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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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nachdachte, durch welche Ursachen die Fortpflanzung des Schalles
durch die Luft zur Nachtzeit befördert werden mag, schien es
mir nicht unwichtig, genau zu bestimmen, in welchem Abstande,
namentlich bei nasser, stürmischer Witterung, das Geheul eines
Trupps Araguaten zu vernehmen ist. Ich glaube gefunden
zu haben, daß man es noch in 1560 m Entfernung hört.
Die Affen mit ihren vier Händen können keine Streifzüge in
die Llanos machen, und mitten auf den weiten, mit Gras
bewachsenen Ebenen unterscheidet man leicht eine vereinzelte
Baumgruppe, die von Brüllaffen bewohnt ist und von welcher
der Schall herkommt. Wenn man nun auf diese Baumgruppe
zugeht oder sich davon entfernt, so mißt man das Maximum
des Abstandes, in dem das Geheul noch vernehmbar ist. Diese
Abstände schienen mir einigemal bei Nacht um ein Dritteil
größer, namentlich bei bedecktem Himmel und sehr warmem,
feuchtem Wetter.

Die Indianer versichern, wenn die Araguaten den Wald
mit ihrem Geheule erfüllen, so haben sie immer einen Vor-
sänger. Die Bemerkung ist nicht unrichtig. Man hört meistens,
lange fort, eine einzelne stärkere Stimme, worauf eine andere
von verschiedenem Tonfall sie ablöst. Denselben Nachahmungs-
trieb bemerken wir zuweilen auch bei uns bei den Fröschen
und fast bei allen Tieren, die in Gesellschaft leben und sich
hören lassen. Noch mehr, die Missionäre versichern, wenn bei
den Araguaten ein Weibchen im Begriffe sei zu werfen, so
unterbreche der Chor sein Geheul, bis das Junge zur Welt
gekommen sei. Ob etwas Wahres hieran ist, habe ich nicht
selbst ausmachen können, ganz grundlos scheint es aber aller-
dings nicht zu sein. Ich habe beobachtet, daß das Geheul
einige Minuten aufhört, so oft ein ungewöhnlicher Vorfall,
zum Beispiel das Aechzen eines verwundeten Araguate, die
Aufmerksamkeit des Trupps in Anspruch nimmt. Unsere
Führer versicherten uns allen Ernstes, ein bewährtes Heilmittel
gegen kurzen Atem sei, aus der knöchernen Trommel am
Zungenbeine des Araguate zu trinken. "Da dieses Tier eine
so außerordentlich starke Stimme hat, so muß dem Wasser,
das man in seinen Kehlkopf gießt, notwendig die Kraft zu-
kommen, Krankheiten der Lungen zu heilen." Dies ist Volks-
physik, die nicht selten an die der Alten erinnert.

Wir übernachteten im Dorfe Guigue, dessen Breite ich
durch Beobachtungen des Canopus gleich 10° 4' 11" fand.
Dieses Dorf auf trefflich angebautem Boden liegt nur 1950 m

nachdachte, durch welche Urſachen die Fortpflanzung des Schalles
durch die Luft zur Nachtzeit befördert werden mag, ſchien es
mir nicht unwichtig, genau zu beſtimmen, in welchem Abſtande,
namentlich bei naſſer, ſtürmiſcher Witterung, das Geheul eines
Trupps Araguaten zu vernehmen iſt. Ich glaube gefunden
zu haben, daß man es noch in 1560 m Entfernung hört.
Die Affen mit ihren vier Händen können keine Streifzüge in
die Llanos machen, und mitten auf den weiten, mit Gras
bewachſenen Ebenen unterſcheidet man leicht eine vereinzelte
Baumgruppe, die von Brüllaffen bewohnt iſt und von welcher
der Schall herkommt. Wenn man nun auf dieſe Baumgruppe
zugeht oder ſich davon entfernt, ſo mißt man das Maximum
des Abſtandes, in dem das Geheul noch vernehmbar iſt. Dieſe
Abſtände ſchienen mir einigemal bei Nacht um ein Dritteil
größer, namentlich bei bedecktem Himmel und ſehr warmem,
feuchtem Wetter.

Die Indianer verſichern, wenn die Araguaten den Wald
mit ihrem Geheule erfüllen, ſo haben ſie immer einen Vor-
ſänger. Die Bemerkung iſt nicht unrichtig. Man hört meiſtens,
lange fort, eine einzelne ſtärkere Stimme, worauf eine andere
von verſchiedenem Tonfall ſie ablöſt. Denſelben Nachahmungs-
trieb bemerken wir zuweilen auch bei uns bei den Fröſchen
und faſt bei allen Tieren, die in Geſellſchaft leben und ſich
hören laſſen. Noch mehr, die Miſſionäre verſichern, wenn bei
den Araguaten ein Weibchen im Begriffe ſei zu werfen, ſo
unterbreche der Chor ſein Geheul, bis das Junge zur Welt
gekommen ſei. Ob etwas Wahres hieran iſt, habe ich nicht
ſelbſt ausmachen können, ganz grundlos ſcheint es aber aller-
dings nicht zu ſein. Ich habe beobachtet, daß das Geheul
einige Minuten aufhört, ſo oft ein ungewöhnlicher Vorfall,
zum Beiſpiel das Aechzen eines verwundeten Araguate, die
Aufmerkſamkeit des Trupps in Anſpruch nimmt. Unſere
Führer verſicherten uns allen Ernſtes, ein bewährtes Heilmittel
gegen kurzen Atem ſei, aus der knöchernen Trommel am
Zungenbeine des Araguate zu trinken. „Da dieſes Tier eine
ſo außerordentlich ſtarke Stimme hat, ſo muß dem Waſſer,
das man in ſeinen Kehlkopf gießt, notwendig die Kraft zu-
kommen, Krankheiten der Lungen zu heilen.“ Dies iſt Volks-
phyſik, die nicht ſelten an die der Alten erinnert.

Wir übernachteten im Dorfe Guigue, deſſen Breite ich
durch Beobachtungen des Canopus gleich 10° 4′ 11″ fand.
Dieſes Dorf auf trefflich angebautem Boden liegt nur 1950 m

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[263/0271] nachdachte, durch welche Urſachen die Fortpflanzung des Schalles durch die Luft zur Nachtzeit befördert werden mag, ſchien es mir nicht unwichtig, genau zu beſtimmen, in welchem Abſtande, namentlich bei naſſer, ſtürmiſcher Witterung, das Geheul eines Trupps Araguaten zu vernehmen iſt. Ich glaube gefunden zu haben, daß man es noch in 1560 m Entfernung hört. Die Affen mit ihren vier Händen können keine Streifzüge in die Llanos machen, und mitten auf den weiten, mit Gras bewachſenen Ebenen unterſcheidet man leicht eine vereinzelte Baumgruppe, die von Brüllaffen bewohnt iſt und von welcher der Schall herkommt. Wenn man nun auf dieſe Baumgruppe zugeht oder ſich davon entfernt, ſo mißt man das Maximum des Abſtandes, in dem das Geheul noch vernehmbar iſt. Dieſe Abſtände ſchienen mir einigemal bei Nacht um ein Dritteil größer, namentlich bei bedecktem Himmel und ſehr warmem, feuchtem Wetter. Die Indianer verſichern, wenn die Araguaten den Wald mit ihrem Geheule erfüllen, ſo haben ſie immer einen Vor- ſänger. Die Bemerkung iſt nicht unrichtig. Man hört meiſtens, lange fort, eine einzelne ſtärkere Stimme, worauf eine andere von verſchiedenem Tonfall ſie ablöſt. Denſelben Nachahmungs- trieb bemerken wir zuweilen auch bei uns bei den Fröſchen und faſt bei allen Tieren, die in Geſellſchaft leben und ſich hören laſſen. Noch mehr, die Miſſionäre verſichern, wenn bei den Araguaten ein Weibchen im Begriffe ſei zu werfen, ſo unterbreche der Chor ſein Geheul, bis das Junge zur Welt gekommen ſei. Ob etwas Wahres hieran iſt, habe ich nicht ſelbſt ausmachen können, ganz grundlos ſcheint es aber aller- dings nicht zu ſein. Ich habe beobachtet, daß das Geheul einige Minuten aufhört, ſo oft ein ungewöhnlicher Vorfall, zum Beiſpiel das Aechzen eines verwundeten Araguate, die Aufmerkſamkeit des Trupps in Anſpruch nimmt. Unſere Führer verſicherten uns allen Ernſtes, ein bewährtes Heilmittel gegen kurzen Atem ſei, aus der knöchernen Trommel am Zungenbeine des Araguate zu trinken. „Da dieſes Tier eine ſo außerordentlich ſtarke Stimme hat, ſo muß dem Waſſer, das man in ſeinen Kehlkopf gießt, notwendig die Kraft zu- kommen, Krankheiten der Lungen zu heilen.“ Dies iſt Volks- phyſik, die nicht ſelten an die der Alten erinnert. Wir übernachteten im Dorfe Guigue, deſſen Breite ich durch Beobachtungen des Canopus gleich 10° 4′ 11″ fand. Dieſes Dorf auf trefflich angebautem Boden liegt nur 1950 m

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/271>, abgerufen am 27.04.2024.