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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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anderen, keinen Trachyt oder Trappporphyr hat. Keiner ihrer
Gipfel erreicht die Grenze des ewigen Schnees, und die mittlere
Höhe der Kordillere der Parime und der Küstenkordillere von
Caracas beträgt nicht ganz 1170 m, wobei übrigens manche
Gipfel sich doch 2730 m über das Meer erheben. Zwischen
den drei Querketten liegen Ebenen, die sämtlich gegen West
geschlossen, gegen Ost und Südost offen sind. Bedenkt man
ihre so unbedeutende Höhe über dem Meere, so fühlt man
sich versucht, sie als Golfe zu betrachten, die in der Richtung
des Rotationsstromes fortstreichen. Wenn infolge einer un-
gewöhnlichen Anziehung die Gewässer des Atlantischen Meeres
an der Mündung des Orinoko um 100 m, an der Mündung
des Amazonenstromes um 390 m stiegen, so würde die Flut
mehr als die Hälfte von Südamerika bedecken. Der Ostabhang
oder der Fuß der Anden, der jetzt 2700 km von den Küsten
Brasiliens abliegt, wäre ein von der See bespültes Ufer.
Diese Betrachtung gründet sich auf eine barometrische Messung
in der Provinz Jaen de Bracamoros, wo der Amazonenstrom
aus den Kordilleren herauskommt. Ich habe gefunden, daß
dort der ungeheure Strom bei mittlerem Wasserstande nur
378 m über dem gegenwärtigen Spiegel des Atlantischen
Meeres liegt. Und diese in der Mitte gelegenen waldbedeckten
Ebenen liegen noch fünfmal höher als die grasbewachsenen
Pampas von Buenos Ayres und die Llanos von Caracas
und am Meta.

Diese Llanos, welche das Becken des unteren Orinoko
bilden und die wir zweimal im selben Jahre, in den Monaten
März und Juli, durchzogen haben, hängen zusammen mit
dem Becken des Amazonenstromes und des Rio Negro, das
einerseits durch die Kordillere von Chiquitos, andererseits
durch die Gebirge der Parime begrenzt ist. Dieser Zusammen-
hang vermittelt sich durch die Lücke zwischen den letzteren und
den Anden von Neugranada. Der Boden in seinem Anblick
erinnert hier, nur daß der Maßstab ein weit größerer ist,
an die lombardischen Ebenen, die sich auch nur 100 bis 120 m
über das Meer erheben und einmal von der Brenta nach
Turin von Ost nach West, dann von Turin nach Coni von
Nord nach Süd streichen. Wenn andere geologische That-
sachen uns berechtigten, die drei großen Ebenen am unteren
Orinoko, am Amazonenstrom und am Rio de la Plata als
alte Seebecken zu betrachten, so ließen sich die Ebenen am
Rio Vichada und am Meta als ein Kanal ansehen, durch den

anderen, keinen Trachyt oder Trappporphyr hat. Keiner ihrer
Gipfel erreicht die Grenze des ewigen Schnees, und die mittlere
Höhe der Kordillere der Parime und der Küſtenkordillere von
Caracas beträgt nicht ganz 1170 m, wobei übrigens manche
Gipfel ſich doch 2730 m über das Meer erheben. Zwiſchen
den drei Querketten liegen Ebenen, die ſämtlich gegen Weſt
geſchloſſen, gegen Oſt und Südoſt offen ſind. Bedenkt man
ihre ſo unbedeutende Höhe über dem Meere, ſo fühlt man
ſich verſucht, ſie als Golfe zu betrachten, die in der Richtung
des Rotationsſtromes fortſtreichen. Wenn infolge einer un-
gewöhnlichen Anziehung die Gewäſſer des Atlantiſchen Meeres
an der Mündung des Orinoko um 100 m, an der Mündung
des Amazonenſtromes um 390 m ſtiegen, ſo würde die Flut
mehr als die Hälfte von Südamerika bedecken. Der Oſtabhang
oder der Fuß der Anden, der jetzt 2700 km von den Küſten
Braſiliens abliegt, wäre ein von der See beſpültes Ufer.
Dieſe Betrachtung gründet ſich auf eine barometriſche Meſſung
in der Provinz Jaen de Bracamoros, wo der Amazonenſtrom
aus den Kordilleren herauskommt. Ich habe gefunden, daß
dort der ungeheure Strom bei mittlerem Waſſerſtande nur
378 m über dem gegenwärtigen Spiegel des Atlantiſchen
Meeres liegt. Und dieſe in der Mitte gelegenen waldbedeckten
Ebenen liegen noch fünfmal höher als die grasbewachſenen
Pampas von Buenos Ayres und die Llanos von Caracas
und am Meta.

Dieſe Llanos, welche das Becken des unteren Orinoko
bilden und die wir zweimal im ſelben Jahre, in den Monaten
März und Juli, durchzogen haben, hängen zuſammen mit
dem Becken des Amazonenſtromes und des Rio Negro, das
einerſeits durch die Kordillere von Chiquitos, andererſeits
durch die Gebirge der Parime begrenzt iſt. Dieſer Zuſammen-
hang vermittelt ſich durch die Lücke zwiſchen den letzteren und
den Anden von Neugranada. Der Boden in ſeinem Anblick
erinnert hier, nur daß der Maßſtab ein weit größerer iſt,
an die lombardiſchen Ebenen, die ſich auch nur 100 bis 120 m
über das Meer erheben und einmal von der Brenta nach
Turin von Oſt nach Weſt, dann von Turin nach Coni von
Nord nach Süd ſtreichen. Wenn andere geologiſche That-
ſachen uns berechtigten, die drei großen Ebenen am unteren
Orinoko, am Amazonenſtrom und am Rio de la Plata als
alte Seebecken zu betrachten, ſo ließen ſich die Ebenen am
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[276/0284] anderen, keinen Trachyt oder Trappporphyr hat. Keiner ihrer Gipfel erreicht die Grenze des ewigen Schnees, und die mittlere Höhe der Kordillere der Parime und der Küſtenkordillere von Caracas beträgt nicht ganz 1170 m, wobei übrigens manche Gipfel ſich doch 2730 m über das Meer erheben. Zwiſchen den drei Querketten liegen Ebenen, die ſämtlich gegen Weſt geſchloſſen, gegen Oſt und Südoſt offen ſind. Bedenkt man ihre ſo unbedeutende Höhe über dem Meere, ſo fühlt man ſich verſucht, ſie als Golfe zu betrachten, die in der Richtung des Rotationsſtromes fortſtreichen. Wenn infolge einer un- gewöhnlichen Anziehung die Gewäſſer des Atlantiſchen Meeres an der Mündung des Orinoko um 100 m, an der Mündung des Amazonenſtromes um 390 m ſtiegen, ſo würde die Flut mehr als die Hälfte von Südamerika bedecken. Der Oſtabhang oder der Fuß der Anden, der jetzt 2700 km von den Küſten Braſiliens abliegt, wäre ein von der See beſpültes Ufer. Dieſe Betrachtung gründet ſich auf eine barometriſche Meſſung in der Provinz Jaen de Bracamoros, wo der Amazonenſtrom aus den Kordilleren herauskommt. Ich habe gefunden, daß dort der ungeheure Strom bei mittlerem Waſſerſtande nur 378 m über dem gegenwärtigen Spiegel des Atlantiſchen Meeres liegt. Und dieſe in der Mitte gelegenen waldbedeckten Ebenen liegen noch fünfmal höher als die grasbewachſenen Pampas von Buenos Ayres und die Llanos von Caracas und am Meta. Dieſe Llanos, welche das Becken des unteren Orinoko bilden und die wir zweimal im ſelben Jahre, in den Monaten März und Juli, durchzogen haben, hängen zuſammen mit dem Becken des Amazonenſtromes und des Rio Negro, das einerſeits durch die Kordillere von Chiquitos, andererſeits durch die Gebirge der Parime begrenzt iſt. Dieſer Zuſammen- hang vermittelt ſich durch die Lücke zwiſchen den letzteren und den Anden von Neugranada. Der Boden in ſeinem Anblick erinnert hier, nur daß der Maßſtab ein weit größerer iſt, an die lombardiſchen Ebenen, die ſich auch nur 100 bis 120 m über das Meer erheben und einmal von der Brenta nach Turin von Oſt nach Weſt, dann von Turin nach Coni von Nord nach Süd ſtreichen. Wenn andere geologiſche That- ſachen uns berechtigten, die drei großen Ebenen am unteren Orinoko, am Amazonenſtrom und am Rio de la Plata als alte Seebecken zu betrachten, ſo ließen ſich die Ebenen am Rio Vichada und am Meta als ein Kanal anſehen, durch den

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/284>, abgerufen am 27.04.2024.