Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.Sitteneinfalt leben, hätte Montezuma nimmermehr die Zwerge Die Sitte des frühzeitigen Heiratens ist, wie die Ordens- Die Chaymas haben beinahe keinen Bart am Kinn, wie 1 So übertrieben die Griechen bei ihren schönsten Statuen die
Stirnbildung, indem sie den Gesichtswinkel zu groß annahmen. Sitteneinfalt leben, hätte Montezuma nimmermehr die Zwerge Die Sitte des frühzeitigen Heiratens iſt, wie die Ordens- Die Chaymas haben beinahe keinen Bart am Kinn, wie 1 So übertrieben die Griechen bei ihren ſchönſten Statuen die
Stirnbildung, indem ſie den Geſichtswinkel zu groß annahmen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0026" n="18"/> Sitteneinfalt leben, hätte Montezuma nimmermehr die Zwerge<lb/> und Buckeligen aufgetrieben, die Bernal Diaz bei ſeiner<lb/> Mahlzeit erſcheinen ſah.</p><lb/> <p>Die Sitte des frühzeitigen Heiratens iſt, wie die Ordens-<lb/> geiſtlichen bezeugen, der Zunahme der Bevölkerung durchaus<lb/> nicht nachteilig. Dieſe frühe Mannbarkeit iſt Raſſencharakter<lb/> und keineswegs Folge des heißen Klimas; ſie kommt ja auch<lb/> auf der Nordweſtküſte von Amerika, bei den Eskimo vor, ſo-<lb/> wie in Aſien bei den Kamtſchadalen und Korjäken, wo häufig<lb/> zehnjährige Mädchen Mütter ſind. Man kann ſich nur wundern,<lb/> daß die Tragezeit, die Dauer der Schwangerſchaft ſich im<lb/> geſunden Zuſtande bei keiner Raſſe und in keinem Klima<lb/> verändert.</p><lb/> <p>Die Chaymas haben beinahe keinen Bart am Kinn, wie<lb/> die Tunguſen und andere Völker mongoliſcher Raſſe. Die<lb/> wenigen Haare, die ſproſſen, reißen ſie aus; aber im all-<lb/> gemeinen iſt es unrichtig, wenn man behauptet, ſie haben<lb/> nur deshalb keinen Bart, weil ſie denſelben ausraufen. Auch<lb/> ohne dieſen Brauch wären die Indianer größtenteils ziemlich<lb/> bartlos. Ich ſage größtenteils, denn es gibt Völkerſchaften,<lb/> die in dieſer Beziehung ganz vereinzelt neben den anderen<lb/> ſtehen und deshalb um ſo mehr Aufmerkſamkeit verdienen.<lb/> Hierher gehören in Nordamerika die Chipewyans, die Mackenzie<lb/> beſucht hat, und die Yabipais bei den toltekiſchen Ruinen<lb/> von Moqui, beide mit dichtem Bart, in Südamerika die Pata-<lb/> gonen und Guarani. Unter letzteren ſieht man einzelne ſogar<lb/> mit behaarter Bruſt. Wenn die Chaymas, ſtatt ſich den<lb/> dünnen Kinnbart auszuraufen, ſich häufig raſieren, ſo wächſt<lb/> der Bart ſtärker. Solches ſah ich mit Erfolg junge Indianer<lb/> thun, die als Meßdiener lebhaft wünſchten, den Vätern Kapu-<lb/> zinern, ihren Miſſionären und Meiſtern zu gleichen. Beim<lb/> Volk im ganzen aber iſt und bleibt der Bart in dem Maße<lb/> verhaßt, in dem er bei den Orientalen in Ehren ſteht. Dieſer<lb/> Widerwille fließt aus derſelben Quelle wie die Vorliebe für<lb/> abgeflachte Stirnen, die an den Bildniſſen aztekiſcher Gott-<lb/> heiten und Helden in ſo ſeltſamer Weiſe zu Tage kommt.<lb/> Den Völkern gilt immer für ſchön, was ihre eigene Körper-<lb/> bildung, ihre Nationalphyſiognomie beſonders auszeichnet. <note place="foot" n="1">So übertrieben die Griechen bei ihren ſchönſten Statuen die<lb/> Stirnbildung, indem ſie den Geſichtswinkel zu groß annahmen.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [18/0026]
Sitteneinfalt leben, hätte Montezuma nimmermehr die Zwerge
und Buckeligen aufgetrieben, die Bernal Diaz bei ſeiner
Mahlzeit erſcheinen ſah.
Die Sitte des frühzeitigen Heiratens iſt, wie die Ordens-
geiſtlichen bezeugen, der Zunahme der Bevölkerung durchaus
nicht nachteilig. Dieſe frühe Mannbarkeit iſt Raſſencharakter
und keineswegs Folge des heißen Klimas; ſie kommt ja auch
auf der Nordweſtküſte von Amerika, bei den Eskimo vor, ſo-
wie in Aſien bei den Kamtſchadalen und Korjäken, wo häufig
zehnjährige Mädchen Mütter ſind. Man kann ſich nur wundern,
daß die Tragezeit, die Dauer der Schwangerſchaft ſich im
geſunden Zuſtande bei keiner Raſſe und in keinem Klima
verändert.
Die Chaymas haben beinahe keinen Bart am Kinn, wie
die Tunguſen und andere Völker mongoliſcher Raſſe. Die
wenigen Haare, die ſproſſen, reißen ſie aus; aber im all-
gemeinen iſt es unrichtig, wenn man behauptet, ſie haben
nur deshalb keinen Bart, weil ſie denſelben ausraufen. Auch
ohne dieſen Brauch wären die Indianer größtenteils ziemlich
bartlos. Ich ſage größtenteils, denn es gibt Völkerſchaften,
die in dieſer Beziehung ganz vereinzelt neben den anderen
ſtehen und deshalb um ſo mehr Aufmerkſamkeit verdienen.
Hierher gehören in Nordamerika die Chipewyans, die Mackenzie
beſucht hat, und die Yabipais bei den toltekiſchen Ruinen
von Moqui, beide mit dichtem Bart, in Südamerika die Pata-
gonen und Guarani. Unter letzteren ſieht man einzelne ſogar
mit behaarter Bruſt. Wenn die Chaymas, ſtatt ſich den
dünnen Kinnbart auszuraufen, ſich häufig raſieren, ſo wächſt
der Bart ſtärker. Solches ſah ich mit Erfolg junge Indianer
thun, die als Meßdiener lebhaft wünſchten, den Vätern Kapu-
zinern, ihren Miſſionären und Meiſtern zu gleichen. Beim
Volk im ganzen aber iſt und bleibt der Bart in dem Maße
verhaßt, in dem er bei den Orientalen in Ehren ſteht. Dieſer
Widerwille fließt aus derſelben Quelle wie die Vorliebe für
abgeflachte Stirnen, die an den Bildniſſen aztekiſcher Gott-
heiten und Helden in ſo ſeltſamer Weiſe zu Tage kommt.
Den Völkern gilt immer für ſchön, was ihre eigene Körper-
bildung, ihre Nationalphyſiognomie beſonders auszeichnet. 1
1 So übertrieben die Griechen bei ihren ſchönſten Statuen die
Stirnbildung, indem ſie den Geſichtswinkel zu groß annahmen.
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