havana nach Cadiz ein-
ſchiffen wollte, übernahm er es gefällig, einen Teil unſerer
Pflanzenſammlungen und unſerer Inſekten vom Orinoko nach
Europa zu bringen, aber die Sammlungen gingen leider mit
ihm zur See zu Grunde. Der vortreffliche junge Mann, der
uns ſehr zugethan war, und deſſen mutvoller Eifer den Miſ-
ſionen ſeines Ordens große Dienſte hätte leiſten können, kam
im Jahre 1801 in einem Sturme an der afrikaniſchen Küſte
ums Leben.

Das Fahrzeug, in dem wir von Cumana nach Guayra 1
fuhren, war eines von denen, die zum Handel an den Küſten
und mit den Antillen gebraucht werden. Sie ſind 30 m lang
und haben mehr als 1 m Bord über Waſſer; ſie ſind ohne
Verdeck und laden gewöhnlich 100 bis 125 kg. Obgleich die
See vom Vorgebirge Codera bis Guayra ſehr unruhig iſt,
hat man ſeit 30 Jahren kein Beiſpiel, daß eines dieſer Fahr-
zeuge auf der Ueberfahrt von Cumana an die Küſte von

1 Man bezahlt 120 Piaſter für die Ueberfahrt, wenn man das
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[62/0070] Zum Glück für uns war einer dieſer Geiſtlichen, Juan Gonzales, eben in Cumana. Dieſer junge Mönch war nur ein Laienbruder, aber ſehr verſtändig, gebildet, voll Leben und Mut. Kurz nach ſeiner Ankunft auf der Küſte hatte er ſich bei Gelegenheit der Wahl eines neuen Guardians der Miſ- ſionen von Pritu, wobei im Kloſter zu Nueva Barcelona immer große Aufregung herrſcht, das Mißfallen ſeiner Oberen zugezogen. Die ſiegende Partei übte eine durchgreifende Re- aktion, welcher der Laienbruder nicht entgehen konnte. Er wurde nach Esmeralda geſchickt, in die letzte Miſſion am oberen Orinoko, berüchtigt durch die Unzahl bösartiger Inſekten, welche jahraus jahrein die Luft erfüllen. Fray Juan Gonzales war mit den Wäldern zwiſchen den Katarakten und den Quellen des Orinoko vollkommen bekannt. Eine andere Umwälzung im republikaniſchen Regiment der Mönche hatte ihn ſeit einigen Jahren wieder an die Küſte gebracht und er ſtand bei ſeinen Oberen in verdienter Achtung. Er beſtärkte uns in unſerem Verlangen, die vielbeſtrittene Gabelung des Orinoko zu unter- ſuchen; er erteilte uns guten Rat für die Erhaltung der Ge- ſundheit in einem Klima, in dem er ſelbſt ſo lange an Wechſel- fiebern gelitten. Wir hatten das Vergnügen, auf der Rückreiſe vom Rio Negro Frater Juan in Nueva Barcelona wieder anzutreffen. Da er ſich in der Havana nach Cadiz ein- ſchiffen wollte, übernahm er es gefällig, einen Teil unſerer Pflanzenſammlungen und unſerer Inſekten vom Orinoko nach Europa zu bringen, aber die Sammlungen gingen leider mit ihm zur See zu Grunde. Der vortreffliche junge Mann, der uns ſehr zugethan war, und deſſen mutvoller Eifer den Miſ- ſionen ſeines Ordens große Dienſte hätte leiſten können, kam im Jahre 1801 in einem Sturme an der afrikaniſchen Küſte ums Leben. Das Fahrzeug, in dem wir von Cumana nach Guayra 1 fuhren, war eines von denen, die zum Handel an den Küſten und mit den Antillen gebraucht werden. Sie ſind 30 m lang und haben mehr als 1 m Bord über Waſſer; ſie ſind ohne Verdeck und laden gewöhnlich 100 bis 125 kg. Obgleich die See vom Vorgebirge Codera bis Guayra ſehr unruhig iſt, hat man ſeit 30 Jahren kein Beiſpiel, daß eines dieſer Fahr- zeuge auf der Ueberfahrt von Cumana an die Küſte von 1 Man bezahlt 120 Piaſter für die Ueberfahrt, wenn man das ganze Boot zu Verfügung hat.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/70>, abgerufen am 24.11.2024.