Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

veränderliche Temperatur, daß in einer Herde wilder Ochsen
manche mit den Beinen in der Luft zu schweben schienen,
während andere auf dem Boden standen. Der Luftstrich war,
je nach der Entfernung des Tieres, 3 bis 4 Minuten breit.
Wo Gebüsche der Mauritiapalme in langen Streifen hinliefen,
schwebten die Enden dieser grünen Streifen in der Luft, wie
die Vorgebirge, die zu Cumana lange Gegenstand meiner
Beobachtungen gewesen. Ein unterrichteter Mann versicherte
uns, er habe zwischen Calabozo und Uritucu das verkehrte
Bild eines Tieres gesehen, ohne direktes Bild. Niebuhr hat
in Arabien etwas Aehnliches beobachtet. Oefters meinten wir
am Horizont Grabhügel und Türme zu erblicken, die von
Zeit zu Zeit verschwanden, ohne daß wir die wahre Gestalt
der Gegenstände auszumitteln vermochten. Es waren wohl
Erdhaufen, kleine Erhöhungen, jenseits des gewöhnlichen Ge-
sichtskreises gelegen. Ich spreche nicht von den pflanzenlosen
Flächen, die sich als weite Seen mit wogender Oberfläche dar-
stellten. Wegen dieser Erscheinung, die am frühesten beobachtet
worden ist, heißt die Luftspiegelung im Sanskrit ausdrucks-
voll die Sehnsucht (der Durst) der Antilope. Die häu-
figen Anspielungen der indischen, persischen und arabischen
Dichter auf diese magischen Wirkungen der irdischen Strahlen-
brechung sprechen uns ungemein an. Die Griechen und Römer
waren fast gar nicht bekannt damit. Stolz begnügt mit dem
Reichtum ihres Bodens und der Milde ihres Klimas hatten
sie wenig Sinn für eine solche Poesie der Wüste. Die Ge-
burtsstätte derselben ist Asien; den Dichtern des Orientes wurde
sie durch die natürliche Beschaffenheit ihrer Länder an die
Hand gegeben; der Anblick der weiten Einöden, die sich gleich
Meeresarmen und Buchten zwischen Länder eindrängen, welche
die Natur mit überschwenglicher Fruchtbarkeit geschmückt, wurde
für sie zu einer Quelle der Begeisterung.

Mit Sonnenaufgang ward die Ebene belebter. Das Vieh,
das sich bei Nacht längs der Teiche oder unter Murichi- und
Rhopalabüschen gelagert hatte, sammelte sich zu Herden, und
die Einöde bevölkerte sich mit Pferden, Maultieren und Rin-
dern, die hier nicht gerade als wilde, wohl aber als freie
Tiere leben, ohne festen Wohnplatz, der Pflege und des
Schutzes der Menschen leicht entbehrend. In diesen heißen
Landstrichen sind die Stiere, obgleich von spanischer Rasse wie
die auf den kalten Plateaus von Quito, von sanfterem Tem-
perament. Der Reisende läuft nie Gefahr, angefallen und

veränderliche Temperatur, daß in einer Herde wilder Ochſen
manche mit den Beinen in der Luft zu ſchweben ſchienen,
während andere auf dem Boden ſtanden. Der Luftſtrich war,
je nach der Entfernung des Tieres, 3 bis 4 Minuten breit.
Wo Gebüſche der Mauritiapalme in langen Streifen hinliefen,
ſchwebten die Enden dieſer grünen Streifen in der Luft, wie
die Vorgebirge, die zu Cumana lange Gegenſtand meiner
Beobachtungen geweſen. Ein unterrichteter Mann verſicherte
uns, er habe zwiſchen Calabozo und Uritucu das verkehrte
Bild eines Tieres geſehen, ohne direktes Bild. Niebuhr hat
in Arabien etwas Aehnliches beobachtet. Oefters meinten wir
am Horizont Grabhügel und Türme zu erblicken, die von
Zeit zu Zeit verſchwanden, ohne daß wir die wahre Geſtalt
der Gegenſtände auszumitteln vermochten. Es waren wohl
Erdhaufen, kleine Erhöhungen, jenſeits des gewöhnlichen Ge-
ſichtskreiſes gelegen. Ich ſpreche nicht von den pflanzenloſen
Flächen, die ſich als weite Seen mit wogender Oberfläche dar-
ſtellten. Wegen dieſer Erſcheinung, die am früheſten beobachtet
worden iſt, heißt die Luftſpiegelung im Sanskrit ausdrucks-
voll die Sehnſucht (der Durſt) der Antilope. Die häu-
figen Anſpielungen der indiſchen, perſiſchen und arabiſchen
Dichter auf dieſe magiſchen Wirkungen der irdiſchen Strahlen-
brechung ſprechen uns ungemein an. Die Griechen und Römer
waren faſt gar nicht bekannt damit. Stolz begnügt mit dem
Reichtum ihres Bodens und der Milde ihres Klimas hatten
ſie wenig Sinn für eine ſolche Poeſie der Wüſte. Die Ge-
burtsſtätte derſelben iſt Aſien; den Dichtern des Orientes wurde
ſie durch die natürliche Beſchaffenheit ihrer Länder an die
Hand gegeben; der Anblick der weiten Einöden, die ſich gleich
Meeresarmen und Buchten zwiſchen Länder eindrängen, welche
die Natur mit überſchwenglicher Fruchtbarkeit geſchmückt, wurde
für ſie zu einer Quelle der Begeiſterung.

Mit Sonnenaufgang ward die Ebene belebter. Das Vieh,
das ſich bei Nacht längs der Teiche oder unter Murichi- und
Rhopalabüſchen gelagert hatte, ſammelte ſich zu Herden, und
die Einöde bevölkerte ſich mit Pferden, Maultieren und Rin-
dern, die hier nicht gerade als wilde, wohl aber als freie
Tiere leben, ohne feſten Wohnplatz, der Pflege und des
Schutzes der Menſchen leicht entbehrend. In dieſen heißen
Landſtrichen ſind die Stiere, obgleich von ſpaniſcher Raſſe wie
die auf den kalten Plateaus von Quito, von ſanfterem Tem-
perament. Der Reiſende läuft nie Gefahr, angefallen und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0293" n="285"/>
veränderliche Temperatur, daß in einer Herde wilder Och&#x017F;en<lb/>
manche mit den Beinen in der Luft zu &#x017F;chweben &#x017F;chienen,<lb/>
während andere auf dem Boden &#x017F;tanden. Der Luft&#x017F;trich war,<lb/>
je nach der Entfernung des Tieres, 3 bis 4 Minuten breit.<lb/>
Wo Gebü&#x017F;che der Mauritiapalme in langen Streifen hinliefen,<lb/>
&#x017F;chwebten die Enden die&#x017F;er grünen Streifen in der Luft, wie<lb/>
die Vorgebirge, die zu Cumana lange Gegen&#x017F;tand meiner<lb/>
Beobachtungen gewe&#x017F;en. Ein unterrichteter Mann ver&#x017F;icherte<lb/>
uns, er habe zwi&#x017F;chen Calabozo und Uritucu das verkehrte<lb/>
Bild eines Tieres ge&#x017F;ehen, ohne direktes Bild. Niebuhr hat<lb/>
in Arabien etwas Aehnliches beobachtet. Oefters meinten wir<lb/>
am Horizont Grabhügel und Türme zu erblicken, die von<lb/>
Zeit zu Zeit ver&#x017F;chwanden, ohne daß wir die wahre Ge&#x017F;talt<lb/>
der Gegen&#x017F;tände auszumitteln vermochten. Es waren wohl<lb/>
Erdhaufen, kleine Erhöhungen, jen&#x017F;eits des gewöhnlichen Ge-<lb/>
&#x017F;ichtskrei&#x017F;es gelegen. Ich &#x017F;preche nicht von den pflanzenlo&#x017F;en<lb/>
Flächen, die &#x017F;ich als weite Seen mit wogender Oberfläche dar-<lb/>
&#x017F;tellten. Wegen die&#x017F;er Er&#x017F;cheinung, die am frühe&#x017F;ten beobachtet<lb/>
worden i&#x017F;t, heißt die Luft&#x017F;piegelung im Sanskrit ausdrucks-<lb/>
voll die <hi rendition="#g">Sehn&#x017F;ucht</hi> (der Dur&#x017F;t) <hi rendition="#g">der Antilope</hi>. Die häu-<lb/>
figen An&#x017F;pielungen der indi&#x017F;chen, per&#x017F;i&#x017F;chen und arabi&#x017F;chen<lb/>
Dichter auf die&#x017F;e magi&#x017F;chen Wirkungen der irdi&#x017F;chen Strahlen-<lb/>
brechung &#x017F;prechen uns ungemein an. Die Griechen und Römer<lb/>
waren fa&#x017F;t gar nicht bekannt damit. Stolz begnügt mit dem<lb/>
Reichtum ihres Bodens und der Milde ihres Klimas hatten<lb/>
&#x017F;ie wenig Sinn für eine &#x017F;olche Poe&#x017F;ie der Wü&#x017F;te. Die Ge-<lb/>
burts&#x017F;tätte der&#x017F;elben i&#x017F;t A&#x017F;ien; den Dichtern des Orientes wurde<lb/>
&#x017F;ie durch die natürliche Be&#x017F;chaffenheit ihrer Länder an die<lb/>
Hand gegeben; der Anblick der weiten Einöden, die &#x017F;ich gleich<lb/>
Meeresarmen und Buchten zwi&#x017F;chen Länder eindrängen, welche<lb/>
die Natur mit über&#x017F;chwenglicher Fruchtbarkeit ge&#x017F;chmückt, wurde<lb/>
für &#x017F;ie zu einer Quelle der Begei&#x017F;terung.</p><lb/>
          <p>Mit Sonnenaufgang ward die Ebene belebter. Das Vieh,<lb/>
das &#x017F;ich bei Nacht längs der Teiche oder unter Murichi- und<lb/>
Rhopalabü&#x017F;chen gelagert hatte, &#x017F;ammelte &#x017F;ich zu Herden, und<lb/>
die Einöde bevölkerte &#x017F;ich mit Pferden, Maultieren und Rin-<lb/>
dern, die hier nicht gerade als wilde, wohl aber als freie<lb/>
Tiere leben, ohne fe&#x017F;ten Wohnplatz, der Pflege und des<lb/>
Schutzes der Men&#x017F;chen leicht entbehrend. In die&#x017F;en heißen<lb/>
Land&#x017F;trichen &#x017F;ind die Stiere, obgleich von &#x017F;pani&#x017F;cher Ra&#x017F;&#x017F;e wie<lb/>
die auf den kalten Plateaus von Quito, von &#x017F;anfterem Tem-<lb/>
perament. Der Rei&#x017F;ende läuft nie Gefahr, angefallen und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[285/0293] veränderliche Temperatur, daß in einer Herde wilder Ochſen manche mit den Beinen in der Luft zu ſchweben ſchienen, während andere auf dem Boden ſtanden. Der Luftſtrich war, je nach der Entfernung des Tieres, 3 bis 4 Minuten breit. Wo Gebüſche der Mauritiapalme in langen Streifen hinliefen, ſchwebten die Enden dieſer grünen Streifen in der Luft, wie die Vorgebirge, die zu Cumana lange Gegenſtand meiner Beobachtungen geweſen. Ein unterrichteter Mann verſicherte uns, er habe zwiſchen Calabozo und Uritucu das verkehrte Bild eines Tieres geſehen, ohne direktes Bild. Niebuhr hat in Arabien etwas Aehnliches beobachtet. Oefters meinten wir am Horizont Grabhügel und Türme zu erblicken, die von Zeit zu Zeit verſchwanden, ohne daß wir die wahre Geſtalt der Gegenſtände auszumitteln vermochten. Es waren wohl Erdhaufen, kleine Erhöhungen, jenſeits des gewöhnlichen Ge- ſichtskreiſes gelegen. Ich ſpreche nicht von den pflanzenloſen Flächen, die ſich als weite Seen mit wogender Oberfläche dar- ſtellten. Wegen dieſer Erſcheinung, die am früheſten beobachtet worden iſt, heißt die Luftſpiegelung im Sanskrit ausdrucks- voll die Sehnſucht (der Durſt) der Antilope. Die häu- figen Anſpielungen der indiſchen, perſiſchen und arabiſchen Dichter auf dieſe magiſchen Wirkungen der irdiſchen Strahlen- brechung ſprechen uns ungemein an. Die Griechen und Römer waren faſt gar nicht bekannt damit. Stolz begnügt mit dem Reichtum ihres Bodens und der Milde ihres Klimas hatten ſie wenig Sinn für eine ſolche Poeſie der Wüſte. Die Ge- burtsſtätte derſelben iſt Aſien; den Dichtern des Orientes wurde ſie durch die natürliche Beſchaffenheit ihrer Länder an die Hand gegeben; der Anblick der weiten Einöden, die ſich gleich Meeresarmen und Buchten zwiſchen Länder eindrängen, welche die Natur mit überſchwenglicher Fruchtbarkeit geſchmückt, wurde für ſie zu einer Quelle der Begeiſterung. Mit Sonnenaufgang ward die Ebene belebter. Das Vieh, das ſich bei Nacht längs der Teiche oder unter Murichi- und Rhopalabüſchen gelagert hatte, ſammelte ſich zu Herden, und die Einöde bevölkerte ſich mit Pferden, Maultieren und Rin- dern, die hier nicht gerade als wilde, wohl aber als freie Tiere leben, ohne feſten Wohnplatz, der Pflege und des Schutzes der Menſchen leicht entbehrend. In dieſen heißen Landſtrichen ſind die Stiere, obgleich von ſpaniſcher Raſſe wie die auf den kalten Plateaus von Quito, von ſanfterem Tem- perament. Der Reiſende läuft nie Gefahr, angefallen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/293
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/293>, abgerufen am 27.04.2024.