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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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die Wasser des oberen Sees, des auf den Ebenen des Ama-
zonenstromes, in das tiefere Becken, in die Llanos von Caracas,
durchgebrochen wären und dabei die Kordillere der Parime
von der der Anden getrennt hätten. Dieser Kanal ist eine
Art Land-Meerenge (detroit terrestre). Der durchaus ebene
Boden zwischen dem Guaviare, dem Meta und Apure zeigt
keine Spur von gewaltsamem Einbruch der Gewässer; aber am
Rande der Kordillere der Parime, zwischen dem 4. und 7. Grad
der Breite, hat sich der Orinoko, der von seiner Quelle bis
zur Einmündung des Guaviare westwärts fließt, auf seinem
Laufe von Süd nach Nord durch das Gestein einen Weg ge-
brochen. Alle großen Katarakte liegen, wie wir bald sehen
werden, auf dieser Strecke. Aber mit der Einmündung des
Apure, dort, wo im so niedrig gelegenen Lande der Abhang
gegen Nord mit dem Gegenhang nach Südost zusammentrifft,
das heißt mit der Böschung der Ebenen, die unmerklich gegen
die Gebirge von Caracas ansteigen, macht der Fluß wieder
eine Biegung und strömt sofort ostwärts. Ich glaubte den
Leser schon hier auf diese sonderbaren Windungen des Ori-
noko aufmerksam machen zu müssen, weil er mit seinem
Laufe, als zwei Becken zumal angehörend, selbst auf den
mangelhaftesten Karten gewissermaßen die Richtung des Teiles
der Ebenen bezeichnet, der zwischen die Anden von Neu-
granada und den westlichen Saum der Gebirge der Parime
eingeschoben ist.

Die Llanos oder Steppen am unteren Orinoko und am
Meta führen, gleich den afrikanischen Wüsten, in ihren ver-
schiedenen Strichen verschiedene Namen. Von den Bocas
del Dragon an folgen von Ost nach West aufeinander: die
Llanos von Cumana, von Barcelona und von Caracas oder
Venezuela. Wo die Steppen vom 8. Breitengrade an, zwischen
dem 70. und 73. Grad der Länge, sich nach Süd und Süd-
Süd-West wenden, kommen von Nord nach Süd die Llanos
von Varinas, Casanare, Meta, Guaviare, Caguan und Ca-
queta. In den Ebenen von Varinas kommen einige nicht
sehr bedeutende Denkmäler vor, die auf ein nicht mehr
vorhandenes Volk deuten. Man findet zwischen Mijagual
und dem Canno de la Hacha wahre Grabhügel, dortzulande
Serrillos de los Indios genannt. Es sind kegelförmige Er-
höhungen, aus Erde von Menschenhand aufgeführt, und sie
bergen ohne Zweifel menschliche Gebeine, wie die Grabhügel
in den asiatischen Steppen. Ferner beim Hato de la Calzada,

die Waſſer des oberen Sees, des auf den Ebenen des Ama-
zonenſtromes, in das tiefere Becken, in die Llanos von Caracas,
durchgebrochen wären und dabei die Kordillere der Parime
von der der Anden getrennt hätten. Dieſer Kanal iſt eine
Art Land-Meerenge (détroit terrestre). Der durchaus ebene
Boden zwiſchen dem Guaviare, dem Meta und Apure zeigt
keine Spur von gewaltſamem Einbruch der Gewäſſer; aber am
Rande der Kordillere der Parime, zwiſchen dem 4. und 7. Grad
der Breite, hat ſich der Orinoko, der von ſeiner Quelle bis
zur Einmündung des Guaviare weſtwärts fließt, auf ſeinem
Laufe von Süd nach Nord durch das Geſtein einen Weg ge-
brochen. Alle großen Katarakte liegen, wie wir bald ſehen
werden, auf dieſer Strecke. Aber mit der Einmündung des
Apure, dort, wo im ſo niedrig gelegenen Lande der Abhang
gegen Nord mit dem Gegenhang nach Südoſt zuſammentrifft,
das heißt mit der Böſchung der Ebenen, die unmerklich gegen
die Gebirge von Caracas anſteigen, macht der Fluß wieder
eine Biegung und ſtrömt ſofort oſtwärts. Ich glaubte den
Leſer ſchon hier auf dieſe ſonderbaren Windungen des Ori-
noko aufmerkſam machen zu müſſen, weil er mit ſeinem
Laufe, als zwei Becken zumal angehörend, ſelbſt auf den
mangelhafteſten Karten gewiſſermaßen die Richtung des Teiles
der Ebenen bezeichnet, der zwiſchen die Anden von Neu-
granada und den weſtlichen Saum der Gebirge der Parime
eingeſchoben iſt.

Die Llanos oder Steppen am unteren Orinoko und am
Meta führen, gleich den afrikaniſchen Wüſten, in ihren ver-
ſchiedenen Strichen verſchiedene Namen. Von den Bocas
del Dragon an folgen von Oſt nach Weſt aufeinander: die
Llanos von Cumana, von Barcelona und von Caracas oder
Venezuela. Wo die Steppen vom 8. Breitengrade an, zwiſchen
dem 70. und 73. Grad der Länge, ſich nach Süd und Süd-
Süd-Weſt wenden, kommen von Nord nach Süd die Llanos
von Varinas, Caſanare, Meta, Guaviare, Caguan und Ca-
queta. In den Ebenen von Varinas kommen einige nicht
ſehr bedeutende Denkmäler vor, die auf ein nicht mehr
vorhandenes Volk deuten. Man findet zwiſchen Mijagual
und dem Caño de la Hacha wahre Grabhügel, dortzulande
Serrillos de los Indios genannt. Es ſind kegelförmige Er-
höhungen, aus Erde von Menſchenhand aufgeführt, und ſie
bergen ohne Zweifel menſchliche Gebeine, wie die Grabhügel
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[277/0285] die Waſſer des oberen Sees, des auf den Ebenen des Ama- zonenſtromes, in das tiefere Becken, in die Llanos von Caracas, durchgebrochen wären und dabei die Kordillere der Parime von der der Anden getrennt hätten. Dieſer Kanal iſt eine Art Land-Meerenge (détroit terrestre). Der durchaus ebene Boden zwiſchen dem Guaviare, dem Meta und Apure zeigt keine Spur von gewaltſamem Einbruch der Gewäſſer; aber am Rande der Kordillere der Parime, zwiſchen dem 4. und 7. Grad der Breite, hat ſich der Orinoko, der von ſeiner Quelle bis zur Einmündung des Guaviare weſtwärts fließt, auf ſeinem Laufe von Süd nach Nord durch das Geſtein einen Weg ge- brochen. Alle großen Katarakte liegen, wie wir bald ſehen werden, auf dieſer Strecke. Aber mit der Einmündung des Apure, dort, wo im ſo niedrig gelegenen Lande der Abhang gegen Nord mit dem Gegenhang nach Südoſt zuſammentrifft, das heißt mit der Böſchung der Ebenen, die unmerklich gegen die Gebirge von Caracas anſteigen, macht der Fluß wieder eine Biegung und ſtrömt ſofort oſtwärts. Ich glaubte den Leſer ſchon hier auf dieſe ſonderbaren Windungen des Ori- noko aufmerkſam machen zu müſſen, weil er mit ſeinem Laufe, als zwei Becken zumal angehörend, ſelbſt auf den mangelhafteſten Karten gewiſſermaßen die Richtung des Teiles der Ebenen bezeichnet, der zwiſchen die Anden von Neu- granada und den weſtlichen Saum der Gebirge der Parime eingeſchoben iſt. Die Llanos oder Steppen am unteren Orinoko und am Meta führen, gleich den afrikaniſchen Wüſten, in ihren ver- ſchiedenen Strichen verſchiedene Namen. Von den Bocas del Dragon an folgen von Oſt nach Weſt aufeinander: die Llanos von Cumana, von Barcelona und von Caracas oder Venezuela. Wo die Steppen vom 8. Breitengrade an, zwiſchen dem 70. und 73. Grad der Länge, ſich nach Süd und Süd- Süd-Weſt wenden, kommen von Nord nach Süd die Llanos von Varinas, Caſanare, Meta, Guaviare, Caguan und Ca- queta. In den Ebenen von Varinas kommen einige nicht ſehr bedeutende Denkmäler vor, die auf ein nicht mehr vorhandenes Volk deuten. Man findet zwiſchen Mijagual und dem Caño de la Hacha wahre Grabhügel, dortzulande Serrillos de los Indios genannt. Es ſind kegelförmige Er- höhungen, aus Erde von Menſchenhand aufgeführt, und ſie bergen ohne Zweifel menſchliche Gebeine, wie die Grabhügel in den aſiatiſchen Steppen. Ferner beim Hato de la Calzada,

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/285>, abgerufen am 27.04.2024.