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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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vom See Tacarigua. Wir wohnten bei einem alten Sergeanten,
aus Murcia gebürtig, einem höchst originellen Manne. Um
uns zu beweisen, daß er bei den Jesuiten erzogen worden,
sagte er uns die Geschichte von der Erschaffung der Welt
lateinisch her. Er nannte die Namen August, Tiber und
Diokletian. Bei der angenehmen Nachtkühle in einem Ba-
nanengehege beschäftigte er sich lebhaft mit allem, was am
Hofe der römischen Kaiser vorgefallen war. Er bat uns
dringend um Mittel gegen die Gicht, die ihn grausam plagte.
"Ich weiß wohl," sagte er, "daß ein Zambo aus Valencia,
ein gewaltiger ,Curioso', mich heilen kann; aber der Zambo
macht auf eine Behandlung Anspruch, die einem Menschen
von seiner Farbe nicht gebührt, und so bleibe ich lieber, wie
ich bin."

Von Guigue an führt der Weg aufwärts zur Bergkette,
welche im Süden des Sees gegen Guacimo und La Palma
hinstreicht. Von einem Plateau herab, das 624 m hoch liegt,
sahen wir zum letztenmal die Thäler von Aragua. Der Gneis
kam zu Tage; er zeigte dieselbe Streichung der Schichten,
denselben Fall nach Nordwest. Quarzadern im Gneis sind
goldhaltig; eine benachbarte Schlucht heißt daher Quebrada
del Oro. Seltsamerweise begegnet man auf jedem Schritte dem
vornehmen Namen "Goldschlucht" in einem Lande, wo ein
einziges Kupferbergwerk im Betriebe ist. Wir legten 22,5 km
bis zum Dorfe Maria Magdalena zurück, und weitere 9 zur
Villa de Cura. Es war Sonntag. Im Dorfe Maria Mag-
dalena waren die Einwohner vor der Kirche versammelt. Man
wollte unsere Maultiertreiber zwingen, anzuhalten und die
Messe zu hören. Wir ergaben uns darein; aber nach langem
Wortwechsel setzten die Maultiertreiber ihren Weg fort. Ich
bemerke hier, daß dies das einzige Mal war, wo wir einen
Streit solcher Art bekamen. Man macht sich in Europa ganz
falsche Begriffe von der Unduldsamkeit und selbst vom Glaubens-
eifer der spanischen Kolonisten.

San Luis de Cura, oder, wie es gemeiniglich heißt, Villa
de Cura, liegt in einem sehr dürren Thale, das von Nordwest
nach Südost streicht und nach meinen barometrischen Beob-
achtungen eine Meereshöhe von 518 m hat. Außer einigen
Fruchtbäumen hat das Land fast gar keinen Pflanzenwuchs.
Das Plateau ist desto dürrer, da mehrere Gewässer -- ein
ziemlich seltener Fall im Urgebirge -- sich auf Spalten im
Boden verlieren. Der Rio de las Minas, nordwärts von

vom See Tacarigua. Wir wohnten bei einem alten Sergeanten,
aus Murcia gebürtig, einem höchſt originellen Manne. Um
uns zu beweiſen, daß er bei den Jeſuiten erzogen worden,
ſagte er uns die Geſchichte von der Erſchaffung der Welt
lateiniſch her. Er nannte die Namen Auguſt, Tiber und
Diokletian. Bei der angenehmen Nachtkühle in einem Ba-
nanengehege beſchäftigte er ſich lebhaft mit allem, was am
Hofe der römiſchen Kaiſer vorgefallen war. Er bat uns
dringend um Mittel gegen die Gicht, die ihn grauſam plagte.
„Ich weiß wohl,“ ſagte er, „daß ein Zambo aus Valencia,
ein gewaltiger ‚Curioſo‘, mich heilen kann; aber der Zambo
macht auf eine Behandlung Anſpruch, die einem Menſchen
von ſeiner Farbe nicht gebührt, und ſo bleibe ich lieber, wie
ich bin.“

Von Guigue an führt der Weg aufwärts zur Bergkette,
welche im Süden des Sees gegen Guacimo und La Palma
hinſtreicht. Von einem Plateau herab, das 624 m hoch liegt,
ſahen wir zum letztenmal die Thäler von Aragua. Der Gneis
kam zu Tage; er zeigte dieſelbe Streichung der Schichten,
denſelben Fall nach Nordweſt. Quarzadern im Gneis ſind
goldhaltig; eine benachbarte Schlucht heißt daher Quebrada
del Oro. Seltſamerweiſe begegnet man auf jedem Schritte dem
vornehmen Namen „Goldſchlucht“ in einem Lande, wo ein
einziges Kupferbergwerk im Betriebe iſt. Wir legten 22,5 km
bis zum Dorfe Maria Magdalena zurück, und weitere 9 zur
Villa de Cura. Es war Sonntag. Im Dorfe Maria Mag-
dalena waren die Einwohner vor der Kirche verſammelt. Man
wollte unſere Maultiertreiber zwingen, anzuhalten und die
Meſſe zu hören. Wir ergaben uns darein; aber nach langem
Wortwechſel ſetzten die Maultiertreiber ihren Weg fort. Ich
bemerke hier, daß dies das einzige Mal war, wo wir einen
Streit ſolcher Art bekamen. Man macht ſich in Europa ganz
falſche Begriffe von der Unduldſamkeit und ſelbſt vom Glaubens-
eifer der ſpaniſchen Koloniſten.

San Luis de Cura, oder, wie es gemeiniglich heißt, Villa
de Cura, liegt in einem ſehr dürren Thale, das von Nordweſt
nach Südoſt ſtreicht und nach meinen barometriſchen Beob-
achtungen eine Meereshöhe von 518 m hat. Außer einigen
Fruchtbäumen hat das Land faſt gar keinen Pflanzenwuchs.
Das Plateau iſt deſto dürrer, da mehrere Gewäſſer — ein
ziemlich ſeltener Fall im Urgebirge — ſich auf Spalten im
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[264/0272] vom See Tacarigua. Wir wohnten bei einem alten Sergeanten, aus Murcia gebürtig, einem höchſt originellen Manne. Um uns zu beweiſen, daß er bei den Jeſuiten erzogen worden, ſagte er uns die Geſchichte von der Erſchaffung der Welt lateiniſch her. Er nannte die Namen Auguſt, Tiber und Diokletian. Bei der angenehmen Nachtkühle in einem Ba- nanengehege beſchäftigte er ſich lebhaft mit allem, was am Hofe der römiſchen Kaiſer vorgefallen war. Er bat uns dringend um Mittel gegen die Gicht, die ihn grauſam plagte. „Ich weiß wohl,“ ſagte er, „daß ein Zambo aus Valencia, ein gewaltiger ‚Curioſo‘, mich heilen kann; aber der Zambo macht auf eine Behandlung Anſpruch, die einem Menſchen von ſeiner Farbe nicht gebührt, und ſo bleibe ich lieber, wie ich bin.“ Von Guigue an führt der Weg aufwärts zur Bergkette, welche im Süden des Sees gegen Guacimo und La Palma hinſtreicht. Von einem Plateau herab, das 624 m hoch liegt, ſahen wir zum letztenmal die Thäler von Aragua. Der Gneis kam zu Tage; er zeigte dieſelbe Streichung der Schichten, denſelben Fall nach Nordweſt. Quarzadern im Gneis ſind goldhaltig; eine benachbarte Schlucht heißt daher Quebrada del Oro. Seltſamerweiſe begegnet man auf jedem Schritte dem vornehmen Namen „Goldſchlucht“ in einem Lande, wo ein einziges Kupferbergwerk im Betriebe iſt. Wir legten 22,5 km bis zum Dorfe Maria Magdalena zurück, und weitere 9 zur Villa de Cura. Es war Sonntag. Im Dorfe Maria Mag- dalena waren die Einwohner vor der Kirche verſammelt. Man wollte unſere Maultiertreiber zwingen, anzuhalten und die Meſſe zu hören. Wir ergaben uns darein; aber nach langem Wortwechſel ſetzten die Maultiertreiber ihren Weg fort. Ich bemerke hier, daß dies das einzige Mal war, wo wir einen Streit ſolcher Art bekamen. Man macht ſich in Europa ganz falſche Begriffe von der Unduldſamkeit und ſelbſt vom Glaubens- eifer der ſpaniſchen Koloniſten. San Luis de Cura, oder, wie es gemeiniglich heißt, Villa de Cura, liegt in einem ſehr dürren Thale, das von Nordweſt nach Südoſt ſtreicht und nach meinen barometriſchen Beob- achtungen eine Meereshöhe von 518 m hat. Außer einigen Fruchtbäumen hat das Land faſt gar keinen Pflanzenwuchs. Das Plateau iſt deſto dürrer, da mehrere Gewäſſer — ein ziemlich ſeltener Fall im Urgebirge — ſich auf Spalten im Boden verlieren. Der Rio de las Minas, nordwärts von

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/272>, abgerufen am 24.11.2024.