nicht in den Vereinigten Staaten gekauft, es war das Werk eines Mannes, der nie ein Instrument gesehen, der niemand zu Rate ziehen konnte, der die elektrischen Erscheinungen nur aus der Schrift des Sigaud de la Fond und aus Franklins Denkwürdigkeiten kannte. Carlos del Pozo -- so heißt der achtungswürdige, sinnreiche Mann -- hatte zuerst aus großen Glasgefäßen, an denen er die Hälse abschnitt, Cylinder- maschinen gebaut. Erst seit einigen Jahren hatte er sich aus Philadelphia zwei Glasplatten verschafft, um eine Scheiben- maschine bauen und somit bedeutendere elektrische Wirkungen hervorbringen zu können. Man kann sich vorstellen, mit welchen Schwierigkeiten Pozo zu kämpfen hatte, seit die ersten Schriften über Elektrizität ihm in die Hände gefallen waren, und er den kühnen Entschluß faßte, alles, was er in den Büchern beschrieben fand, mit Kopf und Hand nachzumachen und herzustellen. Bisher hatte er sich bei seinen Experimen- ten nur am Erstaunen und der Bewunderung von ganz rohen Menschen ergötzt, die nie über die Wüste der Llanos hinaus- gekommen waren. Unser Aufenthalt in Calabozo verschaffte ihm einen ganz neuen Genuß. Er mußte natürlich Wert auf das Urteil zweier Reisenden legen, die seine Apparate mit den europäischen vergleichen konnten. Ich hatte verschiedene Elektrometer bei mir, mit Stroh, mit Korkkügelchen, mit Goldplättchen, auch eine kleine Leidner Flasche, die nach der Methode von Ingenhouß durch Reibung geladen wurde und mir zu physiologischen Versuchen diente. Pozo war außer sich vor Freude, als er zum erstenmal Instrumente sah, die er nicht selbst verfertigt, und die den seinigen nachgemacht schienen. Wir zeigten ihm auch die Wirkungen des Kontaktes heterogener Metalle auf die Nerven des Frosches. Die Namen Galvani und Volta waren in diesen weiten Einöden noch nicht gehört worden.
Was nach den elektrischen Apparaten von der gewandten Hand eines sinnreichen Einwohners der Llanos uns in Cala- bozo am meisten beschäftigte, das waren die Zitteraale, die lebendige elektrische Apparate sind. Mit der Begeisterung, die zum Forschen treibt, aber der richtigen Auffassung des Er- forschten hinderlich wird, hatte ich mich seit Jahren täglich mit den Erscheinungen der galvanischen Elektrizität beschäftigt; ich hatte, indem ich Metallscheiben aufeinander legte und Stücke Muskelfleisch, oder andere feuchte Substanzen da- zwischen brachte, mir unbewußt, echte Säulen aufgebaut,
nicht in den Vereinigten Staaten gekauft, es war das Werk eines Mannes, der nie ein Inſtrument geſehen, der niemand zu Rate ziehen konnte, der die elektriſchen Erſcheinungen nur aus der Schrift des Sigaud de la Fond und aus Franklins Denkwürdigkeiten kannte. Carlos del Pozo — ſo heißt der achtungswürdige, ſinnreiche Mann — hatte zuerſt aus großen Glasgefäßen, an denen er die Hälſe abſchnitt, Cylinder- maſchinen gebaut. Erſt ſeit einigen Jahren hatte er ſich aus Philadelphia zwei Glasplatten verſchafft, um eine Scheiben- maſchine bauen und ſomit bedeutendere elektriſche Wirkungen hervorbringen zu können. Man kann ſich vorſtellen, mit welchen Schwierigkeiten Pozo zu kämpfen hatte, ſeit die erſten Schriften über Elektrizität ihm in die Hände gefallen waren, und er den kühnen Entſchluß faßte, alles, was er in den Büchern beſchrieben fand, mit Kopf und Hand nachzumachen und herzuſtellen. Bisher hatte er ſich bei ſeinen Experimen- ten nur am Erſtaunen und der Bewunderung von ganz rohen Menſchen ergötzt, die nie über die Wüſte der Llanos hinaus- gekommen waren. Unſer Aufenthalt in Calabozo verſchaffte ihm einen ganz neuen Genuß. Er mußte natürlich Wert auf das Urteil zweier Reiſenden legen, die ſeine Apparate mit den europäiſchen vergleichen konnten. Ich hatte verſchiedene Elektrometer bei mir, mit Stroh, mit Korkkügelchen, mit Goldplättchen, auch eine kleine Leidner Flaſche, die nach der Methode von Ingenhouß durch Reibung geladen wurde und mir zu phyſiologiſchen Verſuchen diente. Pozo war außer ſich vor Freude, als er zum erſtenmal Inſtrumente ſah, die er nicht ſelbſt verfertigt, und die den ſeinigen nachgemacht ſchienen. Wir zeigten ihm auch die Wirkungen des Kontaktes heterogener Metalle auf die Nerven des Froſches. Die Namen Galvani und Volta waren in dieſen weiten Einöden noch nicht gehört worden.
Was nach den elektriſchen Apparaten von der gewandten Hand eines ſinnreichen Einwohners der Llanos uns in Cala- bozo am meiſten beſchäftigte, das waren die Zitteraale, die lebendige elektriſche Apparate ſind. Mit der Begeiſterung, die zum Forſchen treibt, aber der richtigen Auffaſſung des Er- forſchten hinderlich wird, hatte ich mich ſeit Jahren täglich mit den Erſcheinungen der galvaniſchen Elektrizität beſchäftigt; ich hatte, indem ich Metallſcheiben aufeinander legte und Stücke Muskelfleiſch, oder andere feuchte Subſtanzen da- zwiſchen brachte, mir unbewußt, echte Säulen aufgebaut,
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nicht in den Vereinigten Staaten gekauft, es war das Werk
eines Mannes, der nie ein Inſtrument geſehen, der niemand
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aus der Schrift des Sigaud de la Fond und aus Franklins
Denkwürdigkeiten kannte. Carlos del Pozo — ſo heißt der
achtungswürdige, ſinnreiche Mann — hatte zuerſt aus großen
Glasgefäßen, an denen er die Hälſe abſchnitt, Cylinder-
maſchinen gebaut. Erſt ſeit einigen Jahren hatte er ſich aus
Philadelphia zwei Glasplatten verſchafft, um eine Scheiben-
maſchine bauen und ſomit bedeutendere elektriſche Wirkungen
hervorbringen zu können. Man kann ſich vorſtellen, mit
welchen Schwierigkeiten Pozo zu kämpfen hatte, ſeit die erſten
Schriften über Elektrizität ihm in die Hände gefallen waren,
und er den kühnen Entſchluß faßte, alles, was er in den
Büchern beſchrieben fand, mit Kopf und Hand nachzumachen
und herzuſtellen. Bisher hatte er ſich bei ſeinen Experimen-
ten nur am Erſtaunen und der Bewunderung von ganz rohen
Menſchen ergötzt, die nie über die Wüſte der Llanos hinaus-
gekommen waren. Unſer Aufenthalt in Calabozo verſchaffte
ihm einen ganz neuen Genuß. Er mußte natürlich Wert auf
das Urteil zweier Reiſenden legen, die ſeine Apparate mit
den europäiſchen vergleichen konnten. Ich hatte verſchiedene
Elektrometer bei mir, mit Stroh, mit Korkkügelchen, mit
Goldplättchen, auch eine kleine Leidner Flaſche, die nach der
Methode von Ingenhouß durch Reibung geladen wurde und
mir zu phyſiologiſchen Verſuchen diente. Pozo war außer
ſich vor Freude, als er zum erſtenmal Inſtrumente ſah, die
er nicht ſelbſt verfertigt, und die den ſeinigen nachgemacht
ſchienen. Wir zeigten ihm auch die Wirkungen des Kontaktes
heterogener Metalle auf die Nerven des Froſches. Die Namen
Galvani und Volta waren in dieſen weiten Einöden noch
nicht gehört worden.
Was nach den elektriſchen Apparaten von der gewandten
Hand eines ſinnreichen Einwohners der Llanos uns in Cala-
bozo am meiſten beſchäftigte, das waren die Zitteraale, die
lebendige elektriſche Apparate ſind. Mit der Begeiſterung, die
zum Forſchen treibt, aber der richtigen Auffaſſung des Er-
forſchten hinderlich wird, hatte ich mich ſeit Jahren täglich
mit den Erſcheinungen der galvaniſchen Elektrizität beſchäftigt;
ich hatte, indem ich Metallſcheiben aufeinander legte und
Stücke Muskelfleiſch, oder andere feuchte Subſtanzen da-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/301>, abgerufen am 16.07.2024.
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