Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.Die Weiber der Chaymas sind nach unseren Schönheits- A. v. Humboldt, Reise. II. 2
Die Weiber der Chaymas ſind nach unſeren Schönheits- A. v. Humboldt, Reiſe. II. 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0025" n="17"/> <p>Die Weiber der Chaymas ſind nach unſeren Schönheits-<lb/> begriffen nicht hübſch; indeſſen haben die jungen Mädchen<lb/> etwas Sanftes und Wehmütiges im Blick, das von dem ein<lb/> wenig harten und wilden Ausdruck des Mundes angenehm<lb/> abſticht. Die Haare tragen ſie in zwei lange Zöpfe geflochten.<lb/> Die Haut bemalen ſie ſich nicht und kennen in ihrer Armut<lb/> keinen anderen Schmuck als Hals- und Armbänder aus<lb/> Muſcheln, Vögelknochen und Fruchtkernen. Männer und<lb/> Weiber ſind ſehr muskulös, aber der Körper iſt fleiſchig mit<lb/> runden Formen. Ich brauche kaum zu ſagen, daß mir nie<lb/> ein Individuum mit einer natürlichen Mißbildung aufgeſtoßen<lb/> iſt; dasſelbe gilt von den vielen tauſend Kariben, Muyscas,<lb/> Mexikanern und Peruanern, die wir in fünf Jahren geſehen.<lb/> Dergleichen Mißbildungen ſind bei gewiſſen Raſſen ungemein<lb/> ſelten, beſonders aber bei Völkern, deren Hautgewebe ſtark<lb/> gefärbt iſt. Ich kann nicht glauben, daß ſie allein Folgen<lb/> höherer Kultur, einer weichlicheren Lebensweiſe und der Sitten-<lb/> verderbnis ſind. In Europa heiratet ein ſehr buckeliges oder<lb/> ſehr häßliches Mädchen, wenn ſie Vermögen hat, und die<lb/> Kinder erben häufig die Mißbildung der Mutter. Im wilden<lb/> Zuſtand, in dem zugleich vollkommene Gleichheit herrſcht,<lb/> kann nichts einen Mann vermögen, eine Mißbildete oder ſehr<lb/> Kränkliche zum Weibe zu nehmen. Hat eine ſolche das ſeltene<lb/> Glück, daß ſie das Alter der Reife erreicht, ſo ſtirbt ſie ſicher<lb/> kinderlos. Man möchte glauben, die Wilden ſeien alle ſo<lb/> wohlgebildet und ſo kräftig, weil die ſchwächlichen Kinder aus<lb/> Verwahrloſung frühe wegſterben und nur die kräftigen am<lb/> Leben bleiben; aber dies kann nicht von den Indianern in<lb/> den Miſſionen gelten, welche die Sitten unſerer Bauern haben,<lb/> noch auch von den Mexikanern in Cholula und Tlascala, die<lb/> in einem Wohlſtand leben, den ſie von civiliſierteren Vor-<lb/> fahren ererbt. Wenn die kupferfarbige Raſſe auf allen Kultur-<lb/> ſtufen dieſelbe Starrheit zeigt, dieſelbe Unfähigkeit, vom ur-<lb/> ſprünglichen Typus abzuweichen, ſo müſſen wir darin doch<lb/> wohl großenteils angeborene Anlage erblicken, das, worin eben<lb/> der eigentümliche Raſſencharakter beſteht. Ich ſage abſichtlich:<lb/> großenteils weil ich den Einfluß der Kultur nicht ganz aus-<lb/> ſchließen möchte. Beim kupferfarbigen Menſchen, wie beim<lb/> Weißen, wird der Körper durch Luxus und Weichlichkeit ge-<lb/> ſchwächt, und aus dieſem Grunde waren früher Mißbildungen<lb/> in Cuzco und Tenochtitlan häufiger; aber unter den heutigen<lb/> Mexikanern, die alle Landbauern ſind und in der größten<lb/> <fw place="bottom" type="sig">A. v. <hi rendition="#g">Humboldt</hi>, Reiſe. <hi rendition="#aq">II.</hi> 2</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [17/0025]
Die Weiber der Chaymas ſind nach unſeren Schönheits-
begriffen nicht hübſch; indeſſen haben die jungen Mädchen
etwas Sanftes und Wehmütiges im Blick, das von dem ein
wenig harten und wilden Ausdruck des Mundes angenehm
abſticht. Die Haare tragen ſie in zwei lange Zöpfe geflochten.
Die Haut bemalen ſie ſich nicht und kennen in ihrer Armut
keinen anderen Schmuck als Hals- und Armbänder aus
Muſcheln, Vögelknochen und Fruchtkernen. Männer und
Weiber ſind ſehr muskulös, aber der Körper iſt fleiſchig mit
runden Formen. Ich brauche kaum zu ſagen, daß mir nie
ein Individuum mit einer natürlichen Mißbildung aufgeſtoßen
iſt; dasſelbe gilt von den vielen tauſend Kariben, Muyscas,
Mexikanern und Peruanern, die wir in fünf Jahren geſehen.
Dergleichen Mißbildungen ſind bei gewiſſen Raſſen ungemein
ſelten, beſonders aber bei Völkern, deren Hautgewebe ſtark
gefärbt iſt. Ich kann nicht glauben, daß ſie allein Folgen
höherer Kultur, einer weichlicheren Lebensweiſe und der Sitten-
verderbnis ſind. In Europa heiratet ein ſehr buckeliges oder
ſehr häßliches Mädchen, wenn ſie Vermögen hat, und die
Kinder erben häufig die Mißbildung der Mutter. Im wilden
Zuſtand, in dem zugleich vollkommene Gleichheit herrſcht,
kann nichts einen Mann vermögen, eine Mißbildete oder ſehr
Kränkliche zum Weibe zu nehmen. Hat eine ſolche das ſeltene
Glück, daß ſie das Alter der Reife erreicht, ſo ſtirbt ſie ſicher
kinderlos. Man möchte glauben, die Wilden ſeien alle ſo
wohlgebildet und ſo kräftig, weil die ſchwächlichen Kinder aus
Verwahrloſung frühe wegſterben und nur die kräftigen am
Leben bleiben; aber dies kann nicht von den Indianern in
den Miſſionen gelten, welche die Sitten unſerer Bauern haben,
noch auch von den Mexikanern in Cholula und Tlascala, die
in einem Wohlſtand leben, den ſie von civiliſierteren Vor-
fahren ererbt. Wenn die kupferfarbige Raſſe auf allen Kultur-
ſtufen dieſelbe Starrheit zeigt, dieſelbe Unfähigkeit, vom ur-
ſprünglichen Typus abzuweichen, ſo müſſen wir darin doch
wohl großenteils angeborene Anlage erblicken, das, worin eben
der eigentümliche Raſſencharakter beſteht. Ich ſage abſichtlich:
großenteils weil ich den Einfluß der Kultur nicht ganz aus-
ſchließen möchte. Beim kupferfarbigen Menſchen, wie beim
Weißen, wird der Körper durch Luxus und Weichlichkeit ge-
ſchwächt, und aus dieſem Grunde waren früher Mißbildungen
in Cuzco und Tenochtitlan häufiger; aber unter den heutigen
Mexikanern, die alle Landbauern ſind und in der größten
A. v. Humboldt, Reiſe. II. 2
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